Lieber Mensch,
stell dir vor, es kommt eine Zeit, da werden Mütter und Väter, Mitmütter und Mitväter und natürlich auch Nichtmütter und Nichtväter gemeinsam die Spezies Mensch erziehen. Das Konzept der heteronormativen Kleinfamilie hat sich geöffnet für eine selbstverständliche pluralistische Form des Zusammenlebens. Der Gemeinschaftsgedanke der Fürsorge eint die Geschlechter und zaubert aus dem neuen Leben, das unsere Erde betritt, ein fabelhaftes Menschlein, das dem Du in Frieden und Neugier begegnet.
Ein Traum?! Sicherlich stehen wir als Gesellschaft schon allein juristisch immer noch ziemlich am Anfang des pluralistischen Denkens von Familie. Idealerweise findet man den einen Partner bzw. die eine Partnerin fürs Leben, heiratet und zeugt zur Erhaltung des eigenen Selbst und der Gesellschaft zwei bis drei Nachkommen. So hatte sich das Konzept der Kleinfamilie zu Zeiten der industriellen Revolution angebahnt und Mitte des 20. Jahrhunderts verfestigt. Derweil entwickeln sich alternative Formen des Zusammenlebens. Man schätzt, dass in unserer Gesellschaft beispielsweise etwa 25 bis 30% Nichtmütter leben. Sie wählen entweder selbst, keine eigenen Kinder zu bekommen oder es hat sich, aus welchen Gründen auch immer, einfach nicht ergeben. Etwa ein Drittel also, Tendenz steigend.
Wie werden Nicht-Mütter in unserer Gesellschaft eigentlich wahrgenommen? Wie reagiert man im Gespräch, wenn eine Frau äußert, dass sie keine eigenen Kinder hat?
Die Künstlerin Katrin Bretschneider lädt diese Woche zu ihrer Performance ‚mOtherhood. Ein Fest für werdende Nichtmütter‘ in die Schwankhalle ein. Wir von den frauenseiten.bremen haben vorab ein Interview mit ihr geführt. Lest selbst.
Wie wird die Nichtmutter in unserer Gesellschaft wahrgenommen?
Es ist irgendwie immer defizitär. Denn die Erzählung geht: Frauen wollen Kinder. Egal ob by chance oder by choice. Man könnte ja auch sagen: du kannst Mitmutter von meinem Kind sein. Gerade den Nicht- oder Mitmüttern wird jedoch häufig gesagt: das verstehst du nicht, du bist ja keine Mutter. Männer sind da gar nicht so in einem Rechtfertigungsdruck. Es gibt tatsächlich soziologische Studien dazu, dass sich Männer strukturell weniger mit dieser Frage beschäftigen müssen als Frauen. Historisch betrachtet haben Männer sich einfach mehr in der öffentlichen Sphäre bewegt. Vaterschaft ist zwar wichtig, aber es gibt auch andere Möglichkeiten der Identitätsfindung, die genauso prägend und vielfältig sind. Natürlich gibt es sehr viele Väter, für die ihre Vaterschaft sehr wichtig und identitätsstiftend ist. Die Frage, ob ein Mann Vater ist oder nicht, stellt sich allerdings beiläufiger. Bei Frauen ist es der klassische Dialog: „Hast du Kinder?“ – „Nein“. Dann entsteht eine Pause und diese Pause ist das Entscheidende. Das Gegenüber fragt sich dann: Kann sie nicht oder will sie nicht? Wenn sie nicht kann, dann muss ich sie bedauern. Und wenn sie nicht will, ist das seltsam. Diese Pause erzählt, wie tabubesetzt dieses Thema ist. Und diese Pause gibt es bei Männern meinem Empfinden nach nicht in dem Maße.
Ist Nichtmutterschaft also ein Tabuthema in unserer Gesellschaft?
Ich glaube, es ist auf jeden Fall nicht besonders populär, darüber zu sprechen. Es ist viel populärer über Mutterschaft zu sprechen. Ich glaube auch, dass der ganze Mutter-Mythos mit vielen Tabus besetzt ist. Es ist ja beispielsweise nicht nur die Nichtmutterschaft. Orna Donath spricht in ihrer Studie ‚regretting motherhood‚ über Mütter, die zwar Kinder haben und diese auch sehr lieben, aber dennoch mit der Mutterschaft hadern, weil dieser Begriff so aufgeladen ist mit Dingen, die man selbst gar nicht beeinflussen kann. Und auch diese Mütter dürfen darüber nicht sprechen. Ich denke, da gibt es eine Gemeinsamkeit. Das eigentliche Tabu liegt in der Narration „Frauen wollen Mütter werden und alle Mütter sind glücklich und die Frauen sind dann erst komplett, wenn sie Kinder haben“. Das wird nicht so gerne angekratzt. Frauen, egal ob Mütter oder nicht Mütter, die mit dem Muttersein hadern, werden nicht so gerne gehört. Ich bin der Meinung, dass das kein Privatproblem ist – weshalb ich meine Performance ja auch auf die Bühne bringe. Ich denke, es ist strukturell, auch wenn es eigentlich total privat und intim ist.
Wird Nichtmutterschaft von der Gesellschaft nur akzeptiert, wenn man Herausragendes geleistet hat?
Wenn man keine Kinder hat, wird meistens ein Plan B erwartet, der mit der Mutterschaft bedeutsam konkurrieren könnte. Es ist dann zum Beispiel okay, wenn man Herzspezialistin oder Bundeskanzlerin wird. Oder Künstlerin – aber da reicht es nicht, hier in Bremen als freie Künstlerin zu arbeiten – da muss es schon das internationale Parkett sein. (lacht) Ich würde für mich persönlich jetzt auch nicht sagen, die Kunst ist mein Baby. Allerdings frage ich mich schon, inwiefern ich mit Kindern (als Frau) künstlerisch hätte arbeiten können wie ich es gerade tue.
Wie kam es zu der Idee für das Stück ‚mOtherhood‘?
Ich glaube, es ist wie so oft in Prozessen, eine Mischung aus einem biografischen Interesse und der Tatsache, dass es offenbar ein strukturelles Problem ist. Als Frau und Nichtmutter werde ich tatsächlich immer wieder aufgefordert, mich zu rechtfertigen, ohne dass es böse gemeint ist. Das beschäftigt mich. Und deshalb frage ich mich, wieso muss ich eigentlich meine Entscheidung soviel mehr rechtfertigen, als die Frauen, die sich entscheiden, Kinder zu bekommen? Außerdem waren Sheila Heti und ihr Buch „Motherhood“ ein Impuls, die sich sehr charmant und intelligent mit dem Prozess auseinandersetzt. Ich denke, die Nichtmutterschaft ist ein längerer Prozess, währenddessen man immer wieder abwägt und weil man auch immer wieder gefragt wird, sich automatisch selbst befragt. Ich fing an, dazu zu lesen und habe gemerkt, dass es viele Frauen betrifft. 25 bis 30% der Frauen in der westlichen Welt bekommen keine Kinder. Aber man sieht sie nicht. Man hat das Gefühl, man ist eine Minderheit und zwar eine, die ein bisschen schmutzig ist.
Ich will das Publikum aber nicht auf die Anklagebank setzen, sondern die Narration neu schreiben, indem ich ein Fest für die werdende Nichtmutter feiere. Es gibt ja auch die Babyshowerparties und da geht es um ein bestimmtes Mutterbild, das wahnsinnig zuckrig inszeniert wird, wahlweise mit viel Weiß und Rosa. Mein Bühnenbild ist ein bisschen daran angelehnt und spielt mit der Konvention, zu der ich bewusst eine Reibung herstellen möchte.
Für mich ist Theater ein Ort, der Gemeinschaft stiften kann. Dadurch kann beim Publikum ein Gefühl entstehen, denn was die*den Einzelne*n zunächst privat beschäftigt hat, ist ein Thema, das doch ganz viele beschäftigt und dann entsteht ein gemeinsames Erlebnis.
Würden Sie sich wünschen, dass Mütter und Nichtmütter sich untereinander mehr solidarisieren?
Der Moment von Solidarität ist mir auf verschiedenen Ebenen wichtig. Häufig geraten Mütter und Nichtmütter in Situationen, bei denen sie sich auf subtile Weise gegeneinander ausspielen, was meistens gar nicht beabsichtigt ist. An der Stelle hätten beide Seiten sicherlich mehr davon, sich zu solidarisieren. Für mich geht es aber noch weiter. Denn eine weitere Referenz, die ich spielerisch benutze, ist für mich Donna Haraway, die unter anderem den Roman „Unruhig bleiben“ (engl. „making trouble“) geschrieben hat. Sie entwickelt darin einen neuen Verwandtschaftsbegriff: Es geht nicht darum, Kinder zu machen, sondern es geht darum, sich verwandt zu machen. Sie begreift die Verwandtschaft sogar nicht nur unter den Menschen, sondern artenübergreifend und das finde ich ein interessantes Konzept. Klingt ein bisschen überspitzt und futuristisch, aber mir gefällt der Gedanke – der biologische Vorgang des Gebärens ist das eine – dass der Begriff von Mutterschaft und Verwandtschaft jeweils ein Konstrukt ist, was variabel und flexibel ist und was man immer wieder neu besetzen kann. Darum geht es mir auch, danach zu fragen: Ist das eigentlich noch die Erzählung von Mutterschaft, die wir wollen? Oder sind wir jetzt aus verschiedenen Gründen an einem Punkt, wo man das neudenken könnte? Wer würde davon profitieren? Wahrscheinlich als erstes die Mütter, die nicht mehr so alleine wären mit ihrer Mutterschaft und ihrer Kleinfamilie. Und auch die Nichtmütter, die ihrerseits eine Elternschaft für andere Kinder übernehmen könnten, um das Thema auf mehrere Schultern zu verteilen. Der Gedanke, Verwandtschaft artenübergreifend zu denken, geht natürlich auch in die Ressourcen- und Klimadebatte. Ist es nicht eigentlich ziemlich kontraproduktiv, was wir betreiben mit dem Fortpflanzungsgedanken und dem Kleinfamilienmodell und sollten wir da nicht globaler denken, damit es artenübergreifend gut läuft? In Kanada können sich rechtlich schon vier Menschen als Eltern eintragen lassen, dort ist zumindest auf der rechtlichen Ebene Bewegung in dem System. Natürlich gibt es auch jetzt schon Lebensmodelle jenseits der heteronormativen Kleinfamilie. Trotzdem ist es seltsam, dass die (konservative) Narration immer noch so stark dasteht und darüber verhältnismäßig wenig gesprochen wird. Über Gender und Aufweichung von Geschlechterkonzepten wird häufiger gesprochen. Über die Mutterschaft zu sprechen, ist dann vielleicht der nächste Schritt. Wenn man den Verwandtschaftsbegriff öffnet, ist man auch schnell bei dem Begriff der Fürsorge. Man könnte die ‚Mutterschaft‘ ja auch mal von der Biologie und von dem Romantischen abkoppeln und sagen, dass man schlichtweg Sorge für jemanden trägt. Und das ist ja auch geschlechtsübergreifend.
Ist Bremen ein guter Ort, um freie Kunst zu machen?
Durch die Haushaltsnotlage und die Struktur als Stadtstaat waren die Töpfe zur Förderung der freien Kunst bisher sehr klein. In Niedersachsen könnte ich beispielsweise drei Förderungen beantragen (Stadt-, Land- und Lottostiftung), in Bremen nur eine und wenn man darüber nichts erhält, dann bekommt man gar nichts. Die Politik, die Kulturbehörde Bremen und die verschiedenen Berufsverbände der freien Künste haben mittlerweile aber viel in Bewegung gesetzt.
Jetzt in Coronazeiten gab es in Bremen zum Beispiel auch die Künstlersoforthilfe, die es in anderen Bundesländern nicht gab. Es hat also Vorteile, in Bremen Kunst zu machen, denn es wurde in den letzten Jahren ein Bewusstsein für die freie Szene geschaffen.
Termine ‚mOtherhood, ein Fest für werdende Nichtmütter‘: Premiere am Donnerstag, 15.10., 20 Uhr. Außerdem Samstag 17.10., 20 Uhr mit anschließendem Publikumsgespräch und Sonntag, 18.10., 16 Uhr. Tickets erhaltet Ihr online über www.schwankhalle.de
Sarah Becker
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