Mutter – was schwingt alles mit in diesem Wort! Mutterliebe, Fürsorge, Geborgenheit, Mütterlichkeit, Mutterherz. Aber vielleicht auch: Rabenmutter, Stiefmutter, Helikoptermutter, mutterlos, mutterseelenallein.
Das alles und vieles mehr geht einer Person durch den Kopf, wenn sie die Ankündigung zum Theaterstück Mütter, inszeniert von Regisseurin Alize Zandwijk, sieht, das in einer Wiederaufnahme im Theater Bremen gespielt wird.
Mütter gehören an den Herd – oder?
Wer sich nicht vorher genauer informiert hat, ist beim Betreten des Aufführungsorts verwirrt. Nicht auf der Bühne wird das Stück gezeigt, sondern im Foyer des Theaters. Und dann das: Eine offene Restaurantküche ist aufgebaut und die Zuschauer*innen nehmen im „Gastraum“ an Resopaltischen im Stil der 50er Jahre Platz. Auf dem Herd köchelt schon etwas in einem großen Topf. Ein Gericht, das den Zuschauer*innen am Ende tatsächlich serviert wird. Ja klar, so der erste Gedanke: Mütter gehören in die Küche… Echt jetzt?
Die Darstellerinnen: keine professionellen Schauspielerinnen, sondern eine bunt gemischte – und gewandete – Truppe aus aller Herren Länder. (Ja, dass in allen Ländern die Männer das Sagen haben, scheint immer wieder durch… Auch, wenn wir hier mit lauter starken Frauen aus verschiedenen Bremer Frauenprojekten zu tun bekommen.) Und dann beginnt das Schauspiel.
Das Konzept der Mutter – enttarnt
Die Frauen erzählen abwechselnd ihre Geschichte, lustig, spritzig, (selbst-)ironisch – aber auch ernst, einfühlsam, ergreifend. Sie sind Mütter, Töchter, Enkelinnen, und ihre Schicksale sind in vielem unterschiedlich. Von (Fehl-)Geburt, Kindheit, Pubertät, Jugend, (gewollter und ungewollter) Mutterschaft wird erzählt. Zum Teil sehr tragische Schicksale werden offengelegt: Waisenhaus, Fluchterfahrungen, sexualisierte Gewalt mussten einige aushalten. Und oft genug war die Mutter nicht da, um die Tochter zu beschützen. Das Konzept der Mutter als derjenigen, die liebevoll die Familie zusammenhält, wird enttarnt. Und was das Setting der Küche betrifft: Viele der Darstellerinnen denken bei ihren Lieblingsrezepten aus der Kindheit eher an ihre Großmütter als an ihre Mütter.
Dem westlichen Feminismus wird immer wieder vorgeworfen, dass er durch seinen Individualismus die Familie zerstöre, die doch Geborgenheit und Schutz liefere. Hier wird klar: Familie ist in aller Welt sehr divers, auch dort, wo sie nach wie vor als konservatives Konzept hochgehalten wird. Auch dort ist nicht alles so schön, wie es nach außen hin scheint. Allzu oft trügt der Schein. Das Klischee von der Familie, die Verständnis, Sicherheit und Geborgenheit garantiert, ist überall auf der Welt nur ein Ideal, dem manche entsprechen und viele sich annähern – aber längst nicht alle.
Feminismus vs. Familie?
Und dann fragt sich: Was ist besser? Die „heile Familie“, wie sie eigentlich alle Religionen, Kulturen und Staaten als „normal“ propagieren, zu idealisieren? Auch, wenn sie eventuell noch so kaputt ist und viel Leid produziert? Leid, weil Eltern ihre Kinder nicht vor Gefahren schützen und in Geborgenheit aufwachsen lassen. Leid, weil die Kinder glauben, sie seien die Einzigen, die nicht in einer idealen Familie leben. Leid, weil die Mütter sich die Schuld geben, wenn sie den Kriterien einer „guten Mutter“ nicht genügen.
Oder aber, wie Feminist*innen es fordern, der Realität ins Auge zu blicken, Missstände anzuprangern und die Konsequenzen zu ziehen?! Dafür werden sie dann beschuldigt, „die Familie“ zu zerstören. Dabei haben andere sie schon längst zerstört. Oder existiert sie gar nicht? Hat sie jemals existiert?
Irene Meyer-Herbst
Ulrike Hauffe meint
Liebe Irene,
ja, auch ich habe diese Inszenierung genossen. Genossen, weil sie nicht beschönigend, sondern unter die Haut gehend daher kommt. Es ist toll, dass das Bremer Theater solche Inszenierungen ermöglicht. Mit so überzeugenden Laiinnen, deren Lust am Spiel und an der Darbietung so sehr zu spüren ist – auch wenn sie die Wirklichkeit mit Tränen darstellen.