Die junge Christin (Saskia Rosendahl) starrt gelangweilt aus dem Traktor auf die ewige Weite der sommergelben Felder. Sie ruft ihrem Freund Jan (Rick Okon) zu, dass sie gehen möchte, bekommt aber keine Antwort. Sie streckt sich im Traktor aus. Um sie herum endlose Weite und trotzdem ist kein Platz für sie. Etwas brennt in ihr, will raus. Jan ignoriert sie weiter und lässt sie in der Sommerhitze allein zurück. Sie verlässt den Traktor und steigt kurzerhand ins Auto eines Mannes (Godehard Giese), der bei einem Windrad arbeitet. Wo sie hinwill, fragt er. Sie weiß es nicht. Erstmal Hamburg. Erstmal weg.
Tristesse des Landes
Der Film „Niemand ist bei den Kälbern“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Alina Herbing, wühlt auf. Als Zuschauer*in schwankt man zwischen Trauer und Wut, zwischen Mitgefühl und Hoffnung. Der Film ist fantastisch und grausam zu gleich und bricht mit allen Vorstellungen eines idyllischen Landlebens.
Sabrina Sarabi erzählt die Geschichte einer jungen Frau in der Einöde Mecklenburg- Vorpommerns. Zwischen weiten Feldern, Windrädern und wolkenlosem Himmel lebt die 24-Jährige Christin auf dem Hof ihres Freundes. Ihre Beziehung ist ausgekühlt, und die Tristesse des eintönigen Landlebens nur mit Alkohol ertragbar. Trotz der sommerlichen Schwüle des Films kommt einem die ländliche Umgebung, in der die Protagonistin sich bewegt, grau und langweilig vor.
Stille Ausdruckskraft der Protagonistin
Als Beobachterin wandert die Protagonistin durch das Leben, kümmert sich um das morgendliche Melken der Kühe und ihren alkoholkranken Vater. Ohne viele Worte, versteht man, welche Gedanken Christin beschäftigen. Wir fühlen ihre Hoffnungslosigkeit, die Lethargie, die Wut. Mit einem unglaublichen Ausdruck verleiht Saskia Rosendahl ihrer Rolle eine Glaubwürdigkeit, wie man sie lange nicht mehr gesehen hat. Als Zuschauer*in leidet man mit und fiebert hin auf ein Ausbrechen aus dem trostlosen Leben.
Ein Film ohne Männer:
Trotz der vielen männlichen Figuren des Filmes, kann es einem vorkommen als würden diese nicht wirklich existieren. Sie sind Figuren am Rande. Schatten die auf der Protagonistin haften, bedrohlich und einengend. Christin ist die einzige Person der wir nah sind. Nur sie fühlen wir als Zuschauer*in, nur sie nehmen wir als Menschen wirklich wahr. Die kleinsten Details ihrer Handlungen werden zum roten Faden des Films. Das obligatorische Limo trinken oder Joghurt essen, das Einkleiden in möglichst knappen Outfits, das Fußnägel lackieren oder Auto fahren. Ihr Verlangen nach dem Entkommen dieses Lebens wird in jeder dieser Handlungen deutlich.
Die einzigen schönen, friedlichen Momente des Filmes sind zwischen ihr und anderen Frauen, zwischen ihr und den Tieren. Doch diese Momente ziehen schnell vorüber. Ihre beste Freundin verlässt sie und das Land. Nur ihre Voice Message Ansage spendet der Protagonistin etwas Gemeinschaft.
Besonders und grausam real
Soviel sei verraten: Am Ende lässt der Film die Zuschauenden zumindest mit etwas Hoffnung zurück. Die starken, ruhigen Bilder der Erzählung prägen sich ein. Ebenso wie die gute schauspielerische Darstellung. Der Film erzählt viel, aber auf langsame, gewählte Weise. Die Brutalität und Trostlosigkeit an einigen Stellen des Filmes ist aber nicht für jeden etwas. Als Zuschauende*r sollte einem klar sein, auf was man sich einlässt. Die zwischenzeitlich gewalttätigen und grenzüberschreitenden Szenen können einen fassungslos zurück lassen. Aber wenn dies nicht abschreckend ist, sollte man sich den Film nicht entgehen lassen. Die intensive Charaktererzählung, die sich nah an der Realität bewegt, zieht einen immer tiefer in den Film hinein und ist die grausam reale Reise wert, auf die der Film einen mitnimmt.
Niemand ist bei den Kälbern läuft heute Abend (23.2.22) zum letzten Mal im City46!
Falls euer Interesse für das Buch zum Film geweckt wurde, schaut doch mal bei Christels Blog Buchprüfung oder der Rezension auf unserer Seite vorbei.
von Roja und Teresa
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