Anmerkung: Im folgenden Text werden teilweise geschlechtsbinäre Äußerungen verwendet. Damit sollen keine Menschen ausgeschlossen werden, sondern es wird aufgezeigt, dass Menschen (und vor allem ihre Körper) gesellschaftlich und strukturell bedingt immer noch in binäre Kategorien eingeteilt werden, hier also in weiblicher oder männlicher Körper. Dieses Denken soll nicht reproduziert werden, sondern hier wird die Perspektive von den Instanzen aufgezeigt, die mit dieser Normativität ihre Entscheidungen rechtfertigen.
Meine zwei männlichen Mitbewohner stehen ständig oberkörperfrei in der Küche, laufen halbnackt aus dem Bad in ihr Zimmer oder sonnen sich ganz ungeniert auf unserem Balkon. Finde ich ja auch sehr legitim. Aber: ich mache das nicht. Ohne bewusst drüber nachzudenken. Wenn ich aufstehe, ziehe ich mir etwas über.
Oberkörperfrei auf dem Balkon würde ich mich beobachtet fühlen. Warum eigentlich? Am Ende werden meine Brüste doch nur durch die Bewertung von anderen als etwas Sexuelles, etwas Erregendes oder etwas Störendes empfunden, ich selbst empfinde sie nicht so. Klar gibt es auch Situationen, in denen Nacktheit im Generellen als unangemessen verstanden wird, unsere Gesellschaft hat sich in der Norm auf einen angezogenen Umgang miteinander verständigt. Kleidung ist nun mal auch praktisch, sie wärmt, sie schützt, sie versteckt.
Wenn mir jedoch im Sommer ein männlich gelesener Mensch oberkörperfrei auf dem Skateboard entgegenkommt, fällt mir das wahrscheinlich gar nicht auf. Wäre es eine weiblich gelesene Person, würde ich mich wahrscheinlich nochmal umschauen und überlegen, ob das wohl eine Art von feministischem Protest sei. Woher kommt das? Warum habe ich diese Unterscheidung selbst so verinnerlicht?
Sexualisierung der weiblichen Brust
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es ein bestimmtes Alter gab, in dem man sagte: Nun ist ihre Brust deutlich unterscheidbar zu seiner, was heißt, dass sie sich jetzt obenrum bedecken muss. Allerdings weiß ich, dass es selbstverständlich war, dass spätestens auf der weiterführenden Schule, wenn nicht schon früher, der eine Teil der Klasse Badehosen trug und der andere Teil Badeanzüge. Denn der eine Teil hatte etwas zu verdecken, zu verstecken, auch wenn es in dem Alter noch nicht bei allen erkennbar war.
Sexualisieren wir damit nicht zehnjährige Kinderkörper, wenn wir ihnen (und uns selbst) suggerieren, dass ihre Brüste, egal wie groß oder klein, ein Störfaktor sind? Die weibliche Brust automatisch mit etwas Obszönem und Schambehaftetem zu assoziieren und so zu argumentieren, dass sich in dem Beispiel Lehrer oder Schulkameraden davon ablenken lassen könnten, ist sexistisch.
Das geht?!
Wie oft habe ich mich unwohl gefühlt in meinen Bikinis, wie selten habe ich ein Bikini-Oberteil gefunden, das passte. Und dann die Erkenntnis vor zwei Jahren, als mir plötzlich auffiel, wie viele Menschen sich keinen Deut um ihre nackten Brüste scherten und einfach oberkörperfrei in der Sonne lagen: Ich muss gar kein Oberteil tragen. Und dann die Befreiung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Kein Oberteil, was drückt und zwickt, wenn ich auf dem Bauch liege, keine Wasserfälle, die der Stoff im Wasser aufsaugt, die danach mein Handtuch durchtränken. Eine Ode ans oberkörperfreie Baden, sowohl im Nass als auch in der Sonne.
Ungehörige Ärgernisse
Mir ist tatsächlich früher nie in den Sinn gekommen, dass das so einfach sein könnte. Und so einfach ist es dann am Ende doch nicht. Denn zu oft zeigt unser Rechtssystem, dass es nicht frei von Sexismen und Ungleichheiten ist. Explizit verboten ist das „oben-ohne“- Sein eigentlich nicht, die sogenannte „Nacktheit in Strandnähe“ ist größtenteils toleriert und legalisiert. Doch was ist, wenn mal gerade kein Strand in der Nähe ist, das Bedürfnis nach befreiten Brüsten aber groß?
Das Ordnungsamt und die Polizei sind rechtlich durchaus dazu in der Lage, eine Person mit unbedeckten Brüsten zu bitten, sich etwas anzuziehen: unter Beruf auf die „Belästigung der Allgemeinheit“, die besagt, dass eine „grob ungehörige Handlung“, die die Allgemeinheit belästigt oder gefährdet, ordnungswidrig sei. (Ungehörig: das klingt für mich immer nach einer alten Frau in einem schwarzweiß-Film, die einem frechen Lausbuben „ungehöriger Flegel“ hinterherruft.)
Aber mit meinen Brüsten gefährde ich erstmal niemanden, außer sie könnten, wie in manchen fragwürdigen Videospielen, Laser aus den Nippeln schießen. Und was genau an meinen Brüsten jemand anderen belästigen soll, verstehe ich auch nicht. Wenn man das nicht schön findet, schaut man eben weg. Ich habe auch schon Dinge an anderen Menschen gesehen, die mir persönlich nicht gefallen haben. Diese Person auf diese Tatsache anzusprechen oder gar anzuzeigen, würde mir nicht in den Sinn kommen.
Ein anderer Paragraph, der in diesem Fällen gerne vorgeschoben wird, ist die „Erregung öffentlichen Ärgernisses“. Der sagt aus, dass Strafe droht, wenn öffentlich sexuelle Handlungen vorgenommen werden und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt wird. Klingt erstmal spannend, allerdings frage ich mich, ob das heißt, dass meine nackten Brüste an sich schon eine sexuelle Handlung darstellen. Und ich damit ein Ärgernis errege. Bei wem denn? Bei mir, den Polizist*innen oder wirklich der Allgemeinheit?
#Freethenipple
Nicht nur in der Natur werden weiblich gelesene Oberkörper anders behandelt als männlich gelesene. Auch im Internet und auf sozialen Medien weisen immer mehr Menschen auf die Richtlinien hin, die das Zeigen von weiblich gelesenen Nippeln verbietet; das von männlichen jedoch nicht. Dieser sexistischen Annahme, dass der weiblich gelesene Nippel als sexuell wahrgenommen wird, stellen sich einige Instagrammerinnen entgegen.
Hannah May Lou veröffentlichte beispielweise ein Bild von sich, in dem sie sich oberkörperfrei präsentiert. Ihre Brustwarze wird von einem kleinen Ausschnitt eines anderen Nippels verdeckt, neben dem sich ein Pfeil findet, der darauf hinweist, dass es sich um einen männlichen Nippel handelt. Rechtlich bleibt da Instagram nur wenig Spielraum. Das Bild wurde immerhin im November 2020 hochgeladen und ist immer noch aufrufbar.
Nippel sind Nippel
Eine andere Instagram-Seite postet ausschließlich Bilder von Nippeln aller Art. Manche sind künstlerisch bemalt, manche gepierct, manche dunkel, manche hell. Der Trick: es wird nicht verraten, zu wem der Nippel gehört. Nur anhand eines Nippels zu erkennen, um wen es sich handelt, ist erstaunlich schwer. Das erschwert es Instagram, ihre ungleichen Maßstäbe durchzusetzen, da es für sie nicht ersichtlich ist, ob es sich aus ihrer binären Perspektive um Männer-oder Frauennippel handelt.
Nichtsdestotrotz halten Instagram und Facebook dagegen, sperren und zensieren weiterhin Accounts und Fotos wegen „pornographischer Inhalte“. Nur Proteste, bei denen sich Aktivist*innen obenrum freimachen, stillende Personen oder Bilder von Amputations-Narben sind zulässig. Eine sinnvolle Begründung dafür gibt es nicht, Facebook meint dazu nur, dass manche Mitglieder diese Art von Inhalten anstößig finden könnten.
Oberkörperfreiheit! Für alle.
Fair ist das nicht, gleichberechtigt schon gar nicht. Ob die sozialen Medien irgendwann den Protesten gegen ihre sexistischen Auflagen nachgeben oder nicht, ich lege mich weiterhin oben ohne in die Sonne; ob ich mich in Strandnähe befinde oder nicht. Je normaler man den Umgang mit weiblich gelesenen Brüsten gestaltet, desto mehr kann vielleicht nach und nach bei immer mehr Menschen der Gedanke ankommen, dass weiblich gelesene Brüste und Nippel auch einfach nur das sind. Sie sind nicht anstößig, sie sind nicht sexuell, sie sind nicht ungehörig. Sie sind ein Teil des menschlichen Körpers.
Anne Preuß
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