Klimaaktivist*innen engagieren sich und verändern dadurch die Politik. Frauen in Polen sind aktiv gegen das Abtreibungsverbot der Politik. Handelt es sich hier nun um Engagement? Um Politik, oder doch Aktivismus?
Uns allen fallen Begriffe und Bilder ein, wenn wir die drei Wörter hören, doch was bedeuten sie genau? Der Duden definiert sie wie folgt:
Engagement
„[persönlicher] Einsatz aus [weltanschaulicher] Verbundenheit; Gefühl des Verpflichtetseins zu etwas“ Duden
Aktivismus
„aktives (1) Verhalten, [fortschrittliches] zielstrebiges Handeln, Betätigungsdrang“ Duden
Politik
„auf die Durchsetzung bestimmter Ziele besonders im staatlichen Bereich und auf die Gestaltung des öffentlichen Lebens gerichtetes Handeln von Regierungen, Parlamenten, Parteien, Organisationen o. Ä.“ Duden
Die Definition von Politik ist einigermaßen selbsterklärend. Hingegen sind die restlichen Definitionen eher allgemein gehalten. Die Wahrheit ist, dass es kaum eine einzige, aussagekräftige Definition zu den Begriffen gibt. Vielmehr wandeln sich alle drei Begriffe seit Jahrzehnten, weshalb auch die herausgearbeitete Eingrenzung kritisch zu betrachten sind.
Eine kurze Verständnishilfe
Definitionen, vor allem wenn es um gesellschaftliche Prozesse geht, sind meist trocken. Dabei hilft es auch nicht, dass gesellschaftliche Prozesse oft chaotisch und unübersichtlich sind. Um die Unterschiede zwischen Politik, Aktivismus und Engagement besser einordnen zu können, wurde eine Einordnung aus der Soziologie genutzt. Die Denkweise ist einfach und allgemein: Bei gesellschaftlichen Prozessen gibt es Menschen, oder Gruppen von Menschen, die etwas machen, also handeln. Dieses Handeln verändert die Struktur der Gesellschaft und beeinflusst andere Menschen. Jenes Handeln ist jedoch meist begrenzt. Aus diesem Grund gehen die meisten Menschen auch nicht einfach gewaltsam gegen die Politiker, die sie nicht mögen, vor, sondern suchen sich andere Wege: Es gibt gesellschaftliche Regeln, die negative Konsequenzen auslösen, sobald man auf bestimmte Weise handelt.
Diese Muster von gesellschaftlichen Prozessen werden verwendet, um unsere drei Begriffe zu verstehen. Aus diesem Grund wird jedes Mal gefragt: Wer handelt? Wie wird gehandelt? Und welche Begrenzungen gibt es?
Politik: Staatlich, systematisch und nicht immer transparent
Wer handelt?
Wie der Duden sagt, handeln in der Politik die Regierung eines Landes, einer Vereinigung an Ländern oder auch vergleichbare Organisationen auf dieser Ebene.
In Deutschland sind das, größtenteils getrennt voneinander, die Exekutive, Judikative und Legislative Deutschlands. Damit sind als Exekutive sowohl die Bundesregierung, als auch die Landeregierung und alle Behörden gemeint. Die Judikative bilden die Gerichte. Und die Legislative besteht aus dem Bundestag, Bundesrat und den Landtagen.
Es sind jedoch auch andere politische Strukturen möglich, welche beispielsweise eine andere Anordnung der drei Gewalten haben, oder auch eine stärkere oder geringere Trennung. Ein Beispiel dafür sind autoritäre Systeme, in welchen eine einzelne Person oder Gruppe die gesamte Legislative bildet.
Wie wird gehandelt?
Die Politik handelt innerhalb von klar definierten Prozessen und Strukturen. Die Legislative erschafft und debattiert neue Regeln, Gesetze. Die Exekutive führt die Regeln aus und die Judikative überprüft das Handeln der beiden anderen Gewalten, vereinfacht gesagt. In der Politik hat meist jede*r eine feste Rolle mit klaren Handlungsmöglichkeiten. Ein*e Richter*in darf beispielsweise niemanden spontan festnehmen. Diese klare Rollenabgrenzung kann, je nach politischem System, lockerer ausfallen.
Welche Begrenzungen gibt es?
Die Politik ist durch das Rechtssystem begrenzt. So gibt es eine Vielzahl an Regeln, welche die Handlungsmöglichkeiten der Politik einschränken. Hierzu zählt beispielsweise das Grundgesetz.
Oft sind die Regeln in der Politik durch schriftliche Dokumente wie Gesetze klar definiert. Die Regeln müssen jedoch nicht transparent, oder formal kundgegeben, sein. Ein Beispiel hierfür sind die aktuellen Verhaftungen von Minderheiten in Belarus. Diese geschehen ohne schriftliche Gesetzesgrundlage. Aktuell werden in Belarus queere Menschen verhaftet, so berichtet die Zeit. Jenes geschieht, obwohl die Regierung beispielsweise die Strafe von homosexuellen Handlungen unter Männern 1994 aufgehoben hat. Da jedoch auch kein Gesetz besagt, dass Homosexuelle und andere, queere Menschen geschützt sind, kann dieses politische Handeln stattfinden. So wird hier politisch immer noch innerhalb der Begrenzungen gehandelt.
Aktivismus: Wertegesteuert und an der Grenze der Regeln
Wer handelt?
Wie bereits in unserem Artikel zu Aktivismus erwähnt, ist dieses Handeln ist Wertegesteuert und auf ein Ziel ausgerichtet, wie die Definition des Duden sagt. Aktivistisches Handeln wird von einer einzigen Person, oder auch von Gruppen, ausgeführt. Falls sich Gruppen bilden, teilen diese denselben Wert. Dieser Wert treibt das aktivistische Handeln voran. So verbindet die Mitglieder von Fridays for Future beispielsweise die Sorge um den Klimawandel und der Drang, etwas dagegen zu tun. Der Frauen* und Queer Streik Bremen hingegen besteht aus Menschen, die sich unter anderem gegen Sexismus und Rassismus einsetzen, sowie für körperliche Selbstbestimmung. Mehr hierzu erfahrt ihr später in einem eigenen Artikel unseres Specials. Diese Gruppen verbindet immer ein gemeinsamer Wert.
Wie wird gehandelt?
Es gibt verschiedene Formen des Aktivismus. Aktivistisches Handeln hat immer die gesellschaftliche Veränderung als Ziel. Welche Veränderung das ist und wie groß sie ist, hängt von dem jeweiligen Wert ab. Aktivist*innen handeln außerhalb des politischen Systems und teilweise auch im Widerspruch zu seinen Gesetzen. Trotzdem kann Aktivismus Auswirkungen auf das politische Handeln haben. So sorgten zum Beispiel die Klimaproteste von Fridays for Future dafür, dass in Österreich die Partei „Die Grünen“ mehr gewählt wurde, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Zudem braucht der Aktivismus zur Erreichung der Ziele auch teilweise Jahrzehnte. Ein Beispiel hierfür ist der Kampf von Anwohner*innen und Atomkraftgegner*innen gegen das Atom-Endlager Gorleben. Die Proteste begannen in den 1970er Jahren, als ein Atom-Endlager in Gorleben geplant wurde, so der NDR. Dieses Jahr wurde bekanntgegeben, dass das Lager nicht in dem Ort errichtet wird. Damit waren die Proteste, nach mehr als 40 Jahren, erfolgreich.
Welche Begrenzungen gibt es?
Oft erfolgt aktivistisches Handeln nicht im Widerspruch mit lokalen Gesetzen. Vielmehr tritt Devianz statt Anarchie auf. Mit Devianz ist der gesellschaftlich akzeptierte Bruch von Regeln gemeint. Hierzu zählt der Verstoß gegen die Schulpflicht, indem ein*e Schüler*in auf eine Klima-Demo geht. Oder auch die aktuellen Proteste in Belarus gegen die autoritäre Regierung. Jene Proteste werden von einem Teil der Gesellschaft geduldet, auch wenn die lokale Politik dagegen ist, schreibt die taz.
Hier verschwimmt auch die Grenze zwischen Aktivismus und Politik: Wenn aktivistisches Handeln die Politik verändert. So lässt sich aus den Definitionen schlussfolgern, dass Aktivismus zu Politik wird, sobald das politische System vom Aktivismus verändert wird und mit demselben Wertestreben wie der Aktivismus handelt.
Engagement: Unterstützend und altruistisch
Wer handelt?
Das Engagement teilt viele Gemeinsamkeiten mit dem Aktivismus und ist auch nicht eindeutig abgrenzbar. Engagement kann von einzelnen Personen, oder auch von Gruppen mit demselben Ziel, ausgehen. Wie bei dem Aktivismus, werden die engagierten Personen ebenfalls von geteilten Werten angetrieben.
Wie wird gehandelt?
Engagement findet ebenfalls außerhalb der Politik statt. Meist wird mit dem Begriff freiwilliges, ehrenamtliches oder auch privates Engagement gemeint. Beispiele hierfür zeigt unsere Reihe „Frauen und Engagement“. Im Gegensatz zum Aktivismus zielt das Engagement auf die Unterstützung von gesellschaftlichen Elementen und Bewegungen ab, was sich meist langsamer und über Projekte ausdrückt. Beispielsweise unterstützen Projekte wie die KlimaWerkStadt die ökologische Nachhaltigkeit, wie wir berichteten. Auch Feminismus und Gleichberechtigung können, zum Beispiel, durch Engagement bei den frauenseiten.bremen unterstützt werden.
Generell stellt Engagement altruistisches Handeln dar, im Sinne der Definition der jeweiligen Gesellschaft. Engagement wird dabei als Teil des Leistungssystems unserer Gesellschaft gesehen: Engagement gilt als freiwillige, meist unentgeltliche Arbeit. Insgesamt wird Engagement gesellschaftlich weitgehend akzeptiert.
Welche Begrenzungen gibt es?
Engagement erfolgt innerhalb der gesetzlichen Begrenzungen und weicht hiervon nur selten ab.
Abschließend sind die Unterschiede zwischen Politik, Aktivismus und Engagement zwar erkennbar, die Grenzen können jedoch leicht verschwimmen. Jene Einordnung hängt vor allem auch stark von den lokalen Gesetzen und der politischen Struktur ab. Ein näherer Einblick, wie diese drei Formen in Aktion aussehen können gibt die breite Auswahl der Artikel unseres Specials.
Sarah Hamer
Lina meint
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