Ich steige die knatschigen alten Bremer Treppen hoch. Sie macht mir auf und ich folge ihr in die Küche. Eine rauchige Küche im Kerzenschein. Es riecht nach Kaffee. Ein Holztisch mit blumiger Tischdecke steht vor mir. Aus dem Fenster sehe ich das Viertel, davor schlägt ein Ast müde umher. Es ist 11 Uhr Vormittags und wir reden jetzt über schwere Themen. Arwen hat sich vor etwa einem Jahr als trans Frau geoutet. Wir reden darüber, wie es ihr geht in der immer faschistischer werdenden Welt. Über Queere Szene, Wut und Trauer, über Widerstand. Falls ihr euch jemals gefragt habt, worüber queere Menschen reden, wenn sie Kaffee trinken und die ersten Kippen des Tages rauchen, lest jetzt weiter! Wenn ihr wissen wollt, warum wir diese Gesellschaft von Grund auf ändern müssen, lest jetzt weiter!
Der erste Teil „Über Nebelkerzen, Angst und den Sturz des Kapitalismus“ ist nur ihre wörtliche Rede.
Im zweiten Teil „Über Queer Joy und das weiter Kämpfen“ handelt es sich mehr um einen Dialog.

Über Nebelkerzen, Angst und den Sturz des Kapitalismus
„Ich denke, die Migrationsdebatte und die Debatte um Rechte von Transpersonen ist nichts anderes als eine Nebelkerze. Es ist eine Ablenkungsdebatte und das zu checken ist wichtig. Zu checken, es geht nicht darum, jemanden zu schützen, sondern nur zu sagen: „Hier guck mal, diese Minderheit. Da müssen wir irgendwas ändern und dann geht es euch besser.“
Wir stehen vor einem wirtschaftlichen Verlust. Das macht den Leuten Angst. Sie merken, es geht ihnen schlechter als noch vor ein paar Jahren. Rechte Kräfte machen nichts anderes, als zu sagen: Wir müssen die Ausländer abschieben und uns abschotten. Grenzen dicht. Oder wir müssen an das Selbstbestimmungsgesetz ran. Aber bloß nicht über wirkliche Veränderung nachdenken.
Aber das hat ja ganz klare Auswirkungen. Das macht Stimmung gegen diese Gruppe. in den USA sieht man, was passiert, und Friedrich Merz hat ähnliche Pläne. Rassistische Übergriffe sind in den letzten Jahren krass gestiegen und werden das jetzt auch nur noch weiter tun. Und auch die Angriffe gegenüber queeren Menschen steigen.
Und Grund dafür ist diese Nebelkerze, diese Scheindebatte.
Menschen fragen sich nicht mehr, warum wir wirklich geknechtet und zum Sterben in den Schützengraben geschickt werden. Sie schauen nicht nach oben, sonden zu Ausländern und Trans-Menschen. Es gibt diesen Talking Point „Wir sind gegen die Eliten“ und das sollen dann irgendwie Minderheiten oder progressive Teile der Gesellschaft sein. Und dann drehen sie sich um und feiern die AFD und Elon Musk. Ich denke, dadurch verlieren andere Sachen den Fokus. Zum Beispiel, dass wir in dieser binären Gesellschaft sind mit Stereotypen und immer noch der Unterdrückung der Frau.
Das Patriarchat ist mit dem Kapitalismus vereint, und wir werden es nicht schaffen, das eine ohne das andere aufzulösen. Im Kapitalismus und mit der parlamentarischen Demokratie werden es halt immer kleine Errungenschaften bleiben, so wie das Selbstbestimmungsgesetzt, was ja auch richtig wichtig ist. Aber damit Menschen sich frei entfalten können, damit wir irgendwann vielleicht mal auch nicht binäre Menschen akzeptieren können, auch in der breiten Gesellschaft, braucht es eine freiere Gesellschaft von Grund auf.
Ich verstehe nicht, wie man in dieser Gesellschaft individualistischen Ziele verfolgen kann. Und ich versteh auch nicht, wie man das vor 30 Jahren machen könnte, aber jetzt noch viel weniger. Die Mehrheitsgesellschaft tut das. „Ich achte jetzt auf mein Glück und ich mache jetzt meine Ausbildung. Ich arbeite, ich heirate, kaufe ein Haus und kriege Kinder.“ Wir müssen breit gesellschaftlich aufwachen. In den USA ist man ja an einem ganz anderen Punkt und auch da: die Mehrheitsgesellschaft nimmt das hin. In Deutschland sind wir seit Jahren dabei, die rechteste Politik zu machen, und das nimmt jetzt auch neue Ausmaße an im Koalitionsvertrag. Ja, Faschismus aus der politischen Mitte. Und ich habe Angst, dass wir das in Deutschland einfach so hinnehmen. Ich glaube, eine eigene Betroffenheit alleine reicht aus, damit ich das nicht kann. Ich kann mir jetzt keine Zukunft aufbauen.
Sondern ich muss für eine Zukunft kämpfen, in der ich leben möchte. In dieser Gesellschaft möchte ich das nicht. Allein dadurch, dass ich jüngere Geschwister habe und eine der jüngeren Schwestern ist auch hoch schwanger. Also es gibt direkt in meiner Umgebung eine Generation nach mir und das hat irgendwie auch noch so ganz viel bei mir geändert.
Ich würde das auch gerne machen können. Ich würde jetzt sagen okay, ich mach mein Ding und scheiß drauf, soll die Welt um mich rum untergehen. Hauptsache ich bin irgendwann passable. Ganz viel Operation, damit ich irgendwie in dieser Gesellschaft klarkomme. Würde ich gerne. Kann ich nicht! Weil der Gedanke, wie unsere Welt aussieht, wenn das Kind von meiner Schwester mal so alt ist wie wir jetzt. No way, 20 Jahre? Ich habe schon Angst vor fünf Jahren! Denn es wird passieren, dass die AfD stärkste Kraft ist. Weil wir deren Politik seit Jahren machen. Und die AFD wird sagen, wir machen das dann noch mal richtig. Aber wegen Menschen nach mir kann ich nicht aufgeben. Ja, auch wenn es in letzter Zeit schon etwas schwierig ist.“

Über Queer Joy und das weiter Kämpfen
Hannah: Was für Räume helfen dir besonders, zu entfliehen?
Zum Beispiel das Para. Wichtig bei den Räumen ist einfach dieses bestimmte Gefühl. Ich fühle mich dann ganz anders, als wenn ich rausgehe und einkaufen gehe. Ich gehe dahin, ich zieh mir etwas Tolles an und schmink mich. Sobald ich da bin, denke ich überhaupt nicht mehr drüber nach. Sonst ist es das Gegenteil. Egal was ich mache, ob ich nur lackierte Nägel hab oder geschminkt bin, mich mehr zeigen möchte oder weniger. Ich merke da direkt Reaktionen, auch wenn es nur Nägel sind. Und dann die permanente Auseinandersetzung damit, wie ich aussehe oder wahrgenommen werde. Das ist das Traurigste, die Fremdwahrnehmung. So viele queere Räume gibt es leider nicht. Aber Privaträume gehen natürlich auch, sich mit Menschen zu treffen, bei denen ich mich wohlfühle.
Wie erhältst du deinen Kämpfer*innen Geist?
Ich glaube, ein bisschen bin ich einfach so. Gedanken ans Aufgeben bin ich immer aus dem Weg gegangen. Ich frage mich: „Wie kann ich die Welt besser machen für die Menschen um mich rum und nach mir?“ Ich glaube, das muss unser aller Verpflichtung sein. Und ich denke auch, dass ich das versuchen muss. Ich kann so kampflos auf jeden Fall nicht aufgeben. Es ist sehr, sehr, sehr schwer, Hoffnung zu haben. Aber es wäre noch viel schwerer oder fast unmöglich, keine Hoffnung zu haben. Ich meine, wir stehen vor dem Kollaps dieser Erde. Gebiete werden unbewohnbar werden, Ressourcen-Knappheit. Entweder kommen wir zu einem Kommunismus oder irgendwann gibt es nur noch die Reichen.
Man muss einfach hoffen, dass es irgendwann vielleicht besser ist. Ja, ich glaube, mit den richtigen Menschen Umgeben ist die Strategie. Also zu sehen, es gibt Menschen, die sich die gleichen Gedanken machen, ist wichtig. Es ist sehr schade, dass ich wenig Kapazitäten habe. Ich habe starke Depressionen und ich komm nicht raus. Dadurch ist connecten eher schwierig. Aber politischer Aktivismus ist der „way to go“. Ich möchte irgendwo aktiv sein und das Gefühl haben, ich mach mehr, als hier zu hocken. Ich denke super viel nach und das macht nichts außer mich runterziehen.
Eigentlich bin ich gerade an einem Punkt, an dem es mir so gut geht wie noch nie in meinem Leben. Früher habe ich einfach alles verdrängt. Jetzt fühle ich mich in mir selber so wohl wie noch nie. Ich zieh an was ich will, ich schminke mich und auch wenn ich meinen Körper noch abscheulich finde, bin ich an einem Punkt, an dem ich richtig glücklich sein könnte.
Aber das, was die Gesellschaft mit mir macht, das ist ultraschade.
Bei all dem was Schreckliches passiert, was bedeutet für dich „Queer Joy“?
Ich hab mich mein Leben lang unterdrückt und eine Seite von mir komplett weggeschoben und queer Joy ist das Gegenteil, also die Befreiung. Ich war vor einem Monat auf einem Kiki Ball. Da war ein Haufen fabulous persons. Alle sahen so toll aus. Und diese Energie! Alle waren super happy. Ich hab mich befreit gefühlt und konnte mich ganz anders verhalten.
Gibt es Dinge die du dir selber aus der Vergangenheit manchmal gerne sagen würdest? Gibt es Dinge die du queeren Menschen sagen möchtest, die noch nicht befreit leben können?
Schwierig. Mir persönlich würde ich gerne sagen, dass ich mich nicht verstecken kann. Weil ich es immer verdrängt habe, ich habe aktiv vermieden, mich mit Trans-Menschen auseinander zu setzen. Hätte ich mich über andere Trans-Menschen informiert, hätte ich gewusst: ich bin normal und ich muss diese Dinge tun, damit es mir besser geht, das muss passieren, und je früher, desto besser! “Bis vor einem Jahr war ich nicht ich selber. Und das wird mir jetzt auch erst richtig deutlich. Dass ich 20 Jahre lang Verhaltensweisen und Sozialstation durchgemacht habe. Und je länger, desto schwieriger wird es.“
Hast du eine Utopie für dich selber im Kopf, oder ist es gerade alles einfach nur Schadensbegrenzung und copen?
Ne, absolut, ich glaub es ist es auch wichtig, eine Utopie zu haben. Ja, ein international solidarisches Miteinander, kommunistisch. Ich denke, dass, sobald die Mehrheitsinteressen wirklich im Fokus stehen, dann ist es den Menschen auch ein bisschen egaler, ob hier viele Ausländer und queere Menschen sind.
Hannah P.
Schreibe einen Kommentar