Kaum einer Einzelperson folge ich die letzten Wochen so gerne und aufmerksam wie meinem früheren Oldenburger Prof Michael Daxner auf seinem Blog. Auch bezüglich Corona hat er einiges zu sagen, auch wenn er das eigentlich nicht will. In seinen Texte stehen andere Themen im Vordergrund, aber am Thema Corona kommt man nicht mehr vorbei, auch ich nicht.
Die Privilegierten und „die Anderen“
Die Privilegierten trinken auf dem Markt ihren Aperol, tätigen ausgiebige Einkäufe, wechseln sich im HomeOffice ab, besuchen den Spielplatz, gehen Nacktrodeln (bitte was????) wie Lenz Jacobsen auf ZEIT online am 17.3. richtig kommentierte. Die weniger Privilegierten stehen im Discounter vor den Regalen und bekommen ihre Waren nicht mehr. Dass es genug für alle gibt, ist klar. Aber mehrmals am Tag oder in der Woche zum Supermarkt zu gehen, um Klopapier zu bekommen, oder um 7 Uhr morgens oder um 22 Uhr abends, wenn die Regale möglicherweise noch oder schon voll sind, muss man schaffen. Die (oder der) Alleinerziehende schafft es jedenfalls nicht. Der alte Herr ohne soziales Netz schafft es nicht, die Menschen in der Pflege schaffen es nicht… Unterdessen gehen die Menschen mit genügend bourdieu’scher Freiheit, die mit sozialem und ökonomischem Kapital, morgens schnell einkaufen. Wenn es im Supermarkt nicht alles gibt, dann eben in den Bioläden (ja, auch ich!) und vielleicht noch einen Kaffee trinken (nein!). Dann HomeOffice und danach eine kleine Joggingrunde oder eine sonnige Stunde im Garten.
Was in den Sozialen Netzen im Moment sehr präsent ist (neben vielen wirklich guten Aufrufen!): „Besinnen wir uns doch mal auf uns selber, verbringen wir Quality Time mit der Familie, machen wir doch mal mehr Yoga oder fangen an zu meditieren… Wie wäre es mit Sprachen lernen oder Stricken?“ Dass man mit seiner Zeit bessere Sachen machen kann als draussen zu saufen, ist durchaus ein richtiger Gedanke und auch, dass man sich diese fürchterliche Zeit so gut wie möglich gestalten soll, ist richtig. Aber Besinnung auf das Wesentliche? Zeit für sich genießen? Menschen sterben, viele vereinsamen, emotional instabile Menschen kommen nicht allein zurecht, die häusliche Gewalt steigt und eine Menge Menschen haben berechtigte Existenzängste. Viele, sehr viele Menschen leben auf kleinem Raum, da gibt es keinen Garten, oft auch keinen Balkon. Da gibt es vier Wände und den Fernseher. Vielleicht auch zu viele Menschen für die vier Wände. Und man kann nicht raus, nicht durchatmen, nicht kurz alleine sein. Was zum Teufel ist daran positiv?
Ja, ich gehören zu den Privilegierten. Ich habe Glück. Möglicherweise kaufe ich mir noch Tickets für Online-Lesungen oder -Konzerte, um Menschen zu unterstützen, die nicht mehr wissen, woher ihr Einkommen kommen soll. Ich mache HomeOffice und zumindest für die nächste Woche wechsel ich mich 50/50 zuhause mit Arbeit und Kinderbetreuung mit meinem Mann ab. Ich habe es gut. (Trotzdem mache ich mir viele Sorgen – was passiert mit den älteren Familienmitgliedern, kann ich im Sommer mein zweites Kind noch im Krankenhaus zur Welt bringen und zwar MIT Partner und MIT Personal, wo soll dann unser Sohn hin, wenn er nicht zu den Großeltern darf…)
Wenn man selber Sorgen hat, kann man oft schwerlich an andere/s denken.
Und, um den Bogen zu Michael zu schließen: Derzeit verhungern Menschen vor den Toren Europas, die fester denn je verschlossen sind, Kinder sterben, 300 kommen rein, 4700 nicht. Ohne Eltern, ohne Bett, ohne Essen. Sie müssen draussen bleiben, während wir auf dem Markt weiter Weißweinschorle trinken und so tun, als wäre nichts… Es scheint, als bräuchten die Deutschen die Autorität, die ihnen vorschreibt – mit Gesetzen und Strafen – wann Schluss ist. Im Umkehrschluss offenbaren sie damit eine Hörigkeit auf Autoritäten, die mich schaudern lässt. Die eigene Verantwortung und Bürgerpflichten werden abgegeben. Es sind ja „nur die Alten“… Nur die Alten, nur die Kranken… Sinkt mit dem Alter also der Wert eines Menschen? Nur junge und gesunde Menschen haben das Recht zu leben (zumindest, wenn sie Europäer*innen sind, junge Syrer*innen/Afghan*innen/… haben anscheinend nicht das Recht zu leben, wenn, dann höchstens irgendwie das Recht zum Überleben…)? Also, nur jung und gesund? Hatten wir das nicht schonmal…? Oh, diese scheinbar unterschiedliche Wertigkeit der Menschen sitzt so tief…
Born, Martina meint
Ich arbeite in meiner Homeoffice meiner Schule daran, dass die sozial benachteiligten Jugendlichen an den Erungenschaften des homelearnings teilhaben können und auch den Mut finden neue Schritte in die Bildungszukunft zu wagen. Die Lernumgebungen sind zum Teil sehr schwierig einzurichten.
In Ehrenamt liegen fünf Jahre täglicher Hilfe für die Säuglinge und Kinder dieser Zeit hinter mir, die Kräfte kommen jetzt so langsam wieder, da ich meine vernachlässigten Privatkontakte in der jetzigen Wartezeit wieder aufnehmen konnte.
Es ist außerordentlich hilfreich sich durch die Frauenseiten solidarisch zu fühlen
bei aller Vielfältigkeit unseres Seins.
Zuversichtliche Frühlingsgrüße
M.Born