Das Internet hat heutzutage nahezu all unsere Lebensbereiche durchdrungen und ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Es hat auch den Bereich des politischen Aktivismus verändert und um eine Vielzahl an neuen, digitalen Möglichkeiten ergänzt. Gerade in Zeiten von Corona verlagern viele Bewegungen ihren Protest ins Internet. Doch wie funktioniert Online-Aktivismus und wo sind seine Stärken und Schwächen?
Wie bei der analogen Form von Aktivismus geht es auch beim Online-Aktivismus um das Formulieren von Protest, um die Mitgestaltung gesellschaftlicher Prozesse und um politische Partizipation. Die konkrete Form des Aktivismus kann dabei sehr vielseitig sein. Die wohl bekannteste Form von digitaler Partizipation sind Online-Petitionen. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Abgeordnete oder Politiker*innen direkt zu kontaktieren oder auf kommunaler Ebene an Bürger*innenbefragungen teilzunehmen. Natürlich kann Frau auch eigene politische Beiträge verfassen, in Form von Blogs oder Ähnlichem. Häufig wird die digitale Komponente jedoch lediglich als Netzwerk und zur Kommunikation genutzt, beispielsweise um zu Demonstrationen aufzurufen. Die Klimabewegung Fridays for Future nutzt soziale Netzwerke verstärkt auf diese Art und schafft es damit regelmäßig Zehntausende Menschen zu mobilisieren.
Digitale Bürger*innenbewegung: Online-Aktivismus
Nicht nur Einzelpersonen werden online aktiv, mittlerweile gibt es viele Organisationen und Verbände, die Online-Aktivismus nutzen und vorantreiben. Einer dieser Vereine ist Campact, der sich als Bürger*innenbewegung versteht. Regelmäßig rufen sie zu großen Demonstrationen auf, sammeln über Online-Petitionen Unterschriften und überreichen diese medienwirksam Vertreter*innen aus Politik und Wirtschaft. Der letzte große Erfolg von Campact war, dass die Supermarktkette Edeka dem Druck nachgab und sich öffentlich gegen den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro und dessen Klimapolitik positionierte. Zuvor hatten sich schon einige britische Lebensmittelkonzerne zusammengetan und gefordert, dass der Amazonas-Regenwald erhalten werden müsse und mit einem Boykott gedroht.
Ein weiteres Beispiel für Online-Aktivismus ist die Kampagne #NotHeidisGirl der Vulvarines. Die Kampagne richtet sich gegen die TV-Sendung Germanys Next Topmodel und prangert die dortige Objektifizierung von Frauen an. Die Kampagne setz sich für mehr körperliche Vielfalt und Empowerment ein. Zahlreiche Frauen teilten den Hashtag und auch die Organisation Pinkstinks griff den Hashtag auf und produzierte mit ein paar Hamburger Schülerinnen einen entsprechenden Song mit Musikvideo. Nach der großen Resonanz im Internet und einer gesellschaftlichen Debatte, reagiert der Sender nun scheinbar auf die anhaltende Kritik. Im Jahr 2021 soll in der Show ein neues Konzept bekommen und diverser werden. Wie genau das aussehen soll, bleibt abzuwarten.
Hoffnung und Schattenseiten
In die Partizipationsmöglichkeiten des Internets werden oft große Hoffnungen gesteckt. Durch den einfachen und vergleichsweise niedrigschwelligen Zugang können sich mehr und vor allem andere Menschen als sonst beteiligen. Ein weiterer Vorteil ist, dass Protest über das Internet kostengünstig ist, da er wenig zeitliche und materielle Ressourcen benötigt. Außerdem können politische Anliegen durch die sozialen Netzwerke schnell eine sehr hohe Reichweite erzielen und viele Menschen erreichen, wodurch Themen in den öffentlichen Diskurs gelangen.
Doch schaut man sich an, wer Online-Aktivismus nutzt, sind zumindest Teile der Hoffnung, dass sich durch den einfachen Zugang andere Menschen als sonst politisch engagieren, hinfällig. Denn eine Studie der Humboldt Universität aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, dass in etwa die gleichen Personen Online-Aktivismus betreiben, wie auch in der analogen Welt. Digital beteiligen sich 18- bis 35-Jährige besonders aktiv und Männer etwas mehr als Frauen.
Auch ohne eine große Organisation kann Online-Aktivismus etwas erreichen. Ein gutes Beispiel dafür ist die #MeToo-Bewegung. Sie sorgte dafür, dass weltweit eine gesellschaftliche Debatte über sexuelle Gewalt und Missbrauch entstand und nach Analysen der New York Times aus dem Jahr 2018, verloren im Zuge dieser Bewegung ca. 200 mächtige Männer ihre Jobs.
Wird Frau jetzt also durch einen politischen Tweet zur Aktivistin? Wohl eher nicht. Der kritische Ausdruck für Online-Aktivismus bezeichnet diesen als Klicktivism. Ein einzelner Klick oder Like zeigen demnach wenig Wirkung, denn selbst große Online-Bewegungen können in der realen Welt ohne Wirkung bleiben. Ein Beispiel hierfür ist der Hashtag #BringBackOurGirls, der großes internationales Aufsehen erregte und die Terrorgruppe Boko Haram aufforderte, entführte nigerianische Schulmädchen zurückzubringen. Jedoch ohne Erfolg.
We demand that the Nigerian government and the international community rescue the #112ChibokGirls who remain in Boko Haram captivity 6 years on.
We must not forget that #LeahSharibu #AliceNgaddah & many more women & girls are held captive. #BringBackOurGirls Now and Alive! https://t.co/1hCzcekzCB
— Bring Back Our Girls NYC (@BBOG_NYC) November 16, 2020
Doch selbst wenn die Erfolge von Online-Aktivismus oftmals schwer messbar sind, so ist seine große Stärke die Möglichkeit, eine hohe Reichweite für ein Thema zu schaffen und einen öffentlichen Diskurs anzustoßen. Außerdem ist es gar nicht so schwer selbst aktiv zu werden und es lohnt ein Versuch, gesellschaftliche Prozesse anzustoßen. Am erfolgreichsten ist dieser Protest allerdings, wenn er auch über das Internet hinaus reicht.
Johanna Fischer
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