Triggerwarnung: Dieser Bericht beschreibt einen Todesfall. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend und retraumatisierend finden. Lest diesen Text also nur, wenn ihr euch psychisch stabil genug fühlt.
Prozessbericht vom 8.1.2025
Auch im neuen Jahr waren wir vor Ort, um die Aufklärung und Aufarbeitung zu einem möglichen Femizid zu verfolgen. Die letzten neun Termine und deren Zusammenfassung könnt ihr auch auf unserem Blog nachlesen.
Heute wurden ein Zeuge und eine Sachverständige angehört.
Der Zeuge
Der Zeuge entschuldigte sich zunächst für sein Nichterscheinen beim vorigen Termin. Er habe seinen Briefkastenschlüssel verloren und deshalb nichts von der Vorladung gewusst. Er hat den Angeklagten lange Jahre sowohl freundschaftlich als auch als Kollege gekannt. In ihren Gesprächen bei der Nachtschicht bei einem Sicherheitsunternehmen habe der Angeklagte oft durcheinander gewirkt: Er habe vom Tod seiner Mutter und von der Alzheimererkrankung seiner Schwiegermutter erzählt. Man habe sich damals (2015) auch über „illegale Einwanderung“ und über Schreckschusswaffen unterhalten. Es wurden Videos angeschaut und schließlich gemeinsam Schreckschusswaffen gekauft: Eine Walther P99, ein Zoraki Revolver und ein Druckluftgewehr. Der Zeuge, der behauptete, sich gut mit Schusswaffen auszukennen, schenkte dem Angeklagten auch ein Gewehr. Sie verbrachten gemeinsam Campingabende. Bis zur Coronazeit habe die Freundschaft gehalten.
Die Geschädigte habe der Zeuge nicht so oft gesehen. Ihm war, als ob der Angeklagte sie fernhalten wolle. Er fand es auffällig und bedeutsam, dass der Angeklagte öfter über die Rente der Geschädigten gesprochen habe (sie war in Frührente), aber nicht über Liebe oder Zuneigung. Die Freundschaft ging zunehmend auseinander, weil der Zeuge den Angeklagten als nicht authentisch und unzuverlässig erlebte. Seiner Meinung nach hätte der Angeklagte die Tat zwar begehen können – aber davon hätte er keinen Vorteil gehabt: Die Rente der Geschädigten wäre dann weg gewesen.
Bei einer Psychiatrie-Einweisung 2020 wollte der Angeklagte den Zeugen als Betreuer einsetzen lassen. Der Zeuge habe dies abgelehnt. 2022 rief ihn der Angeklagte an und wollte wegen eines vermuteten Schlaganfalls ins Krankenhaus gebracht werden – er würde sich noch mal melden. Der Zeuge war beunruhigt, rief eine gemeinsame Bekannte an und erfuhr, dass der Angeklagte im Taxi ins Krankenhaus gefahren war. Später habe er um Hilfe gebeten, weil er arbeitslos geworden war. Weil der Angeklagte oft komplett anders gehandelt habe, als abgemacht war, haben sich beide entfremdet. Er sei „jemand, der mir nicht gut tut“. Er sprach schlecht über seine Lebensgefährtin und wollte einmal bei dem Zeugen übernachten, „auf dass kein Unfall geschehe“.
Befragung des Zeugen
Die Befragung des Zeugen durch den Richter ergab Folgendes: Über scharfe Waffen sei nicht gesprochen worden. Der Angeklagte sei schwerer Alkoholiker und meistens nicht fahrtüchtig gewesen. Er habe eine Knieverletzung gehabt, danach sei er ein Jahr krank geschrieben gewesen und gehe seitdem mit dem Rollator. Die Frage des Richters nach einer psychischen Erkrankung konnte der Zeuge nicht beantworten, da er die Diagnose nicht kenne. Der Angeklagte habe immer gesagt: „Die alle sagen mir nichts“. Der Zeuge fügte hinzu, die Geschädigte habe eine starke Schulter gebraucht – das sei der Angeklagte aber nicht gewesen. Die Nachfragen, ob es Gespräche über Munition gegeben habe und ob beide Videos über Pfefferspraywaffen geschaut hätten, beantwortete der Zeuge ausweichend, da er es nicht mehr genau wisse. Abschließend wollte der Richter wissen, ob der Angeklagte Kenntnisse über Schreckschusswaffen gehabt habe. Dazu der Zeuge: Der Angeklagte habe mal in der Küche beim Zeugen gestanden und es habe sich ein Schuss gelöst. Unabsichtlich. Sowas käme nicht vor, wenn man sich mit Waffen auskenne. Es wäre die Waffe des Zeugen gewesen. Eine Automatik, Walther 99.
Die Sachverständige
Sie gab ihr psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten in zwei Teilen.
Exploration

Zunächst beschrieb sie, wie der Angeklagte ihr relativ spontan die Ereignisse des 24. / 25. Januar 2024 geschildert hat. Diese Aufzählung entspricht den von der Kripo ermittelten Tatsachen. Dann habe er vieles über seine Situation erzählt; dass er nicht in sein Haus konnte, dass ihm alles fehlte – Ausweis, Medikamente, Geld, dass er bei einer Freundin wohnen musste, sein Hund sei im Tierheim.
Schmauchspuren seien bei ihm gefunden worden, weil er ein Gewehr mit Pfefferspray geladen habe. Das sei wegen Umtriebigkeiten in der Gegend gewesen. Überhaupt habe man ihn bei der Bundeswehr „nicht für Dienst an der Waffe geeignet“ befunden, weil er nicht einmal auf Pappkameraden habe zielen können, sondern immer daneben geschossen habe. Nie im Traum habe er daran gedacht, dass er sich mal wegen so etwas vor Gericht finden würde. Den Tattag schilderte er sehr deutlich und ausführlich.
Seine letzte Ehefrau – er war dreimal verheiratet – starb 2018 an einem Schlaganfall. Er habe sie geliebt und sei im schweren Schock gewesen. Er hätte viel getrunken, sich mit seiner Schwiegerfamilie überworfen und ein Auto angezahlt. Dann habe er sich mit den Stiefkindern geeinigt und ihnen das Geld zurück gegeben. Bei einer Alkohol-Entziehungskur 2019 habe er dann seine spätere Lebenspartnerin kennengelernt. Sie sei manisch depressiv gewesen. Als er vor ihr entlassen wurde, holte er sie am Wochenende ab und brachte sie in sein Haus – eigentlich das Haus seiner verstorbenen Frau.
Die Lebensgefährtin war Krankenschwester gewesen, aber wegen ihres Gesundheitszustands in Frührente. Diese Rente habe sie dann auf sein Konto auszahlen lassen. Sie habe ihre Medikamente wegen der Nebenwirkungen ausgesetzt, sei dann aggressiv geworden und habe „rumgeschrien“. Die Nachbarn hätten sich beschwert. Sie sei dann wieder ins Krankenhaus gekommen und bei ihm ausgezogen. Alles sei dann 2023 harmonischer geworden, es habe keinen Streit mehr gegeben und sie hätten zusammen viel unternommen. Spontan sagt er, er habe ihre Depression nicht ernst genug genommen.
Anamnese
1957 in Bremerhaven geboren, habe der Angeklagte eine unauffällige, glückliche Kindheit gehabt. Er habe gearbeitet, wäre aber auch zehn Jahre arbeitslos gewesen. Mit dem Zeugen zusammen habe er im Sicherheitsdienst und Objektschutz gearbeitet. Auch bei der Feuerwehr habe er gearbeitet, bis er 2016 durch einen Knie-Unfall berufsunfähig geworden sei.
Er habe drei Mal geheiratet. Die erste Ehe habe nur ein Jahr gehalten. Beim dritten Mal sei er sehr glücklich gewesen. Die Stieftochter habe nun sein Haus verkauft – eigentlich das Haus ihrer Mutter. Auch habe er einen unehelichen Sohn.
Seit 2024 befindet sich der Angeklagte in der JVA. Eine umfangreiche rechtliche Betreuung ist empfohlen und beantragt.
Insgesamt sei der Angeklagte unauffällig, aber alkoholabhängig. Seine Angaben zu bewerten sei schwierig, mehr könne sie nicht sagen.
Befundbericht
Ob er Alkohol vor oder nach dem Tod der Lebenspartnerin getrunken habe, sei nicht zu ermitteln gewesen. Er behauptete, es sei nachher gewesen, wegen des Schocks. Er brauche psychiatrische Betreuung.
Zur „Alkoholabhängigkeit“ erklärt die Sachverständige dem Richter, dass der Angeklagte zwar „psychiatrisch“ alkoholabhängig sei; aber „psychiatrisch-forensisch“ sei dies nicht eindeutig.
Das Jahr 2023 sei seinen Angaben zufolge „harmonisch“ gewesen, weil seine Lebenspartnerin depressiv gewesen sei und nicht soviel von sich gegeben habe. Sie habe aber Selbsttötungsabsichten geäußert.
Der Anwalt der Nebenklage fragt nach der Herkunft der Tatwaffe und ob sie scharf geladen gewesen sei. Die Sachverständige: Er habe sich dazu nicht geäußert. Der Anwalt der Nebenklage merkt an, dass die Tochter der Geschädigten jetzt in einer Tagesklinik in Bremerhaven behandelt würde.
Der Richter setzt den nächsten Termin für den 15.1.25 um 13:30 Uhr an.
Glenys Gill
Schreibe einen Kommentar