Triggerwarnung: Dieser Bericht beschreibt einen Todesfall. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend und retraumatisierend finden. Lest diesen Text also nur, wenn ihr euch psychisch stabil genug fühlt.
Prozessbericht vom 15.1.2025
Wir berichten weiterhin vom Prozess um einen mutmaßlichen Femizid in Bremerhaven. Die letzten zehn Termine und deren Zusammenfassung könnt ihr auch auf unserem Blog nachlesen.
Zunächst kündigt der Richter eine Änderung im Ablauf der Sitzung an. Heute hätten Staatsanwalt und Verteidiger ihre Plädoyers abgeben sollen. Doch am Vortag sei ein von der Nebenklage angefordertes Dokument beim Gericht angekommen, und zwar die Arzt- und Entlassbriefe der Geschädigten aus den Jahren 2022 und 2023. Alle waren mit öffentlicher Vorlesung einverstanden.

Die medizinischen Unterlagen
Die Geschädigte sei mehrmals über die Notaufnahme aufgenommen worden (auch in eine weitere Klinik). Sie soll unter anderem mehrfach versucht haben, Möbel oder Gegenstände anzuzünden und habe immer wieder Suizidgedanken geäußert. Sie soll einmal ihren Lebenspartner gebeten haben, sie zu erschießen. Dazu hatte sie heftige Kopf- und Brustschmerzen. Ihre Diagnosen lauteten auf: paranoide schizophrene Störung, rezidivierende depressive Störung, Enzephalomyelitis (Chronic Fatigue Syndrome), Verdacht auf Multiple Sklerose, missbräuchlicher Alkoholkonsum und PTBS.
Die Posttraumatische Belastungsstörung sei aufgrund Missbrauchs sowohl im Elternhaus als auch durch ihren zweiten Ehemann, sowie durch das schlechte Verhältnis zu ihrer Tochter und durch häufige Trennungssituationen entstanden. Im Laufe der zwei Jahre erfolgten immer wieder Einweisungen aufgrund von oben genannten Symptomen und Entlassungen aufgrund deutlicher Verbesserungen und der Abgrenzung von suizidalen Gedanken. Ihre letzte Entlassung war am 8.4.2023 mit deutlicher Abgrenzung von suizidalen Gedanken, ohne Hinweise auf Eigen- oder Fremdgefährdung. Einen letzten Termin hatte sie verpasst.
Damit verkündete der Richter das Ende der Beweisaufnahme und ging zu den Plädoyers über.
Plädoyer des Staatsanwalts
Der Staatsanwalt rekapituliert die bekannten Ereignisse vom Tattag und spricht zum Angeklagten: „Sie fassten den Entschluss, ihre Lebenspartnerin zu töten durch einen aufgesetzten Kopfschuss.“ Dieser habe einen Durchschuss des Großhirns verursacht, wobei die Geschädigte zunächst noch gelebt und gestöhnt habe. Nach Angaben des Sachverständigen der Gerichtsmedizin hätte es keine Befunde für eine eigene Schussabgabe der Geschädigten gegeben. Bei der Verstorbenen wären für eine Schussabgabe ungewöhnlich wenige Schmauchspuren gefunden worden: „Sie hätte Handschuhe tragen müssen“.
Der Angeklagte habe Gespräche mit Zeug*innen über Schussabgaben und das Entfernen von Schmauchspuren geführt. Ferner habe er keine Hilfe geleistet, obwohl er das Röcheln der Verstorbenen gehört habe, sondern lediglich die Waffe aufgehoben und auf den Tisch gelegt. Bei dem sicher aufgesetzten Kopfschuss sei der Einschusswinkel untypisch für Suizid. Bei Suizid hätte der Schuss nur mit einer möglichen Hand der Gefährdeten getätigt werden können, an dieser wurden keine Back-Splitter gefunden, welche nach Schusswaffengebrauch erkennbar gewesen wären. Ein Motiv lasse sich nicht aufklären.
Der Staatsanwalt plädierte auf Strafbarkeit des Angeklagten bezüglich vollendeten Totschlags und Verstoß gegen das Waffengesetz, und forderte neuneinhalb Jahre als Strafmaß. Es sei kein minder schwerer Fall, aber der Angeklagte sei vorher nie strafrechtlich in Erscheinung getreten. Auch würdigte er seine schwierige Beziehungssituation. Er hält es dem Angeklagten zugute, dass er den Notruf abgesetzt und in der Folge mit der Justiz zusammen gearbeitet habe.
Plädoyer der Nebenklage
Der Anwalt der Nebenklage schloss sich dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft an. Er bemerkte, dass seine Mandantinnen – Schwester und Tochter der Verstorbenen – genau wissen wollten, was an diesem Tag geschah und dass dies im Verlauf des Prozesses nicht geklärt werden konnte. Die Geschädigte hätte ihr ganzes Leben nichts mit Schusswaffen zu tun gehabt, dagegen sei der Angeklagte nachweislich waffenaffin. Er monierte, dass der Angeklagte im vollen Wissen um die Suizidalität seiner Lebenspartnerin Schusswaffen besorgt und ins Haus gebracht habe. Die Beziehung der beiden sei schwierig gewesen, habe sich aber 2023 deutlich gebessert. Bei der letzten Klinikentlassung habe zudem die Geschädigte keine suizidalen Gedanken mehr gehabt, auch danach wären keine mehr nachgewiesen worden.
Danach beendete der Richter den heutigen Gerichtstermin und kündigte den nächsten am 20.1.2025 um 9:00 Uhr an. Der Angeklagte wurde von Justizbeamt*innen ins Gefängnis zurück gebracht.
Glenys Gill
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