Triggerwarnung: Dieser Bericht beschreibt einen Todesfall. Einige Leser*innen könnten das beunruhigend und retraumatisierend finden. Lest diesen Text also nur, wenn ihr euch psychisch stabil genug fühlt.
Im Landgericht Bremen findet von September bis voraussichtlich Januar der Prozess um den 66-Jährigen Mann aus Bremerhaven statt, der seine Lebensgefährtin durch einen Kopfschuss getötet haben soll. Wir waren bei den ersten beiden Verhandlungstagen dabei und berichten euch von dem Geschehen. Diese Berichterstattung ist wichtig, da es sich um einen mutmaßlichen Femizid handelt. „Der Begriff Femizid steht für die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts„.
Prozesstag 7
Heute ist der 13.November und wir sitzen in einem kleineren Gerichtssaal, wodurch die Stimmung deutlich intimer
wirkt. Nach ein wenig Warten wird der Angeklagte in den Saal geführt, der Richter tritt ein und die Zuschauenden erheben sich.
Wir nehmen ein unbekanntes Gesicht wahr. Eine psychiatrische Sachverständige wurde zum Prozess hinzugezogen. Zu Beginn wird sie über den bisherigen Verlauf des Prozesses aufgeklärt. Der Richter wiederholt knapp die bisherigen Zeug*innen-Aussagen und den aktuellen Stand der Dinge. In unseren bisherigen Artikeln zum Prozess könnt ihr alle Informationen nachlesen: Teil 1, Teil 2 und Teil 3.
Wir werden uns heute nochmal die Notrufe anhören, die der Angeklagte am Tag des Geschehens tätigte, und im Anschluss einigen Telefonaten lauschen, die im Verlauf der Telekommunikations-Überwachung aufgezeichnet wurden, klärt der Richter auf.
Die Notrufe
Und so wird es still im Gerichtssaal und wir hören einem undeutlichen telefonischen Wortwechsel zu. Der Angeklagte erreicht unter der 112 einen Disponenten der Leitstelle und berichtet aufgewühlt, seine Frau habe sich erschossen. Infolgedessen wird er nach der Tatwaffe gefragt und aufgefordert, diese zu entladen. Rettungssanitäter seien unterwegs.
Kurze Zeit später erreicht die Leitstelle ein zweiter Anruf aus der Gaußstraße. Der Angeklagte meldete sich mit neuen Informationen über den Zustand der Geschädigten. Sie würde noch atmen und leben – sei aber bewusstlos. Wir hören, wie der Disponent der Leitstelle den Angeklagten auffordert, der Geschädigten zu helfen. Er solle sie in die stabile Seitenlage drehen und versuchen zu reanimieren. Der Angeklagte weist die Aufforderungen ab, erwidert, dass er nicht helfen wolle und die Geschädigte zu stark bluten würde. Im Anschluss lässt der Angeklagte das Telefon zurück, um die Haustür für die bald eintreffenden Sanitäter*innen zu öffnen. Das Gespräch wird einseitig. Der Disponent fragt noch einige Male nach dem Angeklagten und beendet schließlich das Telefonat, als er die Sanitäter*innen und Beamten am Tatort eintreffen hört. Weitere Details zu den Notrufen des Angeklagten find ihr in unserem 1.Prozessbericht.
Telefonüberwachung: Was der Angeklagte äußerte
Anschließend wird im Gerichtssaal das Audio von den Notrufen des Angeklagten zu anderen Anrufen gewechselt, welcher der Angeklagte oder Bekannte von ihm in den Wochen nach dem Tatzeitpunkt tätigten. Der Richter stellt nacheinander eine Reihe von Anrufen vor. Hauptsächlich spricht der Angeklagte mit Freundinnen, vereinzelt hören wir Gespräche, in denen zwei Frauen, ohne seine Anwesenheit, über den Angeklagten reden. Das Tonmaterial wurde der Telekommunikations-Überwachung entnommen. Zum einen derjenigen Telefonate, die nach dem Tattag von oder in das Wohnhaus getätigt wurden, und zum anderen Telefonate, die der Angeklagte über externe Telefone, wie beispielsweise dem einer Freundin, tätigte.
Oftmals berichtet der Angeklagte der Person am anderen Ende der Leitung von seiner Wahrnehmung des Umgangs der Ermittler*innen mit ihm. Sie hätten ihn wie einen Straftäter behandelt, er würde als Mörder abgestempelt worden sein und wolle nun gegen alles klagen. Er beklagte in mehreren Telefonaten, dass er die ersten drei Wochen nach dem Tattag nicht in sein Haus durfte und ihm seine Ausweispapiere weggenommen wurden. Er äußerte Unverständnis und Entsetzen über den Umgang der Ermittler*innen mit ihm, wobei ihm seine Gesprächspartner*innen in den zu hörenden Telefonaten zustimmen. Der Angeklagte erzählt in einem Telefonat der anderen Person, dass es der Schock seines Lebens sei und er in der nachkommenden Nacht, die er im Gefängnis verbrachte, durchgehend erbrochen habe. Die Trauer folgt, so sind der Angeklagte und eine Bekannte sich in einem der Telefonate einig, erst einige Zeit nach dem Geschehen.
Einige der Bekannten, mit denen der Angeklagte am Telefon spricht, erkundigen sich nach dem Tathergang, woraufhin der Angeklagte immer erklärt, dass er die Geschädigte am frühen Morgen des Tages schon mehrmals in der Küche angetroffen habe, sie abwesend wirkte, aber seine Nachfragen, ob alles in Ordnung wäre, stets bejahte. Sie sei lediglich müde gewesen. Etwas später habe er dann einen Knall gehört und die Geschädigte in der Küche liegen sehen.
Der Angeklagte erzählte einigen der Gesprächspartner*innen, dass er die Geschädigte nicht hätte umdrehen können, da er das Gesicht der Geschädigten zu dem Zeitpunkt nicht mehr hätte anblicken können. Er erzählte, dass er zwischen den beiden Notrufen auf der Toilette gewesen wäre und bei seiner Wiederkehr zum Tatort registriert habe, dass die Geschädigte noch zu atmen scheint.
Telefonüberwachung: Was Bekannte sich erzählen
In einem weiteren Telefonat, das im Gerichtssaal abgespielt wird, sprechen zwei weibliche Bekannte des Angeklagten über ihn. Das Wort „Wahrheit“ fällt und sie berichten einander, dass eine andere Bekannte des Angeklagten nun die Wahrheit wisse, da der Angeklagte das Verschweigen nicht mehr ausgehalten habe. Sie reden darüber, dass der Angeklagte Hilfe bräuchte, da er ein Alkoholproblem habe und sich im Zuge der Trauer stark gehen ließe. Im Laufe des Telefonates bestätigen sich die beiden Bekannten ihrer Ratlosigkeit, woher die Geschädigte die
Tatwaffe habe und berieten über den zukünftigen Standort der Hunde des Angeklagten, welche zu dem Zeitpunkt in einem Tierheim untergebracht worden waren. Der Ausschnitt des Telefonats wird nach einigen Minuten beendet.
Und damit beendet der Richter den siebten Prozesstag im Landgericht Bremen. Der Folgetermin der Gerichtsverhandlung wird vom Richter bestätigt und neue Zeug*innen von der Rechtsmedizin angekündigt.
Damit verlassen wir an diesem Tag das Gerichtsgebäude. Vor allem die Telefon-Gespräche waren lang und intim. Wir sind erleichtert, als wir den Saal verlassen.
Du brauchst Hilfe?
Internetseite: www.gewaltgegenfrauen.bremen.de
Das online Portal bietet eine Übersicht und Kontakte zu Anlaufstellen, unterteilt nach den unterschiedlichen Gewaltformen. Hier gibt es Angebote für Erwachsene sowie Kinder- und Jugendliche.
Telefonhotline: 116 016 – die Nummer ist kostenlos und bundesweit rund um die Uhr erreichbar. Sie kann auch ohne Handyguthaben genutzt werden.
Helena Bizarmanis
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