Der Titel ‚sie lieben – weil Selbstfindung keine Phase ist‘ lässt mich tief blicken. Erschienen ist das Buch im September 2023 im Allegria Verlag. Geschrieben von der LGBTQ+ Aktivistin Alexa Grassmann. Gelesen von mir. Zweimal. Einmal im Winter, und dann erneut in der ersten Bremer Frühlingssonne. Vögel zwitschern, die Luft riecht nach zarten, warmen Momenten und Wassereis auf meiner Zunge, Maiglöckchen grüßen langsam den Himmel. Während ich draußen sitze und das Buch auf meinem Schoß vertieft hin und her schiebe, kribbelt es in meinem Bauch. Die Natur erwacht und ganz offensichtlich erwacht auch mein Körper. Wieso lässt mich das Buch von Alexa Grassmann meinen ersten queeren Frühling 2024 spüren? Die Parallelen sind da …
Das erste Mal queere Liebe spüren
In ‚sie lieben‘ beschreibt die Autorin die ersten knisternden Gefühle zu einer Frau, ohne sich damals selbst darüber im Klaren zu sein. Die Zeilen im Buch katapultieren mich zurück in meine Teenagerjahre. Ich verspüre wieder dieses erste Gefühl von verknallt sein. Der größte Teil davon war damals jedoch überschattet von der Verwirrung. Diese Gefühle einem anderen Mädchen gegenüber zu spüren war neu, wundervoll, anders und wie ein langes, erstes Frühlingserwachen.
Sex, Sex, Sex und Orgasm Gap
Der Orgasm Gap wird in dem Buch thematisiert und beschrieben. Die Gründe hierfür sind nicht biologisch, sondern kulturell bedingt. Der weibliche Orgasmus wird noch immer als Büchse der Pandora verstanden, schwer zu begreifen, weil sich schwer mit dem Verständnis des weiblichen Körpers getan wird. Und mit dem Verständnis von Sex selbst. Für viele ist Sex die Penetration – da kann der queere Frühling doch nur schmunzeln. Die Möglichkeiten, die sich ergeben, können grenzenlos sein. Es sollte nur eine Grenze eingehalten werden: das Wohlbefinden. Alexa Grassmann beschreibt es mit den richtigen Worten: wir haben ein Recht auf Orgasmen! In diesem Frühling 2024 sollten wir alle auf diesem Recht bestehen. Egal ob Queer oder nicht.
Die Sonne lacht weiter, der queere Frühling in mir wird immer bunter und heller …
Queere Filme
Die queere Medienlandschaft ist nicht mehr so dünn wie vor zehn Jahren. Damals gab es den französischen Film „Blau ist eine warme Farbe“ mit den Schauspielerinnen Léa Seydoux und Adèle Exarchopoulos, basierend auf der Graphic Novel der Trans Person Jul Maroh. Ich erinnere mich noch gut, wie meine erste Freundin Lety diesen Film mit den einleitenden Worten ‚Das ist unsere Bibel‘ abspielte. Es war mein erster Film über lesbische Liebe und ich war begeistert. Auch Alexa Grassmann hat diese Erfahrungen gemacht, damals gab es schlichtweg kaum Alternativen. Dieser Film zeigt jedoch nicht den Female Gaze (die weibliche Sichtweise) und der männliche Regisseur stand im Nachgang in starker Kritik. Denn eins hat am Filmset gefehlt: wahre Lesben! Mein queerer Frühling freut sich über die Filmtipps, welche im Buch abgebildet werden.
Den anderen passt der queere Frühling nicht immer
Natürlich bespricht Alexa Grassmann in ihrem Buch ‚sie lieben‘ auch queerfeindliche Äußerungen. Ich erinnere mich noch gut, als mein queerer Frühling unterbrochen wurde. Voller Freude stand ich damals vor einer alten Schulfreundin und berichtete davon, nun eine feste Freundin zu haben. Ich war so glücklich. Ihre Reaktion war das Gegenteil: Ihre Worte ‚Du bist ja krank!‘ konnte ich nicht zuordnen. Wieso krank? Ich fühlte mich wie der Frühling selbst! Wenn ich diese Zeilen schreibe, spüre ich, wie sehr es mich damals aufgewühlt hat. Jetzt kann ich es einordnen. Ich weiß, es war die Angst vor dem Unbekannten, die damals aus ihr sprach und vermutlich heute noch immer aus ihr sprechen wird. Bekannte Strukturen müssen beschützt werden. Bunte Menschen, die frei nach ihrem Herzen handeln und im queeren Frühling wohnen könnten dieses System stürzen – mit Liebe, Glitzer und echtem Selbstbewusstsein.
von Anneke Wissmann
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