Ruanda kann 61,3 Prozent Frauen im Parlament vorweisen – in Deutschland sind es nur 31,3 Prozent. Damit ist Ruanda Spitzenreiter weltweit. Wie kam es zum raschen Aufstieg der Frauen in dem zentralafrikanischen Land? Was läuft dort besser für die Frauen und was nicht?
Ruanda – welche Assoziationen haben wir zu dem Land? Vermutlich fällt vielen von uns als erstes der Völkermord von 1994 an den Tutsi ein und nicht die große politische Partizipation von Frauen. Tatsächlich aber hängt beides miteinander zusammen. Der Genozid im Jahr 1994 war ein sehr dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte. Nach jahrzehntelangen Konflikten zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen in dem Land, zu denen die ehemaligen deutschen und belgischen Kolonialmächte erheblich beigetragen hatten, kam es nach einem Attentat auf den Präsidenten zu 100 Tagen des grausamen Genozids. Die ethnische Mehrheit der Hutu dominierte das Land politisch. Nach dem Attentat auf den Präsidenten, der ebenfalls Hutu war, stachelte die Regierung zahlreiche Hutu zum Mord an der Tutsi-Minderheit auf. Zwischen 800 Tausend und 1 Million Tutsi und einige Tausend Hutu wurden ermordet – ohne dass die Vereinten Nationen eingriffen.
Ruanda nach dem Genozid – einmalige Chance für Frauen
Vor dem Genozid hatten Frauen in Ruanda nur wenig Rechte. Sie wurden meist als Eigentum des Mannes betrachtet, festgenagelt auf die Rolle als Hausfrau und Mutter.
Nach dem Genozid veränderte sich einiges für Ruandas Frauen. Zahlreiche Frauen gingen in die Politik und erließen frauenfreundliche Gesetze – so konnten Frauen erstmals erben, Gewalt an Frauen wird stärker bekämpft und die Bildung von Mädchen und Frauen wird gefördert. Seit 2003 gibt es im Parlament eine Frauenquote von 30 Prozent – ein Weltrekord. Inzwischen beträgt der Frauenanteil im Parlament sogar 61,3 Prozent. Folge für das ganze Land waren eine Krankenversicherung und wirtschaftlicher Aufschwung. Wie kam es zu diesem raschen Wandel innerhalb weniger Jahre?
Die Mehrzahl der Toten waren Männer. Die Mehrzahl der Geflohenen – Männer. Die Mehrzahl der Gefangenen – Männer. Wer also sollte das Land regieren? – Alice Urusaro Karekezi im Interview mit National Geographic (2019)
Nach dem Genozid bestand Ruandas Bevölkerung zu etwa 70 Prozent aus Frauen. Daher gingen viele Frauen in die Politik und übernahmen Verantwortung für den wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau. Inzwischen führt Ruanda weltweit mit dem Anteil weiblicher Abgeordneter im Parlament. Damit sitzen erstmals in einem Land mehr Frauen im Parlament als Männer.
Nicht alles Gold was glänzt
Man darf nun jedoch nicht annehmen, dass Ruanda ein Paradies für Frauen ist. Viele der weiblichen Abgeordneten legen die Macht vor der Türschwelle ab und bügeln zu Hause die Hemden ihrer Männer. Zwar stellen die Frauen im Parlament die Mehrheit, jedoch gab es noch nie eine Präsidentin. Und Gleichstellung sagt nichts über Demokratie aus – Ruandas Regierung ist ein autoritäres Regime ohne Pressefreiheit und mit Menschenrechtsverletzungen.
Zudem ist die Gleichstellung noch nicht überall in der Gesellschaft angekommen. Das liegt daran, dass die Reformen von oben kamen, anders als beispielsweise in Deutschland, wo eine starke Frauenbewegung jahrelang und Schritt für Schritt ihre Rechte erkämpft hat. So waren die Gesetzesänderungen schneller als der gesellschaftliche Wandel. Ruandas Politikerinnen sehen hier Nachholbedarf und setzen dabei auf die junge Generation. Denn sie hoffen, durch Bildung eine gleichberechtigte Gesellschaft zu fördern. Dennoch bleiben Ruandas hoher Frauenanteil und die hohe Frauenquote im Parlament einzigartig. Auch in Deutschland gibt es immer wieder Diskussionen um eine Frauenquote. Dies kann ein möglicher Weg sein, um die Gleichstellung zu unterstützen.
CK
Weitere Quelle:
National Geographic (2019), Ruanda erfindet sich neu, Frauen – Warum die Zukunft weiblich ist, 11/2019, pp. 66-77.
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