Zum Anlass ihrer Ausstellung “FRAMED IN BELARUS” in dem Weserburg Museum, Bremen, waren wir vergangene Woche als Beobachtende bei einem von Rufina Bazlova geführten Workshop, in dem sie gemeinsam mit FSJlern des sfd Bremen, Stickportraits von politischen Gefangenen anfertigte und den Schüler*Innen ihre Kunst näher brachte. Rufina Bazlova ist eine belarussische Künstlerin. Mit traditionellen belarussischen Stickmustern visualisiert sie auf hellen Stoffen Szenen friedlicher Proteste der Bevölkerung gegen das Unrechtsregime Lukaschenko. Dieser künstlerische Ausdruck ist eine Solidaritätsbekundung mit den inhaftierten politischen Aktivist*Innen und soll über alle illegal verurteilten Bürger*Innnen von Belarus erzählen. Bazlova selbst beschrieb es so: “solidarity is our power“, zu deutsch: “Solidarität ist unsere Macht”. Die Zahl der offiziell anerkannten politischen Gefangenen in Belarus erreicht derzeit mehr als 1.200 Personen.
Rufina Bazlovas Werke sind mittlerweile international bekannt und zum Symbol für politischen Widerstand auch weit über die belarussischen Grenzen hinaus geworden. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, trug ein von ihr designtes Hemd bei seiner Ansprache an das ukrainische Volk während des noch immer andauernden Kriegs am 24. August, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine. Durch eine sprachliche Abwandlung wird aus dem Wyschywanka (besticktes Hemd) ein Wyzhywankas, ein „Überlebenshemd“.
Stickmuster als Medium des politischen Statements
Um sich gegen die Gewalt der belarussischen Regierung zu organisieren und Widerstand zu zeigen, nutzt Rufina Bazlova die zunächst harmlos wirkende Stickkunst im traditionellem Wyschywanka-Stil. Wyschywanka ist eine traditionelle, belarussische Sticktechnik, mit der Kleidung versehen wird und welche verschiedene Symboliken, sowie einen besonderen Schutz gegen Böse Geister abbildet. Bazlova zieht eine geschickte Verbindung zwischen einer jahrhundertalten, volkstümlichen Kunst und einem neuem Aufstand des Volkes und der Politisierung der Jugend. Die kleinen Bilder, zeigen heute keine zierlichen Formen und Symbole, sondern ganze Proteste, Straßenschlachten und Aufstände. Traditionell fertigten Frauen die Stickmuster an, welche lange vorenthalten waren von jeglicher Bildung, mit der sie sich hätten mitteilen können. Stattdessen machten sie die Kunst zu ihrer Plattform, mit der sie sich und ihre Gefühle in einem besonderen Code mitteilen konnten. Sie waren von Macht und Ressourcen ausgeschlossen und fanden trotz dessen ihren eigenen Weg, Widerstand zu zeigen.
Dazu erzählte uns Bazlova:
“For a long time it was shameful for Belarusian boys to stitch. But in 2020, during an event, some of these boys came to me and said: When I was still small, I stitched together with my grandmother. They told me this, and they were proud of that.”
Auch Sofia Tocar, Kuratorin und Programmassistentin von #Framed in Belarus, sieht in dem Stickprojekt ein feministisches Potential:
„Personally, I like it very much when men and boys join the project, because this is actually where we’re slowly breaking this stereotype and we unite people in this. So it’s not important if you’re a man or a woman. We encourage everyone to participate.“
Uns bestärkt und berührt es zutiefst, dass Menschen und Frauen, denen jegliche Ressourcen und Macht vorenthalten wird, trotzdem ihren eigenen Weg des Wiederstandes suchen und finden!
Die Rahmenveranstaltung „What is the Proper Way to Display a Flag?“
#Framed in Belarus ist Teil der Ausstellung „What is the proper way to display a flag?“ Diese könnt ihr euch noch bis zum 23.04.2023 in dem Museum Weserburg Bremen anschauen. Euch erwarten Kunstwerke, in denen die politische Wirkungsmacht der Flagge im Fokus steht: Wie können Flaggen und Symbole für Machtmissbrauch stehen, welche Rolle kommt ihnen zu aber auch: Wie können wir Flaggen einsetzen, um uns politisch mitzuteilen und in Widerstände zu gehen?
“Put your anger into the fabric, and it creates something beautiful”
Während des rund dreistündigen Workshop fertigten die FsJler*innen eigene kleine Stickbilder an und setzten sich so mit der unruhigen politischen Situation in Belarus auseinander. Der Workshop sollte ermutigen, Volksstickerei als Form des „friedlichen Prostest“ zu verstehen, und in ihm eine wirkungsvolle Form der Solidaritätsbekundung und des politischen Aktivismus zu erkennen. Die Stickkunst ist eine traditionelle, aber mittlerweile etwas in Vergessenheit geratene Kunstform in Belarus. Durch das Projekt lebt diese Kunst neu auf:
“This is something that belongs to the people, this is not representing dictatorship, or a regime, or even democracy. It represents the identity of the people of the particular regions and countries. This is a symbol of identity, and it’s coming back to life”, so Sofia Tocar, Kuratorin und Projektassistentin von #Framed in Belarus.
Auch nach drei intensiven Stick-Stunden ist das Projekt noch lange nicht fertig: Laut Bazlova braucht es rund 20 Stunden, bis ein Stickporträt fertig ist. Das Sticken entschleunigt, regt zur Besinnlichkeit an und macht nachdenklich. Es fordert, sich voll und ganz mit der inhaftierten Person und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. In unserer heutigen, sehr schnelllebigen Gesellschaft, ist es vielleicht genau das, was wir brauchen.
Ziel des Projekts soll am Ende sein, dass all die einzelnen Stick-Bilder zusammengeführt werden und eine große Stickleinwand aus individuellen Solidaritätsbekundungen entsteht. Wie wir finden ein großartiges Projekt.
Luisa Richter & Kristina Andabak
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