Seit 2013 existiert in Russland das Projekt „Kinder 404. LGBT-Jugendliche. Wir existieren!“ (Дети-404. ЛГБТ-подростки. Мы есть!).
Es wurde ins Leben gerufen, nachdem die sogenannte „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ unter Strafe gestellt wurde. Alle Handlungen, die auch nur im Geringsten suggerieren, dass es neben Heterosexualität noch andere Formen von Sexualität gibt, sind verboten. Somit sind LGBTQI- Jugendliche mit ihren Fragen, Ängsten und ihrem „Anderssein“ allein.
Aber nicht ganz! Dank Kinder 404/ Deti 404 (der Name spielt übrigens auf die Internetfehlermeldung „404- not found“ an) können Jugendliche in Form von Briefen über ihre Erfahrungen berichten, nach Hilfe fragen und auf die Verstöße von Menschenrechten an LGBT Personen aufmerksam machen. Aber auch für Außenstehende ist dies eine Möglichkeit Einblicke in die sonst versteckte Realität Russlands zu erhalten. Manche dieser Briefe sind höchst alarmierend und offenbaren die Ängste der Betroffenen.
„ICH MÖCHTE KREPIEREN, STERBEN, MICH AUFLÖSEN, EINFACH DAMIT ICH NICHT MEHR EXISTIERE […] ALLES REGT MICH AUF!!!! Mich nervt die Schule, die Leute, die Eltern, alles nervt mich… ich möchte einfach nicht mehr leben. Ich habe doch gar keine Zukunft. Kann es überhaupt eine Zukunft für Lesben in Russland geben? Nein, kann es nicht.“ – anonym
Das Projekt veröffentlicht auf seiner Website, den Gruppen auf Facebook und vk.ru (russische Facebook- Alternative) täglich neue Texte und wird zunehmend bekannter. Natürlich ist es für nicht russischsprachige LeserInnen schwierig die Texte zu verstehen, doch zum Glück gibt es auf der offiziellen Webseite einige Übersetzungen und zur Not hilft auch der Google Translator.
Gibt es eine Zukunft für das Projekt?
Leider gibt es schlechte Nachrichten. Zwar wurde diese Plattform in Russland bis vor kurzem noch geduldet, doch hat sich dies Ende Januar bedauerlicherweise geändert. Die Initiatorin Elena Klimova wurde wegen des Verstoßes gegen das Gesetz Nr. 149 zu einer Geldstrafe von 50.000 Rubel (etwa 670€) verurteilt und die Internetpräsenz auf die schwarze Liste gesetzt. Diese soll von Russland aus nicht mehr aufrufbar sein.
Laut Elena Klimova und ihrem Team von Freiwilligen, unterstützt von einzelnen PsychologInnen und JuristInnen, werden sie nichtsdestotrotz weitermachen. Solange sie gebraucht werden und mit ihrer Idee Jugendlichen helfen können, werden sie ihnen weiterhin ein Sprachrohr zur Verfügung stellen.
„Sie haben ein sehr schwieriges Leben. Sie haben Angst zu SchulpsychologInnen zu gehen, weil diese ihre Eltern anrufen könnten und dies Streitereien und Konflikte zu Hause provozieren würden. Manche Eltern verbieten ihren Kinder darüber zu sprechen. Sie nehmen ihnen die Handys weg und zwingen sie sich von ihren Freundinnen oder Freunden fernzuhalten. Außerdem drohen sie ihnen mit psychiatrischen Kliniken, und machen diese Drohungen manchmal auch wahr.“ – Lena Klimova (vollständiges Interview auf Englisch hier)
Ob die Gruppe mit weiteren juristischen Konsequenzen rechnen muss, ist noch nicht klar.
Wie können wir helfen?
Laut der russischen Regierung soll das Gesetz Minderjährige schützen, doch wovor genau? Das Einzige, was dieses Gesetz schützt, ist die Homophobie und Ignoranz in Russland, außerdem schürt es Hass. Als wäre dies nicht schon erdrückend genug für LGBTQI Jugendliche, werden sie und Unterstützende mundtot gemacht.
Zwar können wir von Deutschland aus das Projekt nur mit Likes oder aufmunternden Kommentaren unterstützen, doch ist es bereits ein Anfang sich mit diesen Kindern zu solidarisieren und ihnen unsere Unterstützung zu signalisieren.
Um zu verdeutlichen, wie die Situation für viele LGBTQI AnhängerInnen zurzeit in Russland aussieht, empfehle ich diese kurze Doku von Vice News. Deutsche Untertitel lassen sich im Player einstellen.
Ich, als gebürtige Russin und Teil der LGBTQI Community, möchte alles daran setzen, diese Missstände aufzudecken und Menschen aufzuklären, damit sie die Augen vor Menschenrechtsverletzungen nicht verschließen, egal ob diese in Russland oder Deutschland stattfinden.
Anastasia Garies
Anastasia meint
Für mich ist es einfach schade zu sehen, wie sich Russland diesbezüglich verändert bzw. radikalisiert. Es war dort nie einfach „anders“ zu sein, Homophobie als auch die Unterdrückung anderer Minderheiten ist tief verwurzelt.
Aber wenn wir an die Jahrtausendwende denken, als Tatu (vllt erinnert sich die eine oder andere Person an das „Lesbenduo“) in Russland eine der beliebtesten Bands war und sogar „den Westen“ beim ESC 2003 provozierte, löste dies in Russland keinen moralischen Aufstand aus.. Dies wäre jetzt wohl anders.
ricarda meint
Was für Mut muss mensch in Russland aufbringen, um einfach Ein Mensch zu sein.
ricarda