Sie haben Angst und schämen sich, viele fühlen sich schuldig, weil sie glauben, für die erlittene Gewalt verantwortlich zu sein. Die Opfer von sexuellem Missbrauch reden oft lange Zeit nicht über das Erlebte, manche teilen sich niemals mit. Seit vier Jahren bietet Schattenriss in Bremen eine anonyme Onlineberatung an, die vielen Mädchen und jungen Frauen hilft, ihr Schweigen zu brechen. Jetzt können sich die Betroffenen auch mobil per Smartphone oder Tablet einloggen.
Das neue mobile Beratungsangebot richtet sich vor allem an Mädchen und junge Frauen aus Bremen zwischen 12 und 25 Jahren. Viele von ihnen besitzen keinen eigenen PC, aber fast alle haben ein Smartphone oder Tablet. Die Verbreitung ist bei Jugendlichen in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. 90 Prozent aller Mädchen besitzen heute ein Smartphone.
Die mobile Onlineberatung ist niedrigschwellig und orientiert sich an der Lebensrealität der betroffenen Mädchen. „Die Täter sind häufig im nahen Umfeld zu finden; sie setzen ihre Opfer unter Druck und kontrollieren jeden ihrer Schritte“, erklärt die Onlineberaterin Anke Fürste. Jetzt können sich die Mädchen mit ihrem Smartphone bei Schattenriss einloggen und dafür einen Ort wählen, an dem sie vor dem Täter sicher sind. „Für viele Mädchen, die sich noch in der akuten Gewaltsituation befinden, schafft die Smartphone-Tauglichkeit überhaupt erst die Voraussetzung sich bei uns zu melden“ ist Onlineberaterin Maren Kleine-Tebbe überzeugt.
Die Onlineberatung
Ob mobil oder am heimischen PC – für eine Onlineberatung bei Schattenriss genügen ein paar Klicks und ein eigenes Passwort. Dann können Mädchen und junge Frauen aus Bremen schriftlich Fragen stellen und Antworten erhalten. Durch eine Verschlüsselung der Nachrichten können sie sich auf der Website geschützt und sicher fühlen, Vertrauen aufbauen und sich mitteilen. Die Homepage der virtuellen Beratung ist übersichtlich gestaltet und leicht bedienbar. In neun verschiedenen Sprachen werden die Mädchen begrüßt und über die Sicherheit der Beratung und weitere Hilfsangebote von Schattenriss informiert. Die Mehrsprachigkeit ermöglicht Mädchen mit verschiedenen sozialen oder kulturellen Hintergründen die Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle.
Warum Online?
Die meisten von sexuellem Missbrauch betroffenen Mädchen leben in großer sozialer Isolation und haben keine Person, der sie sich anvertrauen können. Scham- und Schuldgefühle belasten sie stark. Anderen Menschen zu vertrauen, fällt ihnen aufgrund ihrer Erfahrungen sehr schwer. Alleine in eine Beratungsstelle zu gehen, ist für viele eine unüberwindbare Hürde. Bevor es die Onlineberatung gab, hatten Mädchen meist erst dann Zugang zur Hilfe, wenn sie eine Bezugsperson fanden, die ihnen glaubte und sie in die Beratungsstelle begleitete. Oft war das ein langer Weg, denn Betroffene müssen häufig lange mit sich ringen, bevor sie sich mitteilen und erst mehrere Personen ansprechen, bevor sie eine finden, die ihnen glaubt und sie unterstützt.
„Die bisherigen Erfahrungen mit der Onlineberatung zeigen, dass wir die Mädchen nun viel früher erreichen als mit der Face-to-Face-Beratung,“ berichtet Maren Kleine-Tebbe.
Etwa 1.400 Onlineberatungen haben die Beraterinnen Anke Fürste, Maren Kleine-Tebbe und Karima Stadlinger in den letzten vier Jahren mit insgesamt 185 Mädchen durchgeführt. „Diese Mädchen haben sich online direkt und ohne Bezugspersonen an uns gewendet. Ein Drittel der Mädchen hat sich hier in der Onlineberatung zum ersten Mal jemandem anvertraut und vom sexuellen Missbrauch berichtet, haben die Beraterinnen festgestellt. Das sind viele, deren Leidensweg sich durch die Beratung verkürzen ließ. „Wir können früher helfen, die Gewalt zu beenden und auch den Folgen nach häufigen und langen Gewalteinwirkungen eher begegnen“ erklärt Anke Fürste.
Manche Mädchen schreiben darüber wie schwer es für sie auszuhalten ist, dass sie mit niemandem über den Missbrauch sprechen können oder dürfen. Der Geheimhaltungsdruck ist sehr hoch. Maren Kleine-Tebbe: Die Onlineberatung bei Schattenriss wirkt dem Schweigegebot und der Isolation der Betroffenen entgegen. Sie bietet ihnen einen anonymen Schutzraum, in dem sie sich trotz der Angst mitteilen können“
Die Beratung
„Kein Beratungsverlauf gleicht dem anderen. Die Mädchen haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse und werden von uns individuell beraten. Mit dem Mädchen zusammen überlegen wir, was ihr helfen kann und unterstützen sie. Sie bestimmt auch das Tempo des Vorgehens mit. Wenn ich zu schnell vorgehe, setze ich das Mädchen unter Druck und dies kann eine Wiederholung ihrer Erfahrungen von Fremdbestimmung und Verrat bedeuten“, erzählt Anke Fürste. Das jüngste Mädchen, mit dem sich die Beraterin schreibt, ist 11 Jahre alt. Kontakt halten und das behutsame, schrittweise Vortasten bei der gemeinsamen Suche nach Handlungskonzepten sind wesentlich bei der Arbeit. Die Betroffenen werden von den Beraterinnen je nach Bedarf über unterschiedlich lange Zeiträume online beraten.
Zentrale Themen jedes Beratungsprozesses bei Schattenriss sind Schutz vor weiterer sexueller Gewalt, Stabilisierung und Angebote zur Verarbeitung der Gewalterlebnisse. So geht es in erster Linie darum, die Mädchen von ihren Scham- und Schuldgefühlen zu entlasten, sie ernst zu nehmen, ihnen Glauben zu schenken, das Wissen zu teilen und sie zu stabilisieren. Maren Kleine-Tebbe: „Online schreiben wir mit den Mädchen auch über Dinge, die ihnen gut tun und Kraft geben. Wichtig ist auch zu klären, ob es eine Person in ihrem Umfeld gibt, die sie unterstützen kann. Unser Ziel ist es, den Mädchen zu vermitteln, dass sie Hilfe annehmen dürfen, wir an ihrer Seite sind und es Wege aus der Not gibt.“
Postkartenaktion zur Eröffnung der mobilen Onlineberatung
Parallel zur Eröffnung der mobilen Onlineberatung gibt Schattenriss Postkartenaufkleber mit einem QR-Code heraus. Mit Hilfe des Codes kann die mobile Hilfe jederzeit schnell aufgerufen werden. Die Postkarten werden ab Ende April in Schulen, Sportvereinen und Jugendtreffs ausliegen.
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