Als Machogesellschaft bekannt, stoßen Welten aufeinander, wenn ich als Deutsche mit einem Hintergrund, der liberaler kaum sein könnte, die Familie und Freund*innen meines Freundes in Kolumbien besuche. Einem Land, wo auf der einen Seite jede Bewegung durch Traumwetter und heiße Rhythmen untermalt wird und das Essen noch richtig selbstgemacht schmeckt, aber auf der anderen Seite sogar die Schaufensterpuppen schon mit operativ vergrößerten Brüsten ausgestellt werden.
Schau mir in die Augen, Kleines!
Ich kam das erste Mal mit Plastikbrüsten in Berührung, als ich eine kolumbianische Freundin meines „Novios“ in Paris traf, vorher immer nur auf irgendwelchen sexistischen Billboards. Zu der Zeit wohnten wir dort schon zusammen und waren uns wichtig genug, dass sich unsere Welten und sozialen Zirkel langsam ineinander verwoben.
Schnell merkte ich, dass ich äußerlich so ganz anders war, als seine zahlreichen Verflossenen. Dabei rede ich nicht nur von groß vs. klein und brünett vs. blond, sondern von mir, 1,62 cm große – für Europa eher klein, für dortige Verhältnisse eher groß – Blondine mit unkontrollierbaren Wellen und hellen Augen, die ohne Make-Up eher müde und verschlafen wirken.
Und sie: Kurze, aber knackig braune, energiegeladene Traumkurven mit glänzend glatten, langen Haaren, die sich von keiner Wetterlage die Schönheit rauben lassen. Jegliche Schminke wird nicht benötigt, da Gott hier besonders großzügig zu sein schien und schmeichelnde Charakterzüge an allen richtigen Stellen „einbauen“ ließ.
Also wieso sollte er sich dann für mich entscheiden, wenn seine Landesfrauen doch oberflächlich so viel mehr zu bieten haben? Doch der Schein trügt. Viele Leute, die das lesen, werden es unheimlich frustrierend finden, sich mit scheinbar perfekten Menschen zu messen (zumindest äußerlich), aber genau das ist mein Punkt hier. Den perfekten Menschen gibt es nicht. Zumindest nicht oberflächlich. Aber ist man überhaupt im Recht sich darüber aufzuregen?
But where does it come from?
In allen Teilen der Welt herrschen andere Schönheitsstandards, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Allein der europäische Schlankheitswahn hat in Lateinamerika glücklicherweise (noch) keinen Einhalt gehalten. Dafür schreckt man dort nicht vor kleinen oder auch größeren Operationen zurück, um das persönlich als abweichend empfundene Schönheitsideal wieder gerade zu rücken. Verheimlicht wird es längst nicht mehr. Die Denkmalpflege am eigenen Körper gehört längst zum Leben dazu. Ob zum Älterwerden, wie in Europa oder zum Aufstieg in der Gesellschaft, wie beispielsweise in Lateinamerika.
Kultursoziologische Theorien behaupten, dass das Aussehen in Süd- und Mittelamerika deshalb so eine große Rolle spielte, weil der Konkurrenzdruck unter den Frauen so enorm sei. Man mache solche Eingriffe nicht, wie erwartet der Männer wegen, sondern vielmehr, um den anderen Frauen zu gefallen. Das Ziel ist dabei möglichst hellhäutig und sogar blond zu werden.
In Anbetracht der Anzahl der Eingriffe pro Einwohner liegen Venezuela, Kolumbien und Argentinien an der Spitze. Brasilien entwickelte sich allerdings in den letzten Jahren zum lateinamerikanischen Zentrum der plastischen Chirurgie und liegt im weltweiten Ranking dicht hinter dem Erstplatzierten, den USA. Unter den häufigsten Eingriffen befinden sich Brustvergrößerungen, Fettabsaugung und Nasenkorrekturen.
Back to life, back to reality
Aber das dort existierende Schönheitsideal hat mit der Realität in den Städten und auf dem Land nichts zu tun. Die Mehrheit ist eine Vermischung aus indianischen und schwarzen Vorfahren, man sieht nur wenig europäische Züge in den Gesichtern. Schon von klein auf werden klare Maßstäbe zum Aussehen gesetzt und überliefert. Und bereits der dichte Wald an Schönheitssalons geben den ersten Motivationskick.
Schön sein wird großgeschrieben. Egal welcher Gehaltsklasse man angehört, der Besuch in einem Beautyladen wird an oberste Stelle der Prioritätenliste menschlicher Grundbedürfnisse gesetzt. In einer Gesellschaft, in der die Klassengegensätze unüberbrückbar scheinen, ist die Schönheit und ihre Misswahlen der kleinste gemeinsame Nenner.
Die an europäische Standards heranoperierte Optik verleiht Süd- und Mittelamerikaner*innen etwas Nahes, doch Exotisches, was auch ein Grund dafür ist, warum sich Latinas auf dem Model-Markt reger Beliebtheit erfreuen. Ihr „aufgetunter Typ“ spricht eine breite Masse an Menschen weltweit an und geht somit leichter über den konsum- und massentauglichen Ladentisch.
Und die Moral von der Geschicht‘
Wir sollten also vielmehr die sozial und/oder medial kreierten Ideale überdenken. Schönheit ist ein Gefühl, sie existiert nicht einfach. Also warum sollte nicht jede Frau ein Recht darauf haben, sich schön zu fühlen?! Aber zu welchem Preis und wer sagt eigentlich, was schön ist?
Fakt ist, ob natürliche Schönheit oder nicht, sie kommt immer noch von Innen. Ist es nicht wichtiger, ein guter Mensch zu sein? Gerade bei all dem unkontrollierbaren Leid, was unsere Gesellschaft in den letzten Jahren zu erlebt, stellt sich ernsthaft die Frage, ob man statt in den Beautydoc seine Zeit nicht in die wirklich wichtigen Dinge des Lebens investieren sollte. Wann war das letzte Mal, dass sie eine gute Tat getan oder sich für jemanden richtig Zeit genommen haben?
Für mich machen immer noch genau die Unterschiede und Gegensätze einen Menschen spannend und besonders. Ich denke, dass das Streben Teil einer bestimmten Gruppe sein zu wollen, koste es was es wolle, genauso der Vergangenheit angehören sollte, wie die Suche nach dem sozial perfekt durchgescannten oder fremdbestimmten Partner.
Hendrikje Joksch
Cornelia Schmidt meint
Das war schon etwas geschwollen formuliert. Die Frage ist doch eher : tue ich so etwas für MICH oder für ANDERE ?
Pablito meint
Ich persönlich ziehe die natürliche, aber dieser Artikel wirklich meine Augen zu kosmetische Chirurgie eröffnet