Nein, die siebenstündige Autofahrt aus dem Norden Islands nach Reykjavik wollte ich nicht mitmachen. Ich war froh, seit einigen Tagen in den Westfjorden bei meiner Tochter Katja angekommen zu sein. Wir hatten 35 Gläser Rhabarbermus (eine isländische Spezialität) für einen guten Zweck gekocht, denn am Wochenende fand das „Fröhliche Dorffest“ statt. Hier sollten die Gläser zugunsten der Berg- und Seerettung verkauft werden. Nun aber stand erst mal die Hochzeit von Jóns jüngstem Bruder in Reykjavik auf dem Programm, zu der auch ich eingeladen war.
„Abends schließe ich die Haustür ab!“
Ich jedoch wollte lieber die schöne Gegend am Fjord mit Spaziergängen an der Atlantikküste und täglichem Baden im Thermalbad genießen. Aber, so sagte ich zu meiner Tochter und ihrem Lebensgefährten Jón, abends schließe ich die Haustür ab. Die beiden schmunzelten. Typisch deutsch, war ihre Antwort. Die Besonderheit des isländischen Haustürschlosses wurde mir noch erklärt, und dann fuhren die beiden an einem Mittwochmorgen los. Ich war mit den zwei Katzen in dem großen Haus allein. Am Nachmittag hatte ich mich mit zwei deutschen Frauen aus dem Nachbarort zum Baden im Thermalbad verabredet und hinterher wollten wir in Katjas Haus im Wintergarten mit Blick auf den Atlantik bei Kaffee und Kuchen plaudern. Am späten Nachmittag verabschiedeten sich die beiden Frauen. Ich war wieder allein mit den Katzen.
Der Schreck in der Abendstunde
Gegen 22 Uhr, ich befand mich in meinem Gästezimmer im ersten Stock, hörte ich ein Geräusch. Da war doch was? Ach, es kam wohl von draußen. In Island kann man die Fenster nicht weit öffnen. Es ist nur eine kleine Fensterklappe vorhanden, die ich immer geöffnet ließ. Nach einer Weile ging ich die Treppe hinunter, um die Haustür abzuschließen. Wollten die Katzen draußen oder lieber die Nacht drinnen verbringen? Die hellen Nächte im Juli sind für mich ungewohnt und bringen das Zeitgefühl schnell durcheinander.
Ich befand mich noch auf der Treppe, als aus dem Badezimmer im Erdgeschoss ein fremder, schwarz gekleideter Mann trat. Großer Schreck! „Wer sind sie denn,“ fragte ich auf Deutsch. Ich zitterte und er kam zu mir und nahm mich in den Arm. Da zitterte ich noch mehr. „Ist das der Beginn eines Krimis?“, schoss es mir durch den Kopf.
„I would like to use the bathroom“
„I am a friend of Jon and come from Reykjavik. On mine hello I got no answer. I have built up my green tent already in the garden. I want to take part in the village party on the week-end.” Ach so. “But I close the door”, sagte ich. „No, I would like to use the bathroom“, antwortete er lächelnd. Mehr oder weniger drängte ich ihn aus dem Haus und – schloss nicht ab. Aber die Tür meines Gästezimmers schloss ich ab und hatte eine unruhige Nacht. Am nächsten Morgen hörte ich ihn schon in der Dusche. Zum Glück gibt es im Haus auch ein Bad im Obergeschoss. Sollte ich meine Tochter anrufen? Was machen Isländer mit so einem plötzlichen Gast? Ist das nichts Ungewöhnliches? Muss ich ihm einen Kaffee anbieten? Fragen über Fragen.
Dann hatte ich eine Idee: Ich werde ihm einen Zettel vorlegen und ihn bitten, seinen Namen und Adresse aufzuschreiben. Ich hatte irgendwas mit „Ö“ verstanden. Und ein Foto werde ich auch von ihm machen. Erkennungsdienstlich festhalten! Alles ließ er lächelnd über sich ergehen und verschwand für den Rest des Tages. Dann rief zum Glück meine Tochter an. Björn*) sei nur ein flüchtiger Bekannter, kein Freund, sagte sie. Sie wollte es Jón erzählen. Von Jón bekam ich dann eine SMS. Er wollte Björn bitten, das Bad nicht mehr zu benutzen. Ganz in der Nähe befände sich ein Campingplatz, dorthin könne er ja umziehen. Aber erst am Freitagmittag räumte Björn das Bad, in dem er sich eingerichtet hatte. Das Zelt blieb im Garten. Ich atmete auf, keine Anspannung mehr, Ruhe kehrte bei mir ein.
Und die isländische Gastfreundschaft
Jedoch: etwa zwei Stunden später ging die Haustür auf, eine helle Frauenstimme rief „Hello“. Es war Jóns älteste Tochter Kristin. Sie wußte, dass ich allein im Haus war. Wir kannten uns gut, denn Kristin hatte uns schon mal in Bremen besucht. Um auch an dem „Fröhlichen Dorffest“ teilnehmen zu können war sie am Freitagnachmittag mit ihrem Mann, zwei kleinen Söhnen und ihrer Freundin mit drei Kindern angereist. Im Garten standen nun neben dem kleinen grünen Zelt noch zwei Wohnanhänger. „Wir dürfen doch das Bad benutzen?“, fragte Kristin. „Ja, selbstverständlich“, war meine Antwort. „Da habt ihr aber Glück, denn bis vor kurzem hatte sich Björn im Bad eingerichtet“.
Nun hatte ich richtig fröhlichen Trubel im Haus, was mir gefiel. Am Abend darauf waren Katja und Jón zurückgekehrt. Es gab ein großes fröhliches Grillfest mit vielen Isländern, die einfach mal so vorbeikamen.
*) Name geändert
Heidemarie Gniesmer
Dagmar Löbert meint
Eine herrliche Geschichte über isländische Gastfreundschaft. Da fällt mir ein, eigentlich weiß ich wenig über die Isländer*innen. Das soll sich nun ändern. Von Deiner Erzählung inspiriert, werde ich mich von jetzt an mehr informieren. Ich möchte einfach mehr über sie wissen.