+++Triggerwarnung: Schwangerschaftsabbrüche+++
Nun ist es rechtskräftig: die Ärztin Kristina Hänel wurde vor einigen Wochen vom Oberlandesgericht Frankfurt aufgrund des §219a wegen der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verurteilt.
Entscheidend für dieses Urteil war, dass sie auf ihrer Website nicht nur mitteilte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführe, sondern dort auch Informationen über das Verfahren bereitstellte. Ihre Verurteilung löste eine Debatte über das Abtreibungsrecht in Deutschland und insbesondere den § 219a aus.
Der §219 wurde von den Nationalsozialisten 1933 eingeführt und gilt seitdem, auch wenn er im Laufe der Zeit immer wieder modifiziert wurde. Zuletzt war er 2019, nach langer Diskussion im Bundestag, verändert worden. Nun dürfen Ärzt*innen zwar darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen aber keine näheren Informationen über das „Wie“ bereitstellen. In einem Interview mit der taz sagte Hänel:
Im Paragraf 219a können nur noch verbohrte Fundamentalist*innen irgendeinen Sinn erkennen. Aber ich kann eine Gesetzgebung, die ärztliche Aufklärung und Information verbietet, nicht akzeptieren.
Deshalb will sie nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen und ruft alle diejenigen, die keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, dazu auf, sachliche Informationen bereitzustellen. In diesem Fall ist die Verbreitung von Informationen oder sogar Fehlinformationen nämlich erlaubt. Auch wir von den frauenseiten.bremen.de möchten diesem Aufruf folgen und sachliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche in Bremen bereitstellen.
Solidarität mit Kristina Hänel
Die Informationen, die Kristina Hänel auf ihrer Homepage veröffentlicht hatte, sind auf dieser Website auch weiterhin frei zugänglich. Die Website wird von einem Unterstützungskomitee von Kristina Hänel betrieben und ruft zur Solidarität mit allen nach § 219a verurteilten Ärzt*innen auf. Die Website stellt eine Solidaritätserklärung für Ärzt*innen, eine Petition zur Abschaffung von § 219a (diese ist mittlerweile abgeschlossen) und Adressen von Kliniken und Ärzt*innen bereit, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Außerdem ist dort ein Spendenkonto von Pro Choice verlinkt, das zur Deckung der entstanden Kosten durch die Gerichtsverfahren und der verhängten Geldstrafe genutzt wird.
Die rechtliche Lage in Deutschland
Ein Schwangerschaftsabbruch (Abtreibung) ist in Deutschland immer noch rechtswidrig, bleibt unter bestimmten Voraussetzungen aber straffrei. Dazu gehört, dass ein Abbruch einer Schwangerschaft nur bis zur 12. Woche nach der Empfängnis erfolgen darf. Ausnahmeregelungen gelten, wenn eine sogenannte Indikation festgestellt wird (kriminologisch oder medizinisch), also wenn eine Frau durch eine Straftat wie eine Vergewaltigung schwanger geworden ist oder wenn die Schwangerschaft eine Gefahr für die seelische und körperliche Gesundheit darstellt. Dann gilt ein Abbruch als nicht rechtswidrig.
Beratungsstellen im Land Bremen
Um einen Schwangerschaftsabbruch durchführen zu können, muss zunächst eine Beratung von einer staatlich anerkannten Beratungsstelle erfolgen, die schriftlich bestätigt wird. Nach der Beratung darf erst drei Tage später der Abbruch von eine*r Ärzt*in vorgenommen werden.
In Bremen gibt es mehrere solcher Beratungsstellen, wie das Beratungszentrum von Pro Familia, den Caritasverband, den Verein für Innere Mission, die Familien- und Lebensberatung der Bremischen Evangelischen Kirche, und den Verein Mother Hood und ISPPM. In Bremerhaven gibt es ebenfalls jeweils eine Beratungsstelle von Pro Familia und dem Caritasverband sowie das Diakonische Werk e.V. und das Evangelische Beratungszentrum. Auf der Homepage von Pro Familia und der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) werden die Anlaufstellen in Bremen gelistet und Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitgestellt.
Zahlen aus Bremen
Laut Pro Familia lag in den letzten Jahren die Anzahl an durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen in Bremen bei ca. 2.200 pro Jahr. Davon kommen etwa 50 Prozent der Frauen aus Niedersachsen und somit liegt die Anzahl der Bremerinnen bei ca. 1.100 jährlich. Im Jahr 2019 wurden in Bremen 96,6 Prozent der Abbrüche nach der Beratungsregelung durchgeführt und nur 3,4 Prozent wegen medizinischer Indikatoren (Destatis).
In Bremen gibt es ungefähr fünf Arztpraxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Hinzu kommen drei Klinken und das Medizinische Zentrum von Pro Familia. Auf der Website der ZGF werden aber nur die Kliniken und das medizinische Zentrum gelistet, da Ärzt*innen aufgrund von § 219a und der Angst vor möglichen Stalkern, sogenannten Lebensschützern, offenbar nicht öffentlich gelistet werden wollen.
Die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs liegen zwischen 270-500 Euro und müssen von der Frau selbst getragen werden, wenn keine Indikation vorliegt. Nur wenn das eigene Einkommen unter einer bestimmten Grenze liegt (aktuell 1.258 Euro, variiert aber mit der Anzahl an Kindern und Höhe der Mietkosten), die Frau Sozialleistungen empfängt oder Asylbewerberin ist, kann bei der Krankenkasse ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt werden. Dann trägt das Land Bremen die Kosten. Dieser muss unbedingt vor dem Eingriff gestellt und in der Praxis vorgelegt werden.
Versorgungslücke in Bremerhaven
Ein wohnortnahes Beratungsangebot gibt es sowohl in Bremerhaven als auch in Bremen. Doch seit Dezember letzten Jahres gibt es in Bremerhaven keine Praxis mehr, die Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Dies ist ein echtes Problem, denn Frauen aus Bremerhaven müssen für den Eingriff weit fahren, zum Beispiel in die Klinik nach Reinkenheide. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in der Klinik in Reinkenheide aber nur dann möglich, wenn gerade ein OP-Termin frei ist, wodurch es zu einer Wartezeit von mehreren Wochen kommen kann. Medikamentöse Abbrüche sind in Bremerhaven gar nicht möglich. Buten un binnen hat kürzlich einen ausführlichen Bericht zu dem Versorgungsnotstand in Bremerhaven veröffentlicht. Immerhin plant eine Praxis in Bremerhaven, ab dem Frühjahr 2021 medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche zu ermöglichen.
Kommt es durch Corona zu einer Einschränkung von Schwangerschaftsabbrüchen?
Die Beratungen können auch in Corona-Zeiten weiterhin stattfinden, meist telefonisch oder per Video. Für den Fall, dass zum Beispiel ein*e Sprachmittler*in benötigt wird, können Termine auch in Präsenz stattfinden.
Wegen der verstärkten Belastung der Krankenhäuser durch Corona-Infizierte werden derzeit einige Operationen aufgeschoben. Die ZGF haben bisher keine Beschwerden von Beratungszentren diesbezüglich erreicht, doch nach Informationen von Pro Familia gehören auch Schwangerschaftsabbrüche zu den Eingriffen, die verschoben werden können.
Onine-Fortbildung und weitere Forderungen der Bremer Bürgerschaft
Doch es gibt zumindest einen kleinen Lichtblick. Im September 2020 stimmte die Bremer Bürgerschaft für einen Antrag auf Verbesserung der Schwangerschaftsabbrüche. Nur die CDU stimmte geschlossen gegen den Antrag. In dem Antrag wird gefordert, dass ein wohnortnaher Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen möglich sein soll, auch in Bremerhaven. Außerdem sollen Ärzt*innen besser geschult werden, denn die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs ist nicht Teil der regulären Mediziner*innen-Ausbildung. Diese Forderung wird nun auch umgesetzt, denn es werden entsprechende Online-Fortbildungen für Ärzt*innen vom Netzwerk Doctors for Choice Germany e.V. angeboten. Dort wird auch die Methode eines medikamentösen Abbruchs gelehrt. Zu guter Letzt fordert die Bürgerschaft, dass sich der Bremer Senat auf Bundesebene für die Abschaffung von § 219a stark machen soll.
Der aktuelle Fall von Kristina Hänel zeigt also, dass der § 219a Ärzt*innen immer noch keinen Rechtschutz bietet und gehört abgeschafft, damit Fachleute über Schwangerschaftsabbrüche informieren können. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen muss Frauen gewährt werden und unsere Recherche zeigt, dass auch in Bremen, besonders in Bremerhaven, noch einiges getan werden kann und muss.
Johanna Fischer
Update: In der früheren Version dieses Artikels wurde der Sozialdienst Katholischer Frauen Bremen e.V. (SkF) als fälschlicherweise als anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle für die Pflichtberatung genannt. Die Beratung durch den SkF wird laut offizieller Stelle nicht als Plichtberatung anerkannt. Ebenfalls stellen wir richtig, dass Kristina Hänel Fachärztin für Allgemeinmedizin ist und keine Frauenärztin, wie ursprünglich im Eingangstext formuliert.
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