Sexismus bei den Olympischen Sommerspielen in Paris. Wenn statt herausragender Leistungen nur über das Gewicht und die Körperformen von Athlet*innen berichtet wird.
Menschen aus diversen Nationen, die sich lachend und weinend in den Armen liegen. Sommerwetter, direkt unter dem Eiffelturm, Menschen, die Freude am Sport haben, kommen in Persona und auch über die Screens zusammen. Es sind die Olympischen Sommerspiele 2024.
Veranstaltungen wie die Olympischen Spiele bieten die Möglichkeit, Menschen, die bisher nie mit einer Sportart in Berührung gekommen sind, für diese zu begeistern. Fans, die leider keine Tickets mehr bekommen haben, schauen gebannt von zuhause aus zu. Die Olympischen Spiele sind für einige Menschen einfach magisch. Umso wichtiger ist die Rolle der Kommentator*innen, die wichtige Infos geben können und maßgeblich für das Verständnis und die Stimmung zuständig sind.
Genau das ist beim Bouldern und Lead (female) am 06.08.24 gehörig schief gelaufen. Alle, die vorher bereits die Worldcups geguckt haben, werden Matt Groom kennen, der die Wettkämpfe stets sehr wertschätzend und informativ kommentiert hat und die herausragende Leistung jeder Athlet*in würdigt. An seiner Seite häufig eine weibliche Expertin. Wer diese Form des Kommentierens aber bei den Olympischen Spielen in Paris erwartet hat, wurde gründlich enttäuscht! Kommentiert wurden Bouldern und Lead von ZDF Kommentator Julius Hilfenhaus und Ludwig (Dicki) Korb, einem bekannten Klettertrainer, der unter anderem Alex Megos trainiert (BAMBULE Kletterhalle Nürnberg, 2023). Vorab möchte ich noch sagen, dass es keinesfalls darum geht, die Kommentatoren zu diffamieren, sondern darum, zu sensibilisieren und eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schaffen, welche Kommentare im Leistungssport sinnhaft und welche unprofessionell, sexistisch und diskriminierend sind. Um die Kommentare besser nachvollziehen zu können, befinden sich hinter den Zitaten auch die Zeitstempel, sodass diese im Stream nachgeschaut werden können. Auch institutionell kann (und sollte) an dieser Stelle hinterfragt werden, wie sinnhaft es ist, Wettkämpfe von Frauen von zwei Männern kommentieren zu lassen – zumal es sehr viele weibliche Expertinnen gibt, die man dazu hätte einladen können.
Ästhetik, Gewicht & Körperformen – fehlplatzierte persönliche Kommentare
Bei Sportarten, die in Gewichtsklassen unterteilt sind, kann man eventuell über das Gewicht sprechen. Notwendig ist es auch dort nicht, aber eventuell naheliegender. Aber beim Bouldern gibt es keine Gewichtsklassen und auch keine Notwendigkeit, das Gewicht und vor
allem die Körperformen der Athletinnen zu kommentieren. Nachdem Laura Rogora, eine italienische Athletin die Fläche betritt, kommentiert Hilfenhaus:
“Da sind wir bei Laura Rogora, ich weiß auch nicht, aber es erinnert mich gerade
daran, dass wir einmal erwähnen können, dass Nuria Brockfeld vor ein paar Tagen
ihre Karriere beendet hat und ganz offen gesagt hat, wegen einer Essstörung, das ist,
muss man sagen, ein großes Thema in der Kletterszene, insbesondere bei den Frauen
[…].” (Sportklettern: Boulder&Amp;Lead(F), Speed(M), o. D. Minute 50:27 – Julius
Hilfenhaus)
Als Antwort darauf erwiderte der Co-Moderator, dass er sich den Kommentar jetzt verkniffen habe, als Laura rein kam.
Ja, in der Kletterszene sind Essstörungen ein großes Thema. Ja, es ist wichtig, darüber zu sprechen und aufzuklären. Aber nein, eine Athletin zum Anlass zu nehmen, über Essstörungen zu sprechen, ist nicht in Ordnung. Damit wird Laura Rogora mehr oder weniger unterschwellig eine Essstörung fremddiagnostiziert, das überschreitet die Kompetenzen der beiden und ist auch nichts, was die Moderatoren etwas angehen würde. Als Laura Rogora ein weiteres mal die Matte betritt und bei einer Route nicht weiter zu kommen scheint, kommentiert Dicki Korb: „Also Athletik ist nicht ihrs, das ist schonmal klar. Da sind halt auch nicht viele Muskeln vorhanden.“ (01:01:57 – Dicki Korb). Ein paar Minuten später knüpft er daran an: „Das sieht ganz schön dünn aus.”, woraufhin Hilfenhaus
antwortet: “Im übertragenen und im wörtlichen Sinne […]”.
Und auch in die andere Richtung sind Kommentare über das Gewicht und das Aussehen allgemein der Athlet:innen einfach fehlplatziert und unprofessionell. So sagt Korb über Miho Nonaka: “Das gefällt mir dann persönlich son bissl, wenn da auch bissl Muckis im Spiel sind und jetzt net nur so verhungerte Kletterer unterwegs sind. Das ist schöner anzuschauen.” (01:22:26 – Dicki Korb)
Wie schön, von deinen persönlichen Präferenzen zu hören, was hätten wir bloß ohne sie getan.
Mansplainig – immer wieder schön (nicht!)
Man sollte meinen, dass allen klar wäre, dass die Athlet*innen, die an den Olympischen Sommerspielen teilnehmen, Profisportler*innen sind und sich mit ihrer jeweiligen Sportart bestens auskennen. Trotzdem schienen es die beiden Kommentatoren für notwendig zu halten, an der einen oder anderen Stelle zu erläutern, was die Athletinnen anders hätten machen sollen, damit sie erfolgreicher gewesen wären. Und gerade beim Bouldern, wo es viel darum geht, eine Route zu lesen, um diese besser absolvieren zu können, könnte man davon ausgehen, dass die Athletinnen wissen, was sie tun. Da braucht es in der Regel keinen Mann, der ungefragt
seinen Senf dazu gibt.
Als Lucia Dörffel, eine deutsche Athletin am zweiten Boulder ist, kommentiert Hilfenhaus:
“Sie hat noch 45 Sekunden, sie MUSS jetzt nochmal angreifen, also das ist Olympia, das
bringt jetzt nichts zu sagen ‘oh nöö’“ (40:50, Julius Hilfenhaus) Mit den Worten “Das macht sie auch net, da ist sie dann Profi genug” (40:50, Dicki Korb)
ordnet Ludwig Korb die Worte seines Kollegen ein. “Dafür lässt sie sich hier aber viel Zeit” (40:51, Julius Hilfenhaus) erwidert Hilfenhaus.
“Man muss halt auch erst wieder hinkommen, das ist ja net so, dass des jetzt einfach ist, dahin zu klettern” (40:58, Ludwig Korb). Scheinbar undenkbar, dass diese Profisportlerin selbst einschätzen kann, wie viel Pause ihre Muskulatur benötigt, um noch einen Versuch zu wagen. Undenkbar, dass Dörffel vielleicht selbst durchaus weiß, dass es nicht einfach ist, wieder zum gleichen Punkt zu bouldern. Das ist anstrengend? No shit Sherlock!
Nationalitäten egal, Namen egal
Irren ist menschlich und natürlich kann es passieren, dass unbeabsichtigt aus Zelia Avezou mal Celine wird. Die Reaktion von Hilfenhaus auf die Frage von Korb, ob er Zelia gerade Celine genannt habe, zeigt aber sehr deutlich, wie wenig Taktgefühl man(n) besitzen kann.
“Ja, aber da gibts ja auch berühmte Französinnen” (50:57, Julius Hilfenhaus)
Als Seo Chaehyun die Bühne erstmals betritt, kommentiert Hilfenhaus: “Ich frage mich jedes
mal, bei den asiatischen Nationen, China, Südkorea, sagt man jetzt erst den Familiennamen,
dann den Vornamen oder dreht man’s um?” (01:08:40 – Julius Hilfenhaus). Sein Co-Moderator Ludwig (genannt Dicki) Korb präsentiert die Lösung: “Wir sagen mal so mal so, glaub ich, dann liegen wir irgendwie richtig” (01:08:42 – Ludwig Korb).
Bei einer Veranstaltung wie den Olympischen Spielen kann man durchaus erwarten, dass sich jemand aus dem Team vorher mit den einzelnen Athlet*innen beschäftigt und die Moderator*innen eine gewisse Expertise und interkulturelle Kompetenz mitbringen. Dazu gehört auch, die Namen der Sportler*innen zu kennen und richtig aussprechen zu können.
Die Olympischen Spiele sind eine magische Zeit und Bouldern und Lead Wettkämpfe sind spannend und die Leistung der Athlet*innen ist jedes mal aufs neue beeindruckend. ABER: Liebes ZDF und ARD Team, vielleicht wären für den nächsten Wettbewerb Moderator*innen angemessener, die weder die Körper der Athlet*innen kommentieren, noch meinen, sexistische Kommentare im Öffentlich-Rechtlichen wären witzig. Und, eine Frau im Team zu haben, wäre nicht nur sehr wünschenswert, sondern auch dringend notwendig.
Johanna Lodemann
Quellen:
BAMBULE Kletterhalle Nürnberg. (2023, 7. Oktober). Am 4. Dez.: Workshop mit Dicki Korb, Patrick
Matros und Prof. Dr. Volker Schöffl – BAMBULE. BAMBULE.
https://bambule-kletterhalle.de/kurse/kletterwork-mit-prof-dr-volker-schoeffl-patrick-matrosund-
dicki-korb/?drpStartPage=264384417&bookingPluginContainerId=%23drp-booking
Sportklettern: Boulder&Lead(F), Speed(M). (o. D.). Olympia 2024 Paris: Sportklettern:
Boulder&Lead(F), Speed(M) – ZDFmediathek.
https://www.zdf.de/sport/olympia/sportklettern/sportklettern-boulderleadf-speedm-livestream-
100.html
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