Inhaltswarnung: Im folgenden Beitrag geht es um Themen, die mitunter triggern könnten.
Wer nichts von Sexismus, übergriffigem Verhalten, sexualisierter Gewalt lesen möchte, sollte sich lieber einen anderen Beitrag auf frauenseiten aussuchen.
Ganz ehrlich: Die Recherche zu diesem Beitrag habe ich sehr voreingenommen begonnen.
„FLINTA* wird es in der Veranstaltungstechnik sicher geben“, dachte ich, „aber männerdominiert wird das Feld doch trotzdem sein“. Ich habe mir vorgestellt, wie weiblich gelesene Tontechniker*innen auf Veranstaltungen von irgendwelchen Mackern für die Assistenz gehalten und nervige Verbesserungsvorschläge zum Sound ertragen müssen. Glücklicherweise scheint mein Bild nicht ganz der Realität zu entsprechen, zumindest nicht für alle. Trotzdem gibt es auch in der Veranstaltungstechnik Sexismus. Denn hier existieren, sowohl am Theater, als auch auf dem freien Markt, Hierarchien. Und wo es Hierarchien gibt, gibt es cis Männer in Führungspositionen, die ihre Macht demonstrieren.
Um einen Einblick in die Perspektive von FLINTA* Tontechniker*innen in Bremen zu bekommen, habe ich eine angerufen: Katharina Lehmann von der bremer shakespeare company.
Was machen eigentlich Tontechniker*innen?
Tontechniker*innen stellen und bedienen technische Geräte für die Aufnahme und Bearbeitung, Übertragung und Einspielung von Tonproduktionen. Sie können beim Rundfunk, Fernsehen, in der Filmwirtschaft, bei Veranstaltungsagenturen, Theatern oder auch in Synchron- und Tonstudios oder Tonträgerproduktionen arbeiten. Theoretisch ist alles möglich – meist spezialisiert man sich nach der Ausbildung auf einen Bereich.
Katharina Lehmann hat ihre Ausbildung von 2016 – 2018 am Staatstheater Braunschweig gemacht und sich dort eher auf Beleuchtung spezialisiert. In der Company macht sie ein bisschen von allem – ihr Schwerpunkt ist Licht, sie kann aber auch Tontechnik und ein bisschen Video. Angefangen hat alles aber schon, als sie mit 13 (oder 14?) in einer Musicalgruppe mitgespielt hat. Die Veranstaltungstechnik für die Aufführungen in der Kirche wurde ausgeliehen und dann unter Anleitung selbst aufgebaut. Katharina hat also schon als Kind Bühnenpodeste zusammengeschraubt und in der Wolfenbütteler Kirche, wo die Aufführungen stattfanden, über den Altar gebaut.
Sexistisch geht’s vor allem am Theater zu
Bei der bremer shakespeare company ist die Technik zur Hälfte weiblich besetzt:
„Wir sind aktuell 6 Techniker und Technikerinnen, wir haben eine Wahnsinnsfrauenquote von 50% aktuell unter den festangestellten Techniker*innen, ich glaube, das gibt es sonst nirgends…“
Bei der bremer shakespeare company, so Lehmann, gebe es außerdem keinen Sexismus oder Hierarchien.
„… das haben wir hier nicht (…) die bremer shakespeare company wurde in den 80er Jahren von Schauspieler*innen gegründet, die eben ein selbst verwaltetes Theater haben wollten (…) alle Entscheidungen werden im Plenum getroffen (…) jeder kann sich einbringen, jeder kann Vorschläge machen und da sind auch wir Techniker*innen in diese Prozesse eingebunden.“
Generell sehe es an deutschen Theatern aber anders aus.
„(…) wenn man sich so die großen oder die größeren Theater anschaut, Stadt- und Staatstheater, da ist ja ein ganz krasses Abteilungsdenken vorhanden (…) gerade am Theater sind es dann eher die Herren aus der Kunst, also Regisseure und ähnliches, die dann sehr von oben herab unterwegs sind und versuchen, ihre Macht auszuspielen. Das ist ja jetzt auch gerade in den letzten Jahren immer wieder durch die Medien gegangen, dass irgendwelche Intendanten ihre Macht missbraucht haben, dass Operndirektoren ihre Macht missbraucht haben und junge Sängerinnen, junge Schauspielerinnen unter Druck setzen nach dem Motto: ‚wenn du nicht (macht eine Pause) dann ist deine Karriere in Gefahr.‘ Da (…) habe ich von wirklich vielen Fällen mitbekommen und ich befürchte einfach, dass davon auch ganz ganz viele Fälle gar nicht erst ans Tageslicht kommen, weil viele junge Frauen Angst haben, dass ihre Karriere wirklich im Eimer ist, wenn sie (…) das öffentlich machen. Das ist tatsächlich ein strukturelles Problem an den Theatern. Das sind Machtverhältnisse, wie vor hunderten von Jahren (macht eine Pause) ich glaube, da hat sich nie großartig was geändert. Theater ist, zumindest an diesen großen Häusern, stark hierarchisch aufgebaut, auch in der Technik, aber so ganz generell, es gibt den Intendanten, selten auch die Intendantin und die entscheiden, ganz klar, was wird gespielt und hat da irgendwo ‘ne Machtposition.“
Missbrauch an den Staatstheatern Braunschweig und der Berliner Volksbühne
In meiner Recherche stelle ich fest, dass Katharina Lehmann ihre Ausbildung von 2016 – 2018 am Staatstheater Braunschweig absolviert hat. Zeitgleich war hier Philipp Kochheim Operndirektor. Gegen Kochheim wurden 2018 zahlreiche Vorwürfe wegen sexualisiertem Machtmissbrauch laut. Von diesen Vorfällen erzählt auch Katharina Lehmann, die Kochheim allerdings „nicht mehr so richtig mitbekommen“ hat, da er noch während ihrer Ausbildung die Stelle wechselte.
Trotz der Vorwürfe, er habe Frauen sexuell bedrängt und misshandelt, die auch durch die österreichische Presse liefen, arbeitet Kochheim tatsächlich weiter am Theater. Zwar stellte die Grazer Opern-Intendantin Nora Schmid 2018 klar, Kochheim würde bei ihr nicht mehr inszenieren – in Aarhus hatte man mit den Vorfällen aber offensichtlich keine Probleme. Seit der Spielzeit 2017/2018 ist Kochheim Intendant und künstlerlischer Leiter am Theater der Dänischen Nationaloper tätig und gewann in den letzten Jahren auch noch Preise für seine Inszenierungen. Absurderweise finde ich zu den Übergriffen kaum Online-Artikel – das ist beinahe genauso ernüchternd, wie zu lesen, dass die Vorfälle Kochheims Karriere offensichtlich keinen Abbruch getan haben.
Ich hatte gerade angefangen, den Beitrag zu schreiben, da titelte die taz: „metoo an der Berliner Volksbühne: Eine Bühne für Sexisten“. Dort erheben mehrere Mitarbeiterinnen Vorwürfe der sexuellen Belästigung und sexualisierten Gewalt gegen den Intendanten Klaus Dörr. Ein Intendant, der an einer durch öffentliche Mittel finanzierten Einrichtung über Einstellungen entscheidet und Verträge schließt, forderte Mitarbeiterinnen zum Tragen hoher Schuhe auf, starrte sie offensiv an und soll upskirting (das heimliche Fotografieren unter Röcke) betrieben haben. Mittlerweile ist Dörr zurückgetreten, wie die Zeit berichtete.
Sexistische Machtstrukturen
Das Ergebnis meiner Recherche zu Sexismus im Alltag von Tontechniker*innen ist also ernüchternd: Offenbar haben zumindest Theater- und Opernhäuser ein derartiges Problem mit Sexismus und Machtstrukturen (falls das noch jemand anzweifelt, empfehle ich dringend die Lektüre der oben verlinkten Artikel; die Übergriffe hätten verhindert werden können), dass es völlig egal ist, wo wir ansetzen: Von der Tontechnik über die Assistenz bis zu den Schauspielerinnen auf der Bühne wurden und werden Frauen und weiblich gelesene Personen belästigt.
Als ich nochmal nachhake, erzählt auch Katharina von „solchen Geschichten“.
„(… )das war ein ganz konkreter Fall eines Regisseurs, der übergriffig wurde, auf einer Premierenfeier. Das hatte mit der Technik gar nichts zu tun, der hat mich einfach als Frau gesehen und dachte sich: Was mit den Schauspielerinnen funktioniert, das könne er ja mit mir auch machen (…) und hat da eben versucht, seine Machtposition auszunutzen. Da Kunst und Technik in diesem Fall aber getrennt sind, weil er als Regisseur mir auch gar nichts zu sagen hat, sondern die Ansprechpartner für ihn meine Vorgesetzten waren, hatte er da keine Macht, da bin ich ganz gut wieder herausgekommen. Scheiße wars natürlich trotzdem. Aber da hab ich mir dann auch gedacht: Wäre das jetzt ‘ne Schauspielerin gewesen, hätte das anders laufen können.“
Ein Vorteil gegenüber Schauspielerinnen und Künstlerinnen seien außerdem die Arbeitsverträge. Diese hätten sich, was die Technik betrifft, in den letzten Jahren gebessert. In den meisten Häusern gäbe es mittlerweile Tarifverträge, sodass Techniker*innen weniger einfach zu kündigen sind. Die Künstler*innenverträge hätte nicht selten ein „Schlupfloch“, nach dem sich Intendanten oder Regisseure von Mitarbeiter*innen trennen können, wenn es künstlerisch nicht mehr passt. Eine solche Entscheidung sei schwer anzufechten, weshalb viele Frauen Angst hätten, Vorfälle öffentlich zu machen.
„Da ist man natürlich in der Technik ein bisschen safer.“
Also so gar kein Sexismus innerhalb der Technik?
Ich habe Katharina Lehmann auch gefragt, wie sie sich auf Veranstaltungen von Gästen und innerhalb der Tontechnik behandelt fühlt und ob sie oft darauf reduziert wird, eine Frau zu sein.
„Andersherum habe ich oft das Gefühl, dass Leute denken: ‚Ah eine Frau in der Technik, das ist ja cool!‘ Weil es eben doch noch exotisch ist. Also es werden immer mehr Frauen, die das machen, aber es ist eben nicht die Norm. Da gibt es ganz, ganz viel positives Feedback auch. Aber das Leute, eben gerade Männer, einem den Job erklären wollen, obwohl sie keine Ahnung haben, das passiert ständig. Das liegt aber auch nicht daran, dass ich als Frau gelesen werde, sondern das passiert meinen männlichen Kollegen genauso. Also es sind dann Zuschauer, die ankommen und sich über den Ton beschweren (…) Leute, die zuhause ne Stereoanlage stehen haben und jetzt der Meinung sind, sie wissen, wie Tontechnik funktioniert.“
Innerhalb der Technik, erzählt Katharina, vor allem in der Bühnentechnik, hätte sie „nett gemeinten Sexismus“ erlebt:
„(…) so nach dem Motto: ‚Oh, das ist ‘ne Frau, der müssen wir tragen helfen! Das schafft die ja sonst nicht!‘ Ich fand das in dem Fall eher niedlich. Der Altersdurchschnitt ist da eher Mitte, Ende 50. Da kommt dann ein 62 Jahre alter Mann mit Rückenproblemen an und will mir irgendwas Schweres aus der Hand nehmen, weil er der Meinung ist, das gehört sich so (…) das ist genau ein mal passiert, da hab ich ne Ansage gemacht (…) : wenn ich Hilfe brauche, sage ich konkret Bescheid und ansonsten will ich keine haben – dann war das auch gegessen, das Thema.“
Vorwürfe gegen Intendanten und Regisseure gebe es immer, das möchte Lehmann aber nicht als Problem ausschließlich der Kunst betrachten. Sie gehe davon aus, dass es sowas auch in der Technik gibt.
Anael Dz
Andrea meint
Interessanter Artikel zu einem leider immer noch gegenwärtigen Problem. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße Andrea