— Triggerwarnung: Schwangerschaftsabbruch —
Anfang Mai ist es in den USA wieder mal zu Protesten für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekommen. Grund dafür ist, dass der Gouverneur Greg Abbott das sogenannte „Herzschlag-Gesetz“ erlassen hat. Es darf also (von Seiten der Ärzt*innen) nicht mehr abgetrieben werden, wenn der Herzschlag zu hören ist. In Polen hat das harte Abtreibungsgesetz 2020 zum Tod einer 30-Jährigen geführt. Es kam zum Aufschrei in dem eigenen Land und darüber hinaus. Auch in Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich strafbar und nur bedingt möglich.
Rechtliche Lage in Deutschland
„(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes“ (§ 218 StGB).
So lautet der erste Absatz des umstrittenen Paragraphen 218 StGB in Deutschland. Noch immer steht er im Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“. Seit Jahren steht dieser Abschnitt in der Kritik, was vor allem von Frauenbewegungen in Deutschland initiiert wird. Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland rechtswidrig und ist nur unter bestimmten Bedingungen straffrei: Wenn eine medizinische oder eine kriminologische Indikation vorliegt.
Unabhängig von kriminologischer und medizinischer Indikation ist ein Schwangerschaftsbruch für Schwangere bis zur 12. Woche nach der Beratung straffrei. Eine medizinische Indikation liegt vor, wenn „für die Schwangere Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes besteht“ (BMFSJ). Sollte die Schwangere Opfer einer Straftat geworden sein, dann ist es auch unter diesen Umständen möglich, den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. In diesem Fall liegt eine kriminologische Indikation vor.
Sollte ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig durchgeführt werden, dann liegen die Strafen entweder bei drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe. Zum Vergleich: die Strafen für Vergewaltigungsdelikte liegen bei wenigen Monaten bis zu 15 Jahren. Die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen hat sich übrigens seit 150 Jahren in dem Strafgesetzbuch gehalten. Wenn ihr das Gesetz mal sucht: es steht gleich hinter Mord und Totschlag.
Derzeit ist vor allem der §219a StGB in der Diskussion, der Ärzt*innen verbietet, auf ihren Websites über die Methoden eines Schwangerschaftsabbruches zu informieren. Von Gegnern des Schwangerschaftsabbruches wird dies gerne als „Werbung“ interpretiert und das ist grundsätzlich verboten In dem Gesetz §219a heißt das genau:
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise
- 1. eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder
- 2. Mittel, Gegenstände oder Verfahren, die zum Abbruch der Schwangerschaft geeignet sind, unter Hinweis auf diese Eignung
anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§219a StGB).
Im übrigen wurde §219a StGB überhaupt erst unter der Naziherrschaft eingeführt. Schlimm genug also, dass dieser Nazi-Paragraf immer noch gültig ist.
Reformversuche scheiterten regelmäßig. Und auch im Jahr 2022 scheint eine moderne, umfassende Gesetzesänderung des §218 StGB in weiter Ferne zu liegen. Über die Abschaffung des „Werbeverbots“ (§ 219a StGB) läuft immerhin derzeit im Bundestag eine Debatte. Im jetzigen Koalitionsvertrag ist nämlich eine Abschaffung des § 219a vereinbart.
Über die Sinnhaftigkeit dieser Gesetze kann man also ausführlich debattieren. Laurie Penny hat in ihrem Buch: Sexuelle Revolution passend geschrieben:
„Meiner Ansicht nach dürfte es für Abtreibungen keinerlei gesetzliche Einschränkungen geben. […] Die Frage, ob ein Fötus ein Mensch ist, kann die Wissenschaft nicht beantworten. Die Frage, ob eine Frau ein Mensch ist, steht jedoch nicht zur Debatte – dabei müssten das weibliche Menschsein und der weibliche Schmerz den Ausschlag geben“ (Laurie Penny, Sexuelle Revolution, S. 232-236).
Schwangerschaftsabbrüche werden weniger, Diskussionen mehr
In Deutschland sinken die Zahlen von Schwangerschaftsabbrüchen seit dem Beginn der Pandemie deutlich. Rund 94.600 wurden mit rechtlicher Begründung durchgeführt, damit sind es 5,4 Prozent weniger als im Vorjahr. 96 Prozent der im Jahr 2021 gemeldeten Schwangerschaftsabbrüche wurden zuvor nach §218 beraten.
Die genauen Gründe für den Abbruch werden aus datenschutzrechtlichen Gründen bundesweit nicht erfasst. Eine unabhängige Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ergab, dass in einem Drittel der Fälle eine schwierige Partnerschaftssituation vorlag. Der Vater des Kindes war beispielsweise nicht mehr aufzufinden oder die Reaktion des Partners auf die Schwangerschaft war ablehnend. Auch gesundheitliche und finanzielle Bedenken wurden genannt. Ein interessanter Fakt: Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass die Konfliktberatung vor dem Abbruch keinen Einfluss auf ihre Entscheidung hatte. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieses Vorgespräches bleibt also offen.
Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs erschwert die Professionalisierung von Ärzt*innen und die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Statt sich diesen Problemen zu widmen, dass der Zugang vereinfacht wird, passiert genau das Gegenteil. Die Diskussionen beschränken sich auf die Abschaffung des § 219a StGB und nicht auf die mangelnde Versorgung von Schwangeren.
„Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs gefährdet – damals wie heute – die Gesundheit von ungewollt Schwangeren in Deutschland. Sie steht einer angemessenen Gesundheitsversorgung im Wege und verhindert die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Selbstbestimmung gebärfähiger Menschen“ (Ärzteblatt).
Besonders für Ärzt*innen muss die Weitergabe von Informationen straffrei bleiben. Viele werden bedroht und angezeigt, was zur Folge hat, dass nur wenige Ärzt*innen Schwangerschaftsabbrüche durchführen und Schwangere länger zu den jeweiligen Praxen fahren müssen. Der Grund ist ein hohes Risiko für Ärzt*innen. Für Schwangere aus prekären und nicht prekären Verhältnissen kann dies auch eine weitere Hürde sein, was zu einer gefährlichen Versorgungslücke führt. Diese Versorgungslücke ergibt sich auch daraus, dass die Generation der Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, jetzt in Rente geht. Denn die Kriminalisierung führt auch dazu, dass die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen nicht zur normalen Ausbildung von Ärzt*innen gehört, nicht mal von Gynäkolog*innen.
Wie wird ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt?
Zuallererst muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die hier dargestellten Informationen auf verschiedenen Informationsseiten basieren. Bei näheren Fragen sollten Expert*innen direkt konsultiert werden. Es gibt zwei Methoden: die Operative und die Medikamentöse. Der operative Abbruch erfolgt durch Absaugen oder Ausschabung. Beide können bis zur 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Bei der medikamentösen Methode wird entweder eine Tablette mit dem Wirkstoff Mifegyne oder mit Prostaglandinen genommen. Bei beiden Möglichkeiten ist die Schwangerschaft zu 95 Prozent beendet. Schwierig ist jedoch, dass diese Methode nur bis zur neunten Schwangerschaftswoche erlaubt ist. Ab der vierten Woche kann frau aber erst wissen, dass sie* schwanger ist, somit bleiben noch fünf Wochen für diese Methode.
Schwangerschaftsabbruch = gesundheitliches Risiko?
Ein Schwangerschaftsabbruch ist aus medizinischer Sicht ein vergleichsweise kleiner Eingriff. Es können dennoch bestimmte Risiken und Nebenwirkungen auftreten. Leichte Blutungen und Schmerzen können bei der operativen Methode auftreten. Schwerwiegendere Komplikationen bei nachfolgenden Schwangerschaften sind auch möglich, denn das Risiko einer Frühgeburt steigt. Eine Ausschabung hat höhere Komplikationswahrscheinlichkeit, weshalb sie in Deutschland weniger eingesetzt wird. Bei medikamentösen Eingriffen können noch Kopfschmerzen, Übelkeit und Schwindel hinzukommen. Zusammengefasst können sowohl eher kleinere Beschwerden als auch größere Risiken auftreten. Die 30-jährige Polin hatte wegen des strikten Abreibungsgesetz leider nicht die Möglichkeit das Risiko abzuwägen.
In diesem Zusammenhang steht das viel diskutierte „Post Abortion Syndrome“. Die mentale Gesundheit der Schwangeren, die abgetrieben haben, leiden angeblich darunter. Pro Familia kritisiert dazu:
Gegner*innen reproduktiver Selbstbestimmung und Anhänger der religiösen Rechten benutzen die Bezeichnung, um eine Reihe negativer Reaktionen Schwangerschaftsabbrüchen zuzuschreiben (pro familia).
Jens Spahn handelte sich als Bundesgesundheitsminister 2019 viel Kritik ein, als er eine Studie über die seelische Gesundheit nach Schwangerschaftsabbrüchen für viel Geld auf den Weg brachte. Dies gilt nämlich als Zugeständnis für Abtreibungsgegner*innen. Das „Post Abortion Syndrome“ wird bis heute von keiner medizinischen oder psychiatrischen Vereinigung anerkannt. Die Stigmatisierung durch die Gesellschaft und andere Faktoren scheinen sich eher psychisch auf Schwangere auszuwirken, so pro familia. Vielleicht ist der gesellschaftliche Druck dann eher das „Post Abortion Syndrome“?
Kein Schwangerschaftsabbruch möglich = auch ein gesundheitliches Risiko?
Auf der rechtlichen Ebene ist es also sehr problematisch, was straffrei bleibt und was nicht. Hat frau sich also nach der Beratung für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden, dann muss diejenige natürlich mit den Konsequenzen leben. Zumindest hat sie nach der Beratung ja verpflichtend drei Tage Bedenkzeit. Nach den drei Tagen kann der Schwangerschaftsabbruch legal durchgeführt werden. So die Situation in Deutschland. Was ist aber, wenn dies nicht möglich ist?
In anderen Ländern dieser Welt werden vor allem illegale Abtreibungen vorgenommen. Ein trauriges Beispiel ist Nigeria, denn rund 6.000 Schwangere verlieren dort jährlich ihr Leben. Eine Abtreibung steht dort unter hohen Strafen. Selbst wenn das Leben in akuter Gefahr ist, dürfen viele Bundesstaaten keinen Schwangerschaftsabbruch durchführen.
Dies ist ein riesiges Problem, da manche Betroffene selbst versuchen, einen Abbruch vorzunehmen. Sie schlucken beispielsweise Medikamente, was zu einer Lebensgefahr für sie selbst führen kann. Neben psychologischen Traumata können auch gesundheitliche Schäden eine Wirkung sein. Deswegen muss man fragen, ob es nicht ein viel höheres Risiko ist, dass ungewollt Schwangere illegal eine Abtreibung durchführen.
Kämpferische Frauen in Lateinamerika und Geburtenkontrolle in Russland
Es gibt auch positive Nachrichten in Sachen reproduktiver Selbstbestimmung. Jahrelang kämpften Frauenbewegungen in Argentinien für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Mit Erfolg! Am 30. Dezember 2020 stimmte der argentinische Senat für Möglichkeiten des Abbruches bis zur 14. Schwangerschaftswoche. Mit ihrem grünen Halstuch als solidarisches Erkennungszeichen, haben die „Marea Verde“ (Grüne Welle) einen großen Einfluss auf das Thema gewonnen. Sie verlangen sichere und kostenfreie Abtreibung, Sexualkunde in Schulen und Zugang zu Verhütungsmitteln. Und ihr Protest verbreitet sich im ganzen Land. Es löste eine enorme Dynamik aus, beispielsweise in Mexiko, wo die höchste gerichtliche Instanz ein komplettes Abtreibungsverbot für verfassungswidrig erklärt hat. Auch hier hatten die Marea Verde Mexiko mit ihrem Kampf einen großen Anteil.
In Russland müssen Schwangere nicht für ihr Recht auf Schwangerschaftsabbrüche kämpfen, denn es gilt als Hilfsmittel zur Geburtenkontrolle. Schon im Jahr 1920 wurde es in in der Sowjetunion legalisiert. Heutzutage sind in Russland Schwangerschaftsabbrüche bis zur 22. Woche mit geringen Einschränkungen legal. Dies ist vor allem aus der historischen Perspektive begründet, denn im Jahr 1955 hatten illegale Abtreibungen zu einer hohen Anzahl von Toten geführt. Verhütungsmittel standen erst nach und nach zur Verfügung, so dass Abtreibungen weitestgehend legal und unproblematisch wurden.
Hilfe in Bremen
In Bremen gibt es Konfliktberatungsstellen, beispielsweise an verschiedenen Standorten von pro familia und auch bei anerkannten Frauen*ärztinnen. Schwangerschaftsabbrüche werden in dem kleinsten Bundesland Deutschlands noch immer oft operativ mit Absaugung gelöst und nicht mit der medikamentösen Variante. Letztgenannte wäre schonender für die Schwangere. Noch immer gibt es viel im Land Bremen und weltweit zu tun. Das zeigt sich spätestens nach unserem letzten Artikel im Februar 2021 zu diesem Thema.
Was bleibt?
Im Rahmen unseres Gesundheitsspecials zeigt dieses Thema eine nicht endende Aktualität. Der Kampf um reproduktive Selbstbestimmung wird in Deutschland noch immer von dem Paragraphen 218 torpediert. Die jetzige Bundesregierung hat zwar angekündigt, dass sie §219a (Werbeverbot) abschaffen will, aber derzeit steht keine komplette Straffreiheit für einen Schwangerschaftsabbruch zur Debatte. Schwangere werden die Entscheidung nicht leichtfertig treffen, sondern sich der sozialen, finanziellen, gesundheitlichen Risiken eines Abbruches bewusst sein. Es gibt nur eine Frage, die man sich immer stellen muss, wenn man Menschen in dieser Situation vorschnell verurteilt: Was würde ich selber tun?
Larissa
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