Wir alle kennen diese Vorurteile. Lebt eine Frau ihre Sexualität offen und selbstbewusst aus, hat sie gerne und viel Sex, dann wird sie schnell als Schlampe abgestempelt. Dieses so genannte Slut Shaming spiegelt sich in vielen Ebenen unserer Gesellschaft wider, sei es in der medialen Repräsentation von Frauen oder im Umgang mit weiblichen Überlebenden sexualisierter Gewalt.
Eine neue Plattform für Slut Shaming bietet das in den letzten Jahren stark gewachsene Online-Dating.
Was ist Slut Shaming?
Aber was genau verstehen wir eigentlich unter dem Begriff Slut Shaming? Zusammengesetzt aus den englischen Worten für “Schlampe” und “Beschämen” bedeutet er, gezielt weibliche Personen für ihr meist von der gesellschaftlichen Norm abweichendes Sexualleben zu verurteilen. Diese Abweichung kann sich beispielsweise durch außergewöhnliche Praktiken oder besonders viele, häufig wechselnde Partner*innen äußern.
Wann tritt Slutshaming auf?
Allerdings muss es nicht einmal das direkte Sexualleben sein. Ein selbstbewusstes Auftreten in der Öffentlichkeit mit körperbetonender Kleidung, reicht oftmals schon aus, um als Frau „geslutshamed“ zu werden. Das Anzweifeln der Glaubwürdigkeit von weiblichen Überlebenden sexualisierter Gewalt aufgrund der knappen Kleidung, die sie während des Übergriffs trugen, ist nicht nur Victim Blaming, sondern auch eine weitere Form von Slut Shaming.
Der Zusammenhang zum Online-Dating
In Bezug auf Online Dating bedeutet das für Frauen, die Männer daten wollen, häufig Rechtfertigung, Scham und im schlimmsten Falle auch Gefahr. Inwiefern Online-Dating in nicht-heterosexuellen Kreisen stattfindet, bedarf einen eigenen Blickwinkel und birgt ebenso individuelle Problematiken. Slut-Shaming jedoch bezieht sich meist auf Frauen, welche zu Männern Kontakt haben. Deshalb liegt hier der Fokus primär auf der heterosexuellen Perspektive. Vor allem Dating-Apps wie Tinder oder Lovoo haben den Ruf, oftmals eher für einmalige Sex-Dates genutzt zu werden, wobei ein tatsächliches Kennenlernen eher im Hintergrund steht. Dementsprechend negativ behaftet ist für Frauen die Nutzung dieser Apps.
Heterosexuelle Männer können meist stark und selbstbewusst ihre Sexualität ausleben und werden von ihren Freunden häufig noch für besonders viele „Matches“ mit Frauen auf den Plattformen gefeiert. Die an Männern interessierten Frauen hingegen erfahren bei der Nutzung solcher Apps häufiger Verurteilung.
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Online-Dating und sexualisierte Gewalt
Aufgrund von Online-Dates mit Männern als Frau „geslutshamed“ zu werden, kann sich auch noch anders äußern als lediglich durch gesellschaftliche subtile oder direkte Verurteilung. Tatsächlich besteht ebenso die große Gefahr, dass Frauen, die sich mit Männern aus dem Internet treffen, sexualisierte Gewalt erleben. Hierbei spielt sicher auch die Ansicht einiger Männer eine Rolle, dass Frauen, die online daten, stets offen für Sex sein müssten.
„Ihr Weiber heute spinnt doch alle! Was dachtest du denn, was passiert, wenn du hierherkommst?“
~ Ein Mann zu seinem weiblichen Tinder-Date während eines sexuellen Übergriffes
Ein Panik-Knopf und ein neues Konzept
Um dem Slut Shaming und allen Gefahren, die damit einhergehen, im Bereich des Online-Datings entgegenzuwirken, gibt es bereits mehrere Ansätze. So hat Tinder, vorerst leider nur in den USA, einen so genannten Panik Button in der App eingerichtet. Diesen kann man aktivieren, um über mehrere Schritte heimlich die Polizei und Notfallkontakte erreichen zu können.
Eine eigens gegen Slut Shaming entwickelte Dating-App nennt sich Pickable. Hierbei sieht der Mann erst nach dem von der Frau bestätigten Match ihre Fotos und ihr ganzes Profil. So wird dem ungewünschten Erkanntwerden und Kontaktieren der Frauen auf Dating-Plattformen entgegengewirkt. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die App Bumble, bei welcher Frauen aussuchen können, ob sie das Gespräch beginnen wollen – Oder eben nicht.
Ich habe in den vergangenen Jahren mit Tausenden Frauen gesprochen, und sie alle wollen zwei Dinge: mehr Privatsphäre beim Online-Dating und weniger aggressive Anmache.
~ Clementine Lalande, Pickable-Entwicklerin
Noch nicht am Ziel, aber auf dem Weg
Ob die aktuell angespannte Corona-Situation zu mehr Mühe, Rücksichtnahme und einer dauerhaften Änderung im Online-Dating führt, bleibt abzuwarten. Ein revolutionärer Umschwung geschieht wohl nicht von heute auf morgen, weder aufgrund von Quarantäne und Co. noch aufgrund eines plötzlichen gesellschaftlichen Umschwungs.
Und auch das strukturell so tief verankerte Slut Shaming wird sich noch weiterhin in vielen Lebensbereichen widerspiegeln. Dennoch zeigen Apps wie Pickable und der von Tinder eingerichtete Panik-Knopf, dass das Bewusstsein für mehr Sicherheit und Selbstbestimmung von Frauen wächst. Man bemüht sich immer mehr darum, diesem gerecht zu werden.
Natürlich sind wir noch lange nicht am Ziel. Doch wir sind auf dem Weg dorthin, auch wenn er noch dauern wird.
Franka Billen
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