Hannah Witton ist Youtuberin, Podcasterin, in gewisser Weise auch Inkluencerin und neuerdings Mutter. Was sie so besonders macht: ihre offene und ehrliche Art über Tabuthemen wie ihre chronische Darmerkrankung und das damit einhergehende Stoma zu sprechen. Über Sexualität, Hormone, sowie Beziehungen aufzuklären. Ihre Videos gibt es bisher leider nur auf Englisch. Sie hat jedoch Bücher geschrieben, von denen eines auch auf Deutsch erschienen ist.
Hannah Witton ist 30 Jahre alt und kommt aus Manchester, Großbritannien. Momentan lebt und arbeitet sie in London. Sie hat Geschichte an der Universität in Birmingham studiert und sich früh auf Sexualgeschichte fokussiert. Das Thema behandelt sie heute auch noch, nur weniger mit dem historischen Schwerpunkt.
Hannah Witton schreibt neben ihrer „Online-Karriere“ auch Bücher. Letztes Jahr hat sie ihr zehnjähriges Youtube-Jubiläum gefeiert. Seit Ende April 2022 ist sie Mutter eines Sohnes. Auch über die Erfahrung mit einem Säugling, zu Stillen und darüber, wie sich ihr Körper während und nach der Schwangerschaft verändert hat, berichtet sie ganz offen auf ihren Social Media-Kanälen. Wusstet ihr zum Beispiel, dass es Übung braucht, auf der Seite zu liegen und dabei das Baby zu stillen? Verständlicherweise konzentriert sie sich aber jetzt erst einmal drei Monate nur auf das Baby und fängt dann wieder mit dem Podcast und ihren anderen Projekten an. Auf Instagram teilt sie trotzdem ab und zu weiterhin ihre Erfahrungen.
Das Stoma und unsichtbare Behinderungen
Ein Stoma ist ein künstlicher Darmausgang, der eine Art Öffnung im unteren Bauch ist. An das Stoma wird regelmäßig ein neuer Beutel angeklebt. Aus dem Stoma kommt der Darminhalt, der sonst weiter unten raus käme, und der Inhalt wird im Beutel gesammelt. Es gibt verschiedene Stomaarten, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Ich hatte bisher kaum Berührungspunkte mit dem Thema *Stoma und habe gedacht, dass es ganz „schlimm“ wäre, eines zu haben. Durch die Videos von Hannah habe ich aber mehr darüber gelernt. Auch gelernt, dass man mit einem Stoma gut leben kann und nur ein bisschen seinen Alltag daran anpassen muss. Hannah hat da eine große Enttabuisierungs- und Aufklärungsarbeit für mich und viele andere geleistet.
Bei Hannah wurde als Kind Colitis ulcerosa, eine chronische Darmerkrankung diagnostiziert. Heute lebt sie sei 2018 mit einem Stoma. Auf ihrer Website befasste sie sich mit der Frage, ob sie denn nun als behindert gelte. Ihre stoma nurse (Krankenschwester mit Spezialisierung auf das Stoma) hätte vor der OP zu ihr gesagt, sie sei zwar nicht behindert, könne aber die behindertenfreundliche Toilette nutzen.
Sie aber identifiziert sich selbst in einem Video von 2019 als behindert (chronisch krank mit Stoma). Da hat sie nämlich erörtert, dass sie in einer Zombieapokalypse nicht an ihre Stoma-Beutel kommen würde. Wenn sie von einem Zombie gebissen würde, hätte ihr Zombie-Selbst auch noch ein Stoma. Diese Überlegungen illustrieren sehr gut, wie humorvoll und kreativ Hannah Witton ist.
Hannah Witton hat ihr eigenes Stoma Mona genannt. Sie hat Videos, in denen sie „Mona“ zeigt und erklärt, wie sie funktioniert. Sie spricht offen darüber, was „Mona the Stoma“ für ihren Alltag und ihre Sexualität bedeutet. Auch in ihrer Schwangerschaft hat das Stoma eine Rolle gespielt. Es wurde unter Anderem größer, wodurch eine andere Beutelgröße notwendig wurde. Manche von den neuen Beuteln haben Hannah Probleme verursacht, zum Beispiel klebten sie schlecht oder haben weh getan.
The Hormone Diaries und Doing-it
Hannah Witton hat eine Video-Serie auf Youtube („The hormone diaries“) zum Thema Sexualhormone und der Erfahrung mit ihnen gestartet. Es geht darin unter anderem um ihre Erfahrungen mit der Anti-Baby-Pille, ihrem Menstruationszylus und Hormonen. Zum Beispiel war ihre Periode sehr unregelmäßig und der Zyklus sehr lang, als sie aufgehört hat die Pille zu nehmen. Sie erzählt auch, was der Vorteil von Sex während der Periode sein kann („period sex„) und wie es am besten geht:
- Beispielweise haben manche Menstruierende zur Zeit ihrer Periode eine sehr große Libido, die Periodenflüssigkeit ist ein natürliches Gleitmittel und Orgasmen können bei Krämpfen und Schmerzen helfen.
- Tipps, die Hannah nennt, sind: Dunkle Handtücher auf die Bettlaken legen, Sex an den „leichten Tagen“ haben und: Kondome helfen dagegen, dass das Blut überall hingelangt. Blut lässt sich mit kaltem Salzwasser einfach auswaschen. Sex muss nicht penetrativ sein, außerdem lassen sich Sexpositionen wechseln. Am besten geeignet sei die Missionarstellung, da dabei am wenigsten Blut verteilt wird.
- Hannah erwähnt aber auch, dass Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten trotz der Periode möglich sind, da Viren/Bakterien schneller in den Körper hineingelangen können. Safer Sex ist Hannah also ein großes Anliegen.
Hannah Witton hat auch seit 2019 einen wöchentlichen Podcast, der „Doing It“ heißt und verschiedene Menschen interviewt. Das Oberthema ist immer Sexualität im Kontext von Gesundheit und Gesellschaft. Die Podcastreihe hat inzwischen 136 Folgen, von denen jede zwischen 32 und 60 Minuten lang ist. Die Themenpalette ist riesig: zwischen Sexualität und Gesundheit (z.B. Fetische, Masturbation, Vaginismus, Swinger, Asexualität), Tabuthemen (z.B. Rassimus in Form von Fetschisierung von Asiatinnen, Schwangerschaftsabbruch, FGM, Sexarbeit und Pornos) oder Themen wie Elternschaft als trans* Person, Behinderungen und Sexualität oder Sexting. Hannahs Ansatz ist in jedem Fall sexpositiv und queer-inklusiv, das heißt, sie stigmatisiert nicht, legt aber immer einen großen Wert auf Konsens.
Die Personen, die Hannah für ihren Podcast einlädt, sind entweder Betroffene, Erfahrene oder Expert*innen. Die meisten ihrer Interviewpartner*innen sind bekannte „Internetpersönlichkeiten“, jung und in der FLINTA* Community zu verorten. Manche von ihnen sind BPoC, queer oder haben eine Behinderung.
Willst du mehr zum Thema lesen?
Eines ihrer Bücher ist im Deutschen als „Untendrumherumreden – Alles über Liebe und Sex“ im Jahr 2018 im CARLSEN Verlag erschienen. Es ist vor allem für Jugendliche geeignet. Im Original heißt es „Doing It. Let’s talk about sex“ (2017, Verlag: Wren & Rook) [dt.: „Es machen. Lass uns über Sex sprechen“]. Ich finde es etwas seltsam, dass es im Original sprachlich so auf den Punkt kommt und in der deutschen Übersetzung so einen komischen „Drumherumgerde“-Titel hat. Anscheinend ist Sexualität im deutschsprachigen Raum ein noch größeres Tabu gerade in der Sexualaufklärung von Jugendlichen als im englischsprachigen.
Ein neueres Buch von Hannah Witton ist „The hormone diaries. The bloody truth about our periods“ (2019, Verlag: Wren & Rook) [dt. „Die Hormon-Tagebücher. Die blutige/verdammte Wahrheit über unsere Periode“], in dem sie sich ausführlich mit der Menstruation befasst. Das Buch ist noch nicht auf Deutsch erschienen. Es beschreibt die Periode aus einem politischen, einem historischen und aus einem persönlichen Kontext: Neben Themen wie Endometriose, PCOS, trans* und nonbinary Identitäten ist das Buch durch viele Geschichten von menstruierenden Personen ergänzt.
Seiten zum Weiterlesen und Informieren bei anderen kreativen Köpfen sind zum Beispiel die von Saskia Frietsch (Instagram: liebesklang), die auch ein Stoma hat und auf Deutsch schreibt. Sie befasst sich viel mit Self-Care und Selbstliebe. Sie hat zusammen mit ihrem Freund und einer Kollegin das „Projekt grenzenlos“ gegründet, wo es um individuelle Schönheit geht, die losgelöst von körperlichen Behinderungen und dem Anderssein sichtbar und spürbar ist. Die Bilder des Fotoprojektes zeigen Menschen mit physischen Besonderheiten zum Beispiel mit Stoma, großen Narben, Feuermalen, Alopecia etc. und wie diese auf den Bildern strahlen.
Warum sich Hannah Wittons Videos und Podcast lohnen
Wieder zurück zu Hannah Witton: Sie hat eine sehr unverkrampfte und ehrliche Art über Themen zu sprechen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und bildet sich und ihre Community regelmäßig weiter. Die Reihe an Themen, die sie behandelt, ist riesig. Dadurch sind ihre Videos und Podcasts neben Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch für alle anderen Menschen sehens- und hörenswert.
Für alle Menschen, die nicht so gut Englisch verstehen: Für viele von Hannah Wittons Videos gibt es die Möglichkeit auf Youtube deutsche Untertitel einzustellen. Die sind sogar sehr gut.
Lewis
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