auch wenn Du diese Zeilen wahrscheinlich niemals lesen wirst, würde ich Dir nicht weniger gern schreiben.
Anfang Februar 2021 ist die Hulu-Dokumentation Framing Britney von der New York Times veröffentlicht worden. Die Doku hebt die mediale Verfolgung und Verunglimpfungen, die Vormundschaft Deines Vaters und die misogynen Misshandlungen hervor. Damit verbunden ist eine frauenfeindliche Verachtung unter der Verwendung von stets gleichen Narrativen. Du selbst hast an Framing Britney weder mitgewirkt, noch kommst du darin zu Wort. Dennoch tauchte auf Deinem Instagram Account vor ein paar Tagen ein Tanzvideo mit folgendem Statement über die Doku auf:
“I didn’t watch the documentary but from what I did see of it I was embarrassed by the light they put me in … I cried for two weeks and well …. I still cry sometimes !!!!”
Ich hatte den Eindruck, die Menschen, die an Framing Britney mitgewirkt haben, stehen eigentlich auf Deiner Seite und versuchen, Dich zu unterstützen. Vielleicht hast Du es berechtigterweise anders wahrgenommen und vielleicht wollten die Mitwirkenden der Doku auch nur wieder Geld durch Dich und Dein Privatleben verdienen. Es tut mir sehr leid, dass Du wegen Framing Britney so oft weinen musstest und ich hoffe sehr, dass Du selbst über Deine Social Media Accounts bestimmen kannst und keiner Bedrohung ausgesetzt bist. Denn manchmal benötigt es keine Gitterstäbe für ein Gefängnis.
Oops!…the patriarchy did it again
Seitdem Du 17 Jahre alt bist, stehst Du im unablässigem Fokus der Öffentlichkeit. Der Nährboden für die inhumanen Inszenierungen über Dich ist geprägt und übersät von patriarchalen Strukturen. Die Boulevardmedien verurteilen Dich seit Jahrzehnten als hysterische Heuchlerin und stempeln Dich als vermeintlich schlechte Mama ab. Nach wie vor finden regelrechte Hetzkampagnen gegen Dich statt. Britney, ich sehe aus der Ferne mit an, wie Du auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt wirst, welche nur darauf warten, Dich bloßzustellen und zu blamieren – mit dem Ziel, einen Moment für immer als Foto oder Video in ihren Kameras festzuhalten und im Anschluss weltweit für viel Geld zu verkaufen. Wie oft sind Deine Hilferufe durch das Klicken der Kameras verstummt?
Die mediale Berichterstattung über Frauen ist kein Geheimnis, sondern vielmehr gesellschaftlich etabliert und erwünscht. Bei der Castingshow Germanys next topmodel von Heidi Klum gibt es in jeder Staffel eine Folge mit einem sogenannten Interviewtraining, um die jungen, teilweise minderjährigen Frauen auf ihr späteres Leben vorzubereiten, sollten sie erfolgreich im Modelbuisness sein. Viele Tränen fließen bei diesem Training.
Negative Narrative und starre Stereotype
Du beginnst Deinen Song Piece of Me mit dem Satz “I’m Miss American Dream since I was 17” und ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich diese Lyrics als Mädchen gern mitgesungen und dazu getanzt habe. Zu dieser Zeit habe ich das gesamte Ausmaß und die Bedeutung von Piece of Me noch nicht ganz verstanden und realisieren können. Damals war es einfach ein cooler Song, von dem ich oftmals einen Ohrwurm hatte. Vielleicht können wir hier ein paar Narrative und Stereotype näher beleuchten, mit denen du alltäglich konfrontiert bist.
Girl Next Door – Sexidol
Auf der einen Seite wurdest Du besonders in den Anfängen Deiner Karriere in die stereotypische Rolle des “Mädchens von nebenan (englisch: “Girl Next Door”) gedrängt. In ihr solltest du die gutmütige, anspruchslose und leicht naive Teenagerin darstellen, aber gleichzeitig auch ein verführerisches Sexidol verkörpern. Dementsprechend kam Dir im Verlauf Deines Erwachsenwerdens immer mehr Missbilligung und Abneigung entgegen. Oftmals wird von Frauen im Musikbuisness eine gewisse Sexiness gefordert. Gleichzeitig generiert diese Erwartungshaltung ein hohes Risiko für Frauen. Wenn sie offen mit ihrer Sexualität umgehen und sich zum Beispiel freizügig kleiden, so werden sie für dafür kritisiert und verurteilt. Dieser gesellschaftliche Umgang mit Frauen spiegelt für mich ein problematisches Paradoxon wider.
Ehebrecherin – “Homewrecker”
Auch Dein Ex Justin Timberlake, trägt an Deiner Situation eine Mitschuld. In seinem Video Cry Me A River beschuldigt er Dich öffentlich des Fremdgehens und engagiert ersatzweise eine Frau, welche Dich darstellen sollte und Dir sehr ähnlich sah. Meiner Meinung nach hat Justin Timberlake deswegen auch einen maßgeblichen Beitrag dazu geleistet, Dich als untreu und unmoralisch zu inszenieren. Aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades sowie seiner Beliebtheit war die Aktion durchaus erfolgreich und verfehlte ihre Wirkung nicht.
In den meisten Fällen werden die Frauen, sofern sie mit einer vergebenen Person intim geworden sind, als Ehebrecherinnen beziehungsweise Homewrecker beschimpft. Vielfach wird die Schuld nicht dem Mann zugewiesen, sondern für die Untreue werden allein die Frauen verantwortlich gemacht. Besonders im Showbuisness finden sich hier etliche Beispiele von bekannten und mächtigen Männern.
Rabenmutter
Hoffnung durch die #FreeBritney-Bewegung?
Deine Fans und Unterstützer*innen haben die #FreeBritney-Bewegung ins Leben gerufen. Wir machen uns viele Sorgen um Dich und wünschen uns, dass Du wieder selbstbestimmt entscheiden kannst. Es sind jetzt schon 13 Jahre vergangen, seitdem Dein Vater Dich entmündigt hat. Im Rahmen der #FreeBritney-Bewegung erheben nun auch immer mehr prominente Menschen Ihre Stimme und solidarisieren sich mit Dir. Miley Cyrus sang zum Beispiel bei ihrer Super Bowl Performanz 2021 “We love Britney” ins Mikrofon und auch Hayley Williams, die Frontsängerin von Paramore, schrieb auf ihrem twitter Account:
“the Framing Britney Spears doc holy fuck. no artist today would have to endure the literal torture that media/society/utter misogynists inflicted upon her. the mental health awareness conversation, culturally, could never be where it is without the awful price she has paid.”
Auch die Schauspielerin Sarah Jessica Parker, bekannt aus der Serie Sex and the City twitterte den Hashtag #FreeBritney. Unter einem weiteren Hashtag mit dem Namen #WeAreSorryBritney entschuldigt sich nun auch Dein Ex Justin Timberlake für sein unerträgliches Verhalten Dir gegenüber. Aus meiner Sicht kann man seine Entschuldigung auf der einen Seite zwar als eine Reflexion über seine eigenen misogynen Handlungen und Gedanken sehen. Auf der anderen Seite bin ich mir nicht sicher, wie ernst diese Entschuldigung wirklich gemeint ist. Für mich hat sie einen faden Beigeschmack, weil ich vermute, dass er sich eventuell nur wegen der Öffentlichkeit zuliebe entschuldigt hat, um sich selbst wieder in einem besseren Licht darstellen zu können. Ich weiß es natürlich nicht, es sind nur Vermutungen. Ich hoffe von Herzen, dass die Entschuldigen an Dich ernst gemeint sind. Aber Entschuldigen allein reicht nicht. Die medial gnadenlose, frauenfeindliche und systematische Berichterstattung über Dein Privatleben prägt bis heute die patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft. Keine Entschuldigung der Welt kann diese Demütigungen und Hetzjagd wieder gut machen.
Everbody wants a piece of you
Es ist deutlich erkennbar, dass Dir und anderen erfolgreichen Frauen, aus der Sicht der Öffentlichkeit, noch kein Anspruch auf Ruhm zugestanden wird. Zumindest nicht ohne Verleumdung und Diffamierung. Diese Weltansicht spiegelt sich auch fortlaufend im Klatsch und Tratsch der Boulevardmedien wider, welche von vermeintlichen Skandalen, Bodyshaming und Misserfolgen leben und sich somit finanzieren.
So lange Medien patriarchale Strukturen reproduzieren, benötigen wir keine gut gemeinten Entschuldigen, Floskeln und bedeutungslose Lippenbekenntnisse. Die Verantwortlichen müssen diese Denkmuster ablegen. Nur so können wir verhindern, dass weitere traumatische Erlebnisse auch anderen Frauen widerfahren. Ob die Verantwortlichen wirklich aus ihren Fehlern gelernt, ihr eigenes Verhalten kritisch reflektiert und hinterfragt haben, wird die Zeit zeigen. Jetzt kommt es darauf an, wie sie Frauen in Zukunft behandeln – als Menschen oder als Objekt?
Liebe Britney Spears
Liebe Britney Spears, auch wenn Du meine Zeilen wahrscheinlich niemals lesen wirst, habe ich Dir gern geschrieben. Ich werde Deinen Kampf um ein selbstbestimmtes Leben weiterhin unterstützen und verfolgen. Ich wünsche mir sehr, dass Du ein Leben nach Deinen Vorstellungen führen wirst! Bitte pass auf dich auf.
Deine Sabine
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