TRIGGER WARNUNG: Dieser Text thematisiert sexualisierte Gewalt
Als die #MeToo Kampagne begann, die sexuelle Belästigung von Frauen zu thematisieren, war ich eigentlich froh darüber, denn ich habe zahlreiche solcher Demütigungen erlebt, aber auch zahlreiche Reaktionen, die mich zum Schweigen brachten und mir ein Gefühl der Hilflosigkeit gaben.
Situationen der Hilflosigkeit
Vor dem Wohnheim in dem ich während meiner Lehrzeit lebte, lauerten morgens wenn ich zur Arbeit ging schon Männer vor der Tür. Einer verfolgte mich, als ich zur Straßenbahn ging und ich konnte mich vor seinen Übergriffen nur retten, weil ich schreiend auf die Fahrbahn lief – erst nachdem schon mehrere Fahrzeuge achtlos vorbeigefahren waren, hielt ein Auto an.
In einem Fahrzeughaus war ich an der Annahmestelle für Autoreparaturen beschäftigt. Während ich mit den Kunden sprach, griff mir ein Kollege unter den Rock. In dieser Situation konnte ich mich nicht wehren. Während einer frühmorgendlichen Zugfahrt passierte Ähnliches. Ich saß mit geschlossenen Augen auf meinem Platz und fühlte plötzlich ein Gekrabbel unter meinem Rock. Ein Mann mir gegenüber fummelte Knie aufwärts unter meinem Rock – niemand im vollbesetzten Abteil hinderte ihn daran. Als ich einen alten Kollegen aus dem Schriftstellerverband im Krankenhaus besuchte, bat dieser mich darum, mit ihm zu schlafen. Er sah es als einen freundlichen Akt so kurz vor seinem Tod an. Als ich meinen männlichen Kollegen davon erzählte, amüsierten sie sich darüber und bewunderten seine Virilität.
Auch Männer müssen gegen diskriminierendes Verhalten vorgehen
Auch heutzutage beobachte ich eine höchst fragwürdige Reaktion vieler Männer. Sie meinen, Frauen würden übertreiben, fühlen sich zu Unrecht attackiert und behaupten sogar, Frauen würden sich damit wichtig machen. Hören sie etwa nie, in welch abfälliger Weise viele Menschen über Frauen reden? Hören sie nie die plumpen Sprüche und lesen sie nie Berichte über die Attacken vieler Männer gegen ihre Partnerinnen? Haben sie schon einmal mit ihren Partnerinnen über dieses Thema gesprochen?
Es ist nicht nur die Sache der Frauen, gegen diskriminierendes und verletzendes Verhalten vorzugehen. Können sich Männer, die keine sexualisierte Gewalt erlebt haben, überhaupt in die Lage einer Frau hineinversetzen, die Erfahrungen mit einer Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch machen musste? Ich fürchte nicht – ich habe es selbst erlebt. Als ich mich im Ausland aufhielt, bin ich in dem Flur des Hauses, in dem ich lebte, vergewaltigt worden. Wer immer davon redet, Frauen würden sich zu wenig wehren, weiß nicht, in welche Todesangst man gerät und lieber alles über sich ergehen lässt.
Negative Erfahrungen werden verharmlost
Als ich meinem Partner von meiner Vergewaltigung erzählte, war seine einzige Bemerkung: Du hast das doch selbst provoziert, warum bist du allein nach Hause gegangen? Neben der Vergewaltigung wurde ich auch noch mit Tripper infiziert. Ich erzählte dem Arzt, zu dem ich ging, wie es zur Infizierung kam. Seine Antwort war, dass ich mir da aber eine schöne Geschichte ausgedacht habe. Ich war so perplex und empört, hätte sofort die Praxis verlassen müssen, aber ich war wie gelähmt.
Angesichts dieser Reaktionen und der erfahrenen Verharmlosung des Erlebten durch Männer ist es mir nicht leicht gefallen, über meine Erlebnisse zu schreiben und mich damit möglicherweise abfälligen Bemerkungen wie „Wichtigtuerei“ oder ähnlichem auszusetzen. Deshalb schreibe ich anonym. Ich hoffe, dass die Kampagne bewirkt, dass sich Männer endlich ernsthaft mit dem Verhalten anderer Männer auseinandersetzen und aufhören, die Frauen zu beschuldigen.
Erika Mayer
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