Von überall dringen Stimmen und Bilder auf mich ein: aus den Medien, aus Gesprächen, aus Aufrufen. Schlagwörter setzen sich fest –Willkommenskultur, unbegleitete Flüchtlinge, Überfälle auf Asylantenheime. – die Zahl der Menschen, die bei uns Aufnahme suchen, nimmt zu und damit auch gleichzeitig bei mir das Gefühl: Ich muss etwas tun!! Und wenn es auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist – wenig ist besser als gar nichts.
Dass viele so denken, wird mir deutlich bei meinem ersten Besuch im neu eröffneten Übergangswohnheim auf dem Gelände des Klinikums Mitte. Einem Aufruf zur Unterstützung sind dort rund 60 Freiwillige erschienen, alle wollen etwas tun, eine flirrende Atmosphäre liegt in der Luft, Listen werden herumgereicht, in die man sich eintragen kann je nach Interessensgebiet – mit Kindern spielen, Hausaufgabenhilfe, Deutschkurs für Erwachsene, Behördengänge, Kleiderkammer – auch aus dem Helferkreis sind weitere Angebote willkommen.
Ich entscheide mich für das Spiel mit Kindern, zum einen in der Überzeugung, dass man mit der Integration in den neuen Kulturkreis nicht früh genug anfangen kann, zum anderen bin ich neugierig auf das, was diese Kinder mitbringen an Erfahrungen, an Verhaltensweisen, Vorlieben und Reaktionen auf die von uns gemachten Vorschläge.
Und – ich spiele gern.
Nach einigen Vorgesprächen, nach Mitstreitersuche (allein ist das meines Erachtens nicht gut zu bewältigen), nach Terminfestlegung auf einen Nachmittag ( 2 Stunden) in der Woche und Sammeln von Spielideen geht es los mit klopfendem Herzen: Wie wird es gehen mit Kindern, die so viel Leid erfahren haben und deren Sprache wir nicht verstehen – und sie die unsere zunächst auch nicht.
Wir wissen nur so viel: es gibt ein voll eingerichtetes Spielzimmer, es werden Kinder kommen zwischen 1 und 12 Jahren, wer und wie viele ist jedes Mal ungewiss.
Der erste Termin scheint sich herumgesprochen zu haben. Wir werden erwartet, ungefähr acht Kinder stehen ungeduldig vor der Tür. Auf den ersten Blick registrieren wir einen wunderbar eingerichteten hellen Raum, mehrere Kindertische, viele weiße kleine Stühle, eine Kinderküche, eine Sofaecke, Kletterröhren, und viele Regale an den Wänden, angefüllt mit Spielsachen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass da viele gut meinende Seelen das Kinderzimmer zu Hause entrümpelt und zum Teil absolut ungeeignete Bücher und Spiele und eine Armee von Kuscheltieren gebracht haben: Puzzle mit bis zu 400 Teilen, Gesellschaftsspiele mit komplizierten Anweisungen, Spielzeug, zu dessen Funktionieren Batterien notwendig sind. Das alles ist für die Kinder zunächst ein Spielschlaraffenland, sie stürmen darauf los, ziehen immer wieder neue Spiele aus den Regalen, öffnen sie und greifen dann zum nächsten. Die noch zu geschweißten Säcke mit Bausteinen werden aufgerissen, doch gebaut wird mit ihnen nicht, es gibt ja immer wieder Neues zu entdecken. Zum Spielen mit den Kindern kommt es kaum, auch untereinander finden sie nicht zusammen. Aufpassen heißt für uns die Devise, um größeres Chaos zu verhindern. Allein die Kinderküche lädt zum Verweilen ein, ein kleiner Junge hantiert da mit Pfännchen und Tellern und serviert das Stoffgemüse. Eine Ruheinsel bilden die Kinder, die Lust am Malen haben. Mitgebrachte Bögen mit Mandalas für die verschiedenen Altersstufen werden gerne genommen.
Mit Mühe gelingt es uns zum Abschluss der beiden Spielstunden die Kinder um einen Tisch zu versammeln und eine gemeinsamen Verabschiedung mit einem Lied zu organisieren.
Danach: Aufatmen bei uns, ohne größere Zwischenfälle haben wir unsern ersten Termin absolviert. Zurück bleiben ein Fußboden, der übersät ist mit Bestandteilen der verschiedenen Spiele und Puzzles, einigermaßen erschöpfte “Aufsichtspersonen“ und viele Fragen. Sie alle zielen darauf ab, wie kann es uns gelingen, in diesen beiden Spielstunden Struktur und mehr Ruhe einziehen zu lassen, die Konzentration und Zusammenspiel der Kinder untereinander, aber auch mit uns ermöglichen, so dass wir Kontakt- und Vertrauenspersonen für sie sind, die zwar Grenzen setzen und des Öfteren schlichtend eingreifen müssen, die aber auch Zeit haben, sich einzelnen zu widmen, Domino oder Mikado mit ihnen zu spielen und so weit wie möglich in ein Zwiegespräch mit Gesten oder mit Faxen und den wenigen zur Verfügung stehenden Worten zu gelangen und dabei kleine Satzstrukturen und neue Worte einzuüben: du bist dran…, gib mir bitte… das ist ein Fisch usw.
Inzwischen sind zwei Monate vergangen und manches hat sich getan.
Ganz wichtig: Das Spielzimmer ist entrümpelt worden, zwei Drittel des Bestandes sind weggeräumt und vor allem diejenigen Spiele zurückbehalten worden, die in zwei Stunden gut spielbar sind wie Domino, Mikado, einfache Gesellschaftsspiele wie Mensch ärgere dich nicht und Puzzles mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden.
Bevor wir die Türe zu Beginn unserer Spielstunden öffnen, bereiten wir Angebote auf den verschiedenen Tischen vor, ein Platz am Boden lädt zum Bauen.
Wir haben verschiedene Rituale entwickelt, die Kinder verschiedenen Alters zusammenführen und sie miteinander in Kontakt bringen. Zur Begrüßung sitzen wir erst einmal im Kreis zusammen, werfen uns einen kleinen Ball zu und lassen jeden seinen Namen nennen, der dann von allen wiederholt wird. Wir beenden diese erste Phase mit Wattepusten oder einem Klatschspiel und wir malen auf einem großen Papierbogen ein gemeinsames Bild. Mit Spannung erwarten sie die von Barbara gemachten Fotos vom letzten Mal, die dann aufgehängt werden und ihnen zeigen, wie wichtig ein jedes von ihnen ist.
Zum Abschluss machen wir alle zusammen einen Obstsalat – alles dazu Notwendige bringen wir mit, vor allem nicht zu scharfe Messer, denn das Schnibbeln ist fast noch wichtiger als das Essen. Das Wort Obstsalat beherrscht inzwischen jedes Kind und es weiß auch genau, vorher muss aufgeräumt werden, sonst gibt es keinen.
Was hier allerdings so plausibel und einfach klingt, läuft nie so glatt ab – denn wie bei allen Kindern wird auch hier gezankt – was der eine hat, will auch der andere haben – Wutausbrüche bis hin zu fliegenden Bauklötzen müssen aufgefangen, Tränen getrocknet und zum Aufräumen angetrieben werden.
Nicht alle Wünsche, die wir haben, können umgesetzt werden – so z.B. ein abschließbarer Schrank für die besonders geeigneten und beliebten Spiele, um dem Schwund an Spielsteinen und Kärtchen vorzubeugen. Andere „Bausteine“ harren noch der Realisierung, z.B. kleine Bewegungseinheiten für zwischendurch, Rhythmusspiele, gemeinsame Lieder und Verkleidungsspiele.
Doch insgesamt lässt sich festhalten: aus der turbulenten Anfangsphase hat sich ein vertrauliches Miteinander entwickelt, das auch neuen Kindern den Einstieg erleichtert. Es ist jedes Mal eine Freude für uns, wenn wir schon am Tor erwartet und mit Namen begrüßt werden. Bilder werden für uns gemalt und beim Obstsalat Teller für uns geschmückt. So können wir beide uns immer wieder auf dem Heimweg bestätigen, wie beglückend diese Stunden sind. Und – wir freuen uns auf das nächste Mal! Zu hoffen bleibt, dass das vertraute Miteinander weiter wächst und der sprachliche Austausch leichter wird. Schön wäre es, wenn eines Tages Eltern mit einbezogen werden könnten, und nicht nur wie bisher neugierig herein gucken.
Charlotte Räuchle
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