Ist euch das Wort schon mal begegnet oder ihr habt selbst Stealthing erleben müssen? Hier lest ihr mehr. Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um sexuelle Übergriffigkeit und Vergewaltigung.
Stealthing leitet sich von dem englischen Wort stealth ab und bedeutet übersetzt List, Schläue oder Heimlichkeit. Gemeint ist mit dem Wort, das nicht abgesprochene und heimliche Abziehen des Kondoms während des einvernehmlichen Geschlechtsaktes.
Gerichtliche Fälle
Durch zwei gerichtliche Fälle kam das Thema Stealthing in den Fokus der Diskussion. Im Jahr 2020 hat das Kammergericht erstmals die Entscheidung getroffen, dass Stealthing als Straftat gilt. Jedoch nur unter folgender Voraussetzung:
„In ihrem Beschluss vom 27. Juli 2020 haben die Richter entschieden, dass das sog. Stealthing jedenfalls dann den Tatbestand des sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllt, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen in ungeschützter Form penetriert, sondern im weiteren Verlauf dieses ungeschützten Geschlechtsverkehrs darüber hinaus in den Körper des bzw. der Geschädigten ejakuliert.” – Berlin.de
Stealthing Fall I
Grund für diesen Beschluss der Strafbarkeit war der folgende Fall: Im Jahr 2018 soll ein Mitte dreißig Jähriger Bundespolizist mit einer 20 Jährigen Polizeianwärterin einvernehmlichen Sex gehabt haben. Während des Geschlechtsaktes habe er aber gegen den Willen der Sexualpartnerin das Kondom heimlich abgestreift. Obwohl sie mehrmals und ausdrücklich gesagt habe, dass sie nur mit Kondom den Sex eingehen möchte. Der Mann habe dann in die Vagina der Sexualpartnerin ejakuliert, ohne dass die Frau das wollte. Somit wurde nun vom Kammergericht Berlin das Stealthing als Straftat beschlossen und ist nach §177 Absatz 1 ein sexueller Übergriff. Vorausgesetzt es kommt zu einer Ejakulation, denn das alleinige Abziehen des Kondoms ist bisher noch keine Straftat, was ebenfalls scharf diskutiert wird.
Stealthing Fall II
So kam es in Kiel zu einem weiteren Fall im Jahre 2018. In diesem Fall hatten die beiden Sexualpartner eine vereinbarte Absprache, dass immer ein Kondom verwendet werde. So haben sie an dem Abend erst einen Geschlechtsakt mit Kondom gehabt. Im weiteren Verlauf des Abends hatte der Mann beim zweiten Mal ohne Einwilligung der Frau das Kondom weggelassen und habe aber nicht in die Vagina ejakuliert. Hier entschied sich das Gericht gegen eine Straftat. Obwohl der Täter gegen den Willen der Frau gehandelt habe. Aber das Argument des Richters war, das wie es passiert ist nicht entscheidend ist, sondern ob es überhaupt passiert ist. Und die Ejakulation fand in diesem Fall nicht statt.
Stealthing in Internet-Foren
Die Frage, wer einen solchen ein Vertrauensbruch begeht, beschreibt unter anderem die Journalistin und Autorin Nora Burgard-Arp in dem Artikel “Stellungswechsel, Gummi ab“, veröffentlicht in der Zeit Campus. So gibt es im Internet Foren, in denen sich Männer über Stealthing austauschen. Sie bleiben anonym, geben sich Tipps wie das Abstreifen des Kondoms am besten unbemerkt bleibt. Denn meistens geschieht Stealthing beim Stellungswechsel. Falls die Sexualpartnerin es bemerkt, geben sie Sätze vor, was man am besten sagt, um die Partnerin zu beschwichtigen. So sei das dumm stellen und der Frau das Gefühl geben, als hätte sie es nicht gemerkt und die Schuld läge bei ihr, einer der erfolgreichsten Methoden, um von der Absicht abzulenken. In den Foren kursieren außerdem frauenfeindliche Aussagen.
Das Täter(*innen) Motiv?
Vor allem sind es Menschen, die Macht über einen anderen Menschen haben wollen, in dem sie deren Willen brechen. Stealthing ist zutiefst egoistisch, auf die Befriedigung des Mannes ausgerichtet und vor allem missachtet und verletzt es das Recht des freien Willens. So sei auch das Bedürfnis den Sex ohne Kondom intensiver zu spüren ein Motiv für ein solches Vergehen. Intensiv bedeutet in diesem Kontext, dass das Kondom den Hautkontakt der Geschlechtsteile behindert und eine Barriere darstellt. Jedoch ist hier anzumerken, dass nicht allein Frauen Opfer von Stealthing werden können, sondern auch Männer in homosexuellen Beziehungen. Anders herum können auch Frauen Täter sein. So können auch Diaphragmas, Cervixkappen heimlich herausgenommen werden, oder das Kondom vorher manipuliert werden. Das alles sind Vertrauensbrüche. Der Punkt ist aber, dass oft Frauen unter Stealthing leiden, da es die Machtverteilung der Geschlechter auf einer perfide Art und Weise hervorhebt.
Selbstbestimmungsrecht
Stealthing ist sexueller Missbrauch, denn der Täter führt sexuelle Handlungen nicht wie zuvor abgesprochen und gegen den Willen der Sexualpartnerin. Da zwar der Sex einvernehmlich war, aber nur mit Benutzung eines Kondoms. Wer den Willen von jemandem bricht, verletzt das Selbstbestimmungsrecht. Bei Stealthing ist es das Recht der “sexuellen Selbstbestimmung”. Seit November 2016 gibt es die “Nein heißt Nein” Regelung, auch “Nichteinverständnislösung” oder auch “Das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung”, welches besagt, dass sich Täter strafbar machen, wenn sie sich über die verbale oder physische Abwehr der Sexualpartner*in hinwegsetzen. Dazu zählt auch das “Begrabschen” oder sich in anderer Form “gegen den Willen” einer Person zu stellen. So erstmals die Entscheidung des Berliner Kammergerichts im Jahre 2020. Dennoch ist es gerichtlich noch nicht vollends geklärt, ob es sich bei Stealthing, um die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung handelt oder um die Verletzung der körperlichen Versehrtheit.
Auswirkungen von Stealthing
Stealthing kann für die Opfer weitreichende Folgen haben: Der ungeschützte Geschlechtsverkehr kann zu einer ungewollten Schwangerschaft führen. Außerdem besteht die Gefahr sich an Geschlechtskrankheiten anzustecken, hinzu können psychische Auswirkungen von Traumata und Misstrauen hinzukommen. Viele Frauen schämen sich vielleicht und suchen die Schuld bei sich, aufgrund der Angst die Situation überzubewerten und sehen dann einer Anzeige hinweg. Das zeigt einmal mehr die Machtposition des Täters auf. In dem Artikel “Kein Sextrend” veröffentlicht im Missy Magazine wird verdeutlicht, dass bei Stealthing der Konsens fehlt. Die Übereinstimmung beim Sex darf nicht übergangen werden, wer das tut, tut unrecht und das Massiv.
Stealthing als Vergewaltigung
Noch immer ist das Thema Stealthing noch in den Anfängen der Gerichtbarkeit. Erstmalig durch den Beschluss des Kammergerichts in Berlin ist es nun Strafbar und zu dem Paragraphen § 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), der sexuelle Übergriffe, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung gesetzlich regelt. Je nach schwere des Tatbestands wird entschieden unter welchem Absatz die Tat eingestuft wird. Noch wird Stealthing nicht als Vergewaltigung gewertet. Es gibt aber viele Diskussionen und Meinungen, dass dies so sein sollte. Denn Stealthing stellt eine Verletzung der Würde, des Körpers und des eigenen Willens dar. Die schon erwähnten Gefährdungen, Kränkungen und möglichen Folgen sprechen maßgeblich dafür Stealthing als Vergewaltigung einzustufen. 2017 veröffentlichte die Juristin Alexandra Brodsky den wissenschaftlichen Artikel “‘Rape-Adjacent’: Imagining Legal Responses to Nonconsensual Condom Removal“, in dem sie mit mehreren Personen Interviews über Stealthing führte und die Strafbarkeit des Stealthing juristisch untermauert. Viele der Befragten fühlten sich rückblickend vergewaltigt und betrogen.
Was tun?
Stealthing ist sexueller Missbrauch und ein enormer Vertrauensbruch. Wenn euch Stealthing widerfahren ist oder widerfährt, sprecht je nach individueller Lage mit dem*der Sexualpartner*in oder einer Person, der ihr vertraut darüber und bringt es (eventuell) zur Anzeige. Keiner hat das Recht über euren Körper ungefragt zu entscheiden.
Flo
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