Superwoman wird bei Anna C. Paul zur Super(Hairy)Woman. Die selbsternannte Körperhaaraktivistin gibt auf 224 Seiten über 50 Menschen den Raum, ihre Erfahrungen mit ihrer Körperbehaarung zu teilen. Dass es um Haare geht, erkennt mensch sogar am Layout: Zwischen den Seiten sprießen förmlich kleine gedruckte Härchen. „Erfahrungsberichte aus dem Zeitalter der Haarlosigkeit“ ist der Untertitel des am 11. Oktober 2021 im ventil-verlag erschienenen Sammelbands, mit dem die Autorin das Thema der Körperbehaarung in den Fokus setzen will. Dieses, so Paul, sei innerhalb der Body Positivity-Bewegung, die sich für ein weiteres und inklusiveres Verständnis von Schönheit einsetzt, bisher eher untergegangen. Und das, obwohl jede Person einen Bezug zu Körperbehaarung hat; sei es durch ein vermeintliches „zu viel“ oder „zu wenig“.
Vom Internetblog zur Kollektion von Erfahrungsberichten
Paul beginnt das Buch, welches aus einem Internetblog entstanden ist, mit einem eigenen Erfahrungsbericht. Sie beschreibt, wie sie an einem Sommertag am Bahnhof an einer Treppe sitzt und nackte Beine an ihr vorbeiziehen. Behaarte Beine von männlich gelesenen- und glatte und haarlose von weiblich gelesenen Personen. Sie hingegen versteckt ihre Beine unter einer Leggings, denn sie sind unrasiert. Ihr Wunsch: eine Komplizin. Sichtbarkeit von Haaren, Frauen und FLINTA*, die aus dem Normbild fallen.
So beginnt mit Pauls persönlicher Anekdote ein Sammelsurium an Geschichten. Nicht die eine Sichtweise, die eine Lösung oder die eine Wahrheit wird gesucht. Vielmehr geben die Erfahrungsberichte, Geschichten, Gedichte, Fotos und Comics den Leser*innen die Möglichkeit, sich selbst wiederzufinden und zu reflektieren. Wie stehe ich zu meiner eigenen Körperbehaarung; zu meinem Körper? Wie stehe ich zu meinem ‚Frauenbild‘ oder ‚Männerbild‘? Was verbinde ich mit Körperhaaren oder Haarlosigkeit?
Ein Sammelsurium an unterschiedlichsten Meinungen
Auf unzählige Beschreibungen von Haarentfernungsmethoden und dem Wunsch nach glatter Haut folgen Berichte vom „Wachsen lassen“. Erstaunlich oft kommt die Erzählung auf, der Umzug nach Berlin und das Eintauchen in eine feministische Community wären der Auslöser dafür gewesen.
Es wird eine große Alters-Spanne abgedeckt – von einem Interview mit einer 12-Jährigen über eines mit einer 81-Jährigen. Auch einige nicht-westlichen Positionen lassen sich finden. Während einige Frauen darüber nachdenken, ob sie von ihren (männlichen) Sexualpartnern mit Körperbehaarung schön gefunden werden, sehen andere FLINTA* in ihrem Queer-Sein eine Befreiung von dem Schönheitsideal des haarlosen Körpers.
Zeitweise fühlt es sich an, als lese mensch in zig Tagebücher hinein, die sich dabei rhetorisch stark ähneln.
Feministisch, kritisch, zugänglich; aber manchmal wiederholend
Hier liegt die Stärke, aber auch die Schwäche in Super(Hairy)Woman. Die Wiederholung mancher Anekdoten, Geschichten und geäußerten Zweifel beweist, wie groß das Thema der Körperbehaarung in der weiblichen* Sozialisierung ist. Andererseits hat das Buch dadurch auch seine Längen.
Dort wo inmitten all der Zweifel um das Aussehen Worte des „Selbst-Empowerments“ gefunden werden, schafft es das Buch jedoch, mutig zu stimmen. Es zeichnet ein Bild von einer Gesellschaft, die sich immer bewusster von dem lösen will, was medial als „der weibliche Körper“ manifestiert wird. Super(Hairy)Woman ist in seinem Ansatz feministisch und kritisch, bleibt dabei aber höchst zugänglich in seiner Form.
‚Männlichkeits‘- und ‚Weiblichkeitsbilder‘ im Spiegel von Kultur, Tradition und Zeit
„[…] die Frauen hatten sehr männliche Gesichter mit dunklen Bärten. Und sie schienen sich dort ganz selbstbewusst, aufrecht und angehimmelt mit ihren männlichen Angehörigen zu versammeln. Und fanden es gar nicht schlimm, dass sie Bart trugen. Mein Damenbart war geradezu lächerlich kümmerlich zu dem meiner Uhrahninnen.“ (S. 42)
– schreibt eine Frau über Fotografien ihrer Vorfahr*innen aus dem Iran. Was bedeutet also männlich? Weiblich?
Zum Schluss bietet Paul noch eine kleine Kulturgeschichte der Körperbehaarung und zeigt stichprobenartig, wie divers Schönheitsideale und der Umgang mit Enthaarung in der Vergangenheit gewesen sind.
Das „interaktive Projekt“ Super(hairy)woman läuft derzeit noch weiter. Wer will kann seine/ihre eigene Geschichte zum Thema Körperbehaarung über https://superhairywoman.com/teilnahme/ zum Ausdruck bringen.
Tanja Zafronskaja
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