Oh, davon kann ich ein Lied singen. Ich habe in meiner Jugend keine Liebeslieder mit glühenderen Ohren gehört als jene, in denen es „rauf und runter“ und „heiß her“ geht. Dass das keine Liebeslieder waren, sehe ich jetzt erst.
Wenn ich zurückblicke, welche Songs ich mit 15 als Vorbildfunktion für eine Beziehung betrachtet habe, kann ich nur den Kopf schütteln.
Dann muss ich jedoch innehalten und nachdenken. Nein. Falsch. Nur weil die Songs, die ich jetzt höre, von Deutsch-Rap weggehen und in den internationalen Charts stehen, heißt es nicht, dass die Toxizität in den Lyrics nachgelassen hat. Im Gegenteil.
Mein 15-jähriges Ich schwärmt
Der deutsche Rapper Swiss veröffentlichte 2008 den Song „Hassliebe“. Ich erinnere mich, dass ich den Song als Teenagerin mit meinen Freundin gehypt habe. Das, was Swiss dort singt, war für uns das Ideal einer Liebesbeziehung: aufregend, „loyal“, voller Feuer und Leidenschaft. So etwas wollten wir. Das „Wir gegen den Rest der Welt“-Gefühl, von dem der Sänger in seinem Song berichtet. Dass es sich bei den folgenden Lyrics nicht um eine romantische Liebes-, sondern eine toxische Beziehung handelt, war uns natürlich nicht bewusst. Und wenn schon. Es war ja cool.
Ein kurzer Einblick in die Zeilen, die Swiss rappt:
Ich schwör, dass du gleich Schläge kriegst
[…]
Ich schubs dich weg und schrei, dass du ’ne gottverdammte F*tze bist
[…]
Du holst ein Messer aus dem Schrank und ich duck mich
Ich weiß, das ist gefährlich, weil du wirklich sehr kaputt bist
Heute so viel anders?
Heute frag ich mich, wie ich das aufregend und romantisch finden konnte und bin froh, dass sich mein Bild einer Liebesbeziehung innerhalb der letzten 10 Jahre verändert hat. Jedoch muss ich mir eingestehen, dass auch heute noch viele der Songs in meiner Spotify-Playlist gar nicht mal so anders sind. Sie begleiten mich täglich durch die Kopfhörer und formen mein Bild von Liebe, ohne dass ich es wahrnehme.
Ein Song, der nicht nur bei meiner Playlist, sondern auch in den weltweiten Charts ganz weit oben steht, ist „Him & I“ von G-Eazy und Halsey. Der Song erschien 2017, als die beiden ein Liebespaar waren. In ihrem Song singen sie unter anderem:
He’s out his head, I’m out my mind
We got that love, the crazy kind
I am his, and he is mine
In the end, it’s him and I, him and I
Kurzum: Beide sind verrückt (wie süß, das passt ja perfekt), sie haben diese verrückte Liebe, sie gehört ihm und er gehört ihr (er will nicht jemand anderen Eigentums sein?) und am Ende sind es eh nur die beiden. Andere Beziehungen, wie Eltern, Freunde und Kolleg*Innen, braucht ja sowieso keiner und am Ende sagt jeder von denen ja nur, wie blöd diese Beziehung ist und das müssen die beiden ja nun wirklich nicht hören. Also die beste Lösung ist, es gibt nur sie zwei. Wenn man sich gegenseitig kaputt macht, ist es wenigstens „equal“.
She’s so stubborn
We do drugs together […]
And we’d both go crazy […]
You know? We keep mobbin‘, it’s just me and my bitch
[…]
never would let no one touch her
Oh wie schön, sie ist seine Bitch! Toll. Klasse. Und bloß nicht, dass jemand anderes es wagt, sie anzufassen! Das geht schon mal gar nicht, ist doch klar.
She’s so stubborn
Oh Mann, dieses Mädel schon wieder. Immer so störrisch! Anstrengend. Der arme Kerl. Da hat sie einfach ihren eigen Willen, das kleine Ding.
Okay, Schluss mit Sarkasmus.
Tarnmantel „Romantik“
Ich finde es faszinierend, wie ein solches Gedankengut sich so einfach in romantisierten Popsongs unters Volk mischen lässt und physische und psychische Gewalt an dem*der Partner*in verherrlicht. Meist ohne, dass es uns auffällt. Besitzanzeige innerhalb der Beziehung und außer Kontrolle zu sein wird hier als „crazy“ Liebesbeziehung dargestellt, die aufregend, sexy, exklusiv und vor allem eins: besonders ist. Da fragt man sich, wie besonders und exklusiv kann eine gewalttätige Beziehung sein.
Das Problem hierbei ist jedoch: Viele fragen sich das nicht. Ist ja nur ein Song. Wieviel Auswirkungen das auf die Gewaltverharmlosung von toxischen Beziehungen hat, ahnen wir, glaube ich, nicht.
Durch Popsongs wird es trotz „Me too“-Schildern und T-Shirt-Aufdrucken über Feminismus plötzlich sexy, wenn der Mann der Frau die Entscheidungsfreiheit und das Recht über ihren eigenen Körper abspricht. Er ist ja so „männlich“ und „beschützend“ und voller „Stolz“.
Und was jetzt?
Ich muss hier realistisch sein und glaube nicht, dass diese Art Songs, da sie sich perfekt in das Genre einfügen, das ich gerne höre, vollkommen von meiner Playlist verbannen lassen. Jedoch merke ich, dass ich sie anders höre. Ich habe aufgehört zu verherrlichen, sondern erkenne. Erkenne, dass dies keine Liebesbeziehung, sondern eine dysfunktionale ist und dass ich, wenn ich mir selbst wertvoll bin, so etwas nicht erstrebenswert oder anbetend finde.
Redaktion frauenseiten CG
Julia meint
Warum werden diese Texte denn verfasst? Womit genau haben Männer die das schreiben ein Problem?