!Inhaltswarnung: Dieser Artikel könnte unangenehme Gefühle hervorrufen und/oder traumatische Erinnerungen auslösen. In dem Interview werden die Themen sexuelle Belästigung sowie sexuelle Übergriffe gegenüber Minderjährigen angesprochen.
Unsere Frau der Woche Alina Schulz hat den Anspruch „auch da hinzugucken, wo andere weggucken“- diesen erfüllt sie seit 2019 als festangestellte Journalistin bei der in Bremen ansässigen sendefähig GmbH und als Reporterin für das funk-Format Y-Kollektiv. Für ihre Y-Kollektiv-Reportage „Ungewollt nackt im Netz“, für die sie zum Thema der ungewollten Verbreitung von Nacktbildern und -videos auf Pornoseiten recherchierte, gewann sie dieses Jahr den Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus. Wir finden, dass sie sich diesen mit ihrer Ausdauer und ihrem Mut bei der Recherche absolut verdient hat. Wir hatten die Möglichkeit, mit ihr über ihren Weg in den Journalismus sowie ihren Umgang mit ausdauernden und emotional beanspruchenden Recherchen zu sprechen.
Wie geht es dir gerade?
Mir geht es gerade sehr gut. Ich habe mich so gefreut über die Auszeichnung mit dem Axel-Springer-Preis und die ganzen lieben Nachrichten, die danach gekommen sind. Das rührt mich einfach sehr, weil das dadurch erst so real wird. Das ist eine riesengroße Ehre. Gleichzeitig arbeite ich auch wieder im ganz normalen Y-Kollektiv/Sendefähig-Geschehen. Das heißt die Arbeit geht direkt wieder weiter (lacht).
Wie hast Du für Dich entdeckt, dass Du im journalistischen Bereich arbeiten möchtest?
Ich weiß noch, dass der Wunsch relativ früh bei mir aufkam. Ich glaube in der 7.Klasse. Da dachte ich‚ ‘cool, ich kann ganz gut schreiben, das wäre doch was für mich’. Als dann aus meinem familiären Umfeld die Reaktion kam, dass ich mir lieber einen Beruf suchen soll, der mehr finanzielle Absicherung bietet, habe ich mich erstmal wieder von dem Gedanken distanziert. Ich war aber nach meinem Abitur ein Jahr in Australien und Indonesien. Da habe ich dann gemerkt: ich bin ein Mensch, der unterwegs sein muss. Ich liebe es, neue Leute kennenzulernen und deren Geschichten zu hören. Und dann dachte ich, ich probiere das mit dem Journalismus.
Und dann?
Dann habe ich Journalistik in Köln studiert und danach ein halbes Jahr in London im Social Media Bereich gearbeitet. Parallel habe ich mich auf Volontariate beworben und wurde dann bei der RTL-Journalistenschule angenommen. In den 2 Jahren konnte ich unglaublich viele praktische Erfahrungen sammeln und verschiedene journalistische Arbeitsbereiche unter anderem in New York und Berlin kennenlernen. Da wurde ich meistens einfach ins kalte Wasser geschmissen, aber das war auch gut so. Ich liebe das, dass man in dem Job so kreativ werden kann. Zum Beispiel während der Videodrehs, aber auch im Schnitt, das macht mir mega viel Spaß. Und dann hatte ich das Glück, 2019 eine Stelle als Reporterin beim Y-Kollektiv antreten zu können.
Warum hast Du Dich entschieden, von der Arbeit als Redakteurin zur Arbeit als Reporterin zu wechseln?
Nachdem ich praktische Erfahrungen in verschiedenen Bereichen gesammelt habe, merkte ich, dass mir der tagesaktuelle Journalismus oft zu oberflächlich ist. Es gibt zu wenig Zeit, um tief in die Themen und Recherchen einzutauchen. In der Journalistenschule habe ich gemerkt, dass mir langfristige und tiefgehende Recherchen und Projekte, am meisten Spaß machen. Und schnell war für mich klar, dass das Y-Kollektiv genau das repräsentiert, was ich machen möchte: ausdauernde Recherchen sowie guter, ehrlicher und transparenter Journalismus. Und ich fühle mich jetzt auch total angekommen und bin froh, dass ich diese Art von Journalismus machen kann.
Welche Themen begeistern Dich am meisten?
Am liebsten beschäftige ich mich mit den eher schwierigen Themen, die aber gesellschaftlich relevant sind. Wie auch in meinem Y-Kollektiv-Film „Ungewollt nackt im Netz“. Das hat nicht immer Spaß gemacht die Recherche (lacht), sage ich ganz ehrlich. Das war schon auch belastend, weil ich mich monatelang durch Foren und Pornoseiten klicken musste. Aber ich habe so ein Gerechtigkeitsempfinden und sehe es als mein journalistisches Selbstverständnis an, Missstände aufzudecken und an die Öffentlichkeit zu bringen.
Du schreibst, dass die Recherche für den Film „Nackt im Netz“ „eine emotionale Achterbahnfahrt war“ – Hattest oder hast Du Probleme Dich bei Recherchen für einen Film oder Artikel emotional abzugrenzen? Und wie gehst du damit um?
Bei mir ist es so, wenn ich anfange zu recherchieren, dann bin ich Journalistin. Dann denke ich erstmal nur daran, wie ich in der Recherche weiterkomme. Dabei hat man aber auch immer kleine Erfolge, wie bei der Recherche für „Ungewollt nackt im Netz“, wenn ich zum Beispiel Kontakt aufnehmen konnte mit betroffenen Frauen, deren Nacktbilder ohne ihr Wissen veröffentlicht wurden. Diese Erfolge motivieren mich dann immer, weiterzumachen. Aber es ist natürlich nicht so leicht, dann um 20 Uhr den Stift fallen zu lassen und zu sagen, ich schalte den Kopf aus. Das ist dann oft der Zwiespalt: Einerseits will mein Journalistenherz möglichst schnell und ausführlich recherchieren, aber man hat eben auch Grenzen als Mensch, wo man aufpassen muss, dass man die nicht überschreitet. Das schaffe ich in so intensiven Recherchephasen ehrlich gesagt oft nicht so gut. Zum Glück habe ich ein ganz tolles Umfeld und tolle Kolleg*innen, die mich unterstützen. Und zusätzlich haben wir bei funk auch die Möglichkeit, auf ein psychologisches Coaching zurückzugreifen. Das habe ich auch in Anspruch genommen und konnte super viel mitnehmen, um mich da in Zukunft hoffentlich noch besser abgrenzen zu können.
Gab es ein Thema oder einen Film, wo es dir am schwierigsten fiel, Dich abzugrenzen?
Zum Beispiel bei meinem letzten Y-Kollektiv-Film „Sex für Taschengeld“. Das Thema des Films war die Prostitution von unter anderen Minderjährigen auf Stellenanzeigen-Portalen. Da habe ich verdeckt recherchiert. Gerade diese verdeckten Recherchen machen es einem sehr schwierig, sich abzugrenzen, weil man natürlich den wenigsten Leuten davon erzählen sollte. Sonst ist die Gefahr, dass man auffliegt, zu groß. Ich habe zum Beispiel wochenlang mit einem Mann geschrieben, der sehr interessiert daran war, sich mit einem fiktiven 13-jährigen Mädchen für bezahlten Sex zu treffen. Für diese Recherche konnte ich natürlich nicht nur zwischen 9 und 17 Uhr antworten. Da musste ich auch mal spät abends oder am Wochenende schreiben. Und ab dem Punkt wurde es echt schwierig, weil man natürlich schauen muss, dass die Recherche nicht zu sehr auf das Privatleben übergreift. Meine Motivation ist dann aber immer, dass ich einen Teil dazu beitragen kann, dass ein wichtiges Thema öffentlich gemacht wird. Aber ja, einer meiner betreuenden Redakteure sagte mal zu mir, dass ich lieber mal was zu Eichhörnchen machen soll und nicht immer so schwierige Themen (lacht).
Wie kommst du auf eigentlich die Themen, über die Du berichtest? Was ist Dir bei der Auswahl wichtig?
Das ist ganz unterschiedlich. Die Idee für den ersten Film, den ich für das Y-Kollektiv gemacht habe, ist dadurch entstanden, dass ich selbst als Hostess Erfahrungen mit sexueller Belästigung auf Messen gemacht habe. Um herauszufinden, ob ich damit alleine bin oder ob diese Erfahrungen häufiger passieren, startete ich mit der Reportage einen Selbstversuch. Manchmal überlegen wir aber auch gezielt in der Redaktion, was sind die Themen, die unsere Zielgruppe gerade bewegen. Und manchmal melden sich auch Leute bei uns in der Redaktion mit einem bestimmten Thema, das sie an die Öffentlichkeit bringen wollen. Wir haben eine tolle Community, die uns auch viele persönliche Dinge anvertraut, wo man oft motiviert wird, bestimmte Themen weiter zu beleuchten. Aber ich gehe natürlich auch mit offenen Augen und Ohren durch das Leben und oft ergeben sich potentielle Themen für einen Film auch im Gespräch mit Bekannten oder Freund*innen.
Hast Du als Frau im Journalismus manchmal das Gefühl, dass Du Vorurteilen ausgesetzt bist oder Dich mehr anstrengen musst als männliche Kollegen?
Ich beobachte häufig bei großen Medienunternehmen, dass in den Führungspositionen viele Männer sitzen, aber die zweiten Riegen dann häufig von Frauen besetzt sind. Ich selbst habe aber zum Beispiel im Y-Kollektiv eine weibliche Redaktionsleiterin. Seit Oktober 2020 arbeite ich auch als Chefin vom Dienst. Und wir haben zum jetzigen Stand auch nur weibliche Chefinnen vom Dienst. Bei den Stellen, wo ich war, habe ich das Gefühl, dass es zum Glück mittlerweile eine sehr starke Vermischung gibt.
Planst Du im Moment eine neue Reportage und kannst Du schon was verraten?
Ich kann noch nicht zu viel verraten, aber momentan arbeite ich einer 45-minütigen Reportage, die im Herbst rauskommen wird. Ich freue mich schon sehr darauf, denn wenn ich lange nichts recherchiert habe, werde ich immer ein bisschen unruhig (lacht). Und ich habe im Moment sehr viel Motivation und Lust wieder zu recherchieren.
Interview von Naomi Zander
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