Politologin, Autorin, Aktivistin und Gründerin – Emilia Roig beschäftigt sich auf verschiedensten Wegen mit gesellschaftlichen Ungleichheiten. Im Zentrum ihrer Arbeit steht der Begriff der Intersektionalität.
Emilia Roig wuchs in einem Pariser Vorort auf. Sie studierte Politikwissenschaft in Lyon und Berlin und promovierte 2015 an der HU zu Berlin und an der Sciences Po Lyon zum Thema intersektionale Diskriminierung. Heute lehrt sie zu Intersektionalität, Postcolonial Studies und Critical Race Theory an der Hertie School in Berlin und an der Chicago DePaul University. Sie gründete 2017 das „Center for Intersectional Justice“ (CIJ). Ihr Ziel: den Einbezug intersektionaler Perspektiven in die europäische Antidiskriminierungsarbeit. Im Februar 2021 veröffentlichte sie ihr erstes Buch mit dem Namen „Why We Matter“ (mehr dazu im Artikel).
Intersektionalität
Intersektionalität beschreibt das Zusammenwirken unterschiedlicher Formen von Diskriminierung. Eine schwarze trans Frau macht andere Diskriminierungserfahrungen als ein weiße trans Frau. Ein schwarzer Mann mit Behinderung macht andere Diskriminierungserfahrungen als ein schwarzer Mann ohne Behinderung. Die Grundlage ist also, individuelle Merkmale, in denen gesellschaftliche Machtverhältnisse wirken, in ihrer Überschneidung, also intersektional (engl.: intersectional: Kreuzung, Schnittpunkt), zu betrachten. Dazu gehören Merkmale wie beispielsweise Geschlecht, Hautfarbe, Klasse, Religion, Sexualität oder körperliche Beeinträchtigung.
Als schwarze, queere Frau erfuhr Roig selbst schon früh verschiedene Formen von Diskriminierung. Mit dem Begriff der Intersektionalität konnte sie die Erfahrungen mehrfacher Diskriminierung verstehen und ausdrücken. Heute setzt sie sich dafür ein, mit dem Intersektionalitätsbegriff gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse offenzulegen und zu bekämpfen.
Center for Intersectional Justice (CIJ)
2017 gründete Roig das ‚Center for Intersectional Justice‘ mit Sitz in Berlin. Ehrrenpräsidentin des Vereins ist Prof. Kimberlé Crenshaw, die vor 30 Jahren den Begriff der Intersektionalität erstmals prägte. Das Ziel des Vereins: „Eine Welt, frei von struktureller Unterdrückung, in der jedes Individuum Zugang zu Ressourcen, Mitgestaltung und Sicherheit hat“ (frei übersetzt). Auf verschiedenen Ebenen wie Öffentlichkeitsarbeit, Forschung und Politikberatung arbeitet das Zentrum daran, das Ineinandergreifen struktureller Diskriminierung sichtbar zu machen und existierende Machtverhältnisse zu bekämpfen:
„All forms of systemic inequality are interconnected, interdependent and mutually reinforcing, and only when they are addressed simultaneously can we achieve long-lasting progress.“
Das CIJ verdeutlicht mit diesem Statement auf seiner Website, dass alle Formen von Ungleichheiten miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Nur wenn verschiedene Formen von Diskriminierung in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, könne Fortschritt erreicht werden.
https://www.youtube.com/watch?v=3Cxuvz9dLd8
„Why We Matter“
Das Konzept der Intersektionalität steht nicht nur im Zentrum von Roig’s Arbeit im CIJ und den zahlreichen Vorträgen, die sie europaweit hält. Auch in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Why We Matter“ plädiert sie für die Offenlegung und Bekämpfung gesellschaftlicher Ungleichheiten mithilfe einer intersektionalen Perspektive. Intersektionalität sei für sie mehr als eine Theorie, sondern eine Bewegung, die ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft erfordere. Das Umdenken setze voraus, Machtverhältnisse sowie Ungleichheiten in ihrer Komplexität offenzulegen. Und das auch innerhalb benachteiligter Gruppen: Was bedeutet z.B. der Kampf gegen das Patriarchat für eine weiße Frau im Vergleich zu einer schwarzen Frau?
Vermeintlich neutrale und objektive Perspektiven wie die weiße, männliche, cis, hetero (und viele weitere) – Sichtweisen müssen laut Roig immer wieder in Frage gestellt werden. Warum empfinden schwarze Menschen mehr Mitgefühl mit weißen Menschen als andersherum? Warum können sich Mädchen mit männlichen Helden in Kinderbüchern besser identifizieren als Jungen mit Heldinnen? Diese und weitere Fragen in Roigs Buch regen zum Nachdenken darüber an, wie eine bessere Welt aussehen könnte.
Roig schafft beides: Sie bekämpft rassistische, sexistische, klassistische, queerfeindliche und weitere strukturelle Ungleichheiten, indem sie diese offenlegt und in Frage stellt. Gleichzeitig betont sie die komplexen Wechselwirkungen, mit denen all diese Ungleichheiten zusammenhängen, indem sie darauf hinweist, dass Unterdrückung mehrdimensional ist. Der Einbezug einer intersektionalen Perspektive sei deswegen essentiell und erforderlich.
Naomi
Schreibe einen Kommentar