Die heutige Frau der Woche ist Giacomina Kantner, die Frau hinter dem Kinkerlitz im Viertel. Wir haben mit ihr über die Selbstständigkeit gesprochen, über ihren Traum, ein Café zu gründen und vom Business, was daraus entstanden ist. Sie hat erzählt, welche Hürden sie als Frau überwinden musste – und welche Solidarität sie dabei erfährt.
Giacomina Kantner führt seit Februar 2020 das Kinkerlitz am Sielwall. Wenn man ihren Laden betritt, spürt man schnell, worum es ihr geht: Gemütliche, zusammengewürfelte Möbel, kleine Karten und Nachrichten der Gäste, ausgewählte Bücher und grüne Pflanzen zieren den Raum. Bilder von lokalen Künstler*innen hängen an einer Wand. Für wechselnde Wanderausstellungen dient das Kinkerlitz vor allem jenen, die sonst wenig Gelegenheit zum Ausstellen haben, als Galerie. Giacomina Kantner selbst steht hinter dem Tresen, man kann ihr beim Backen zuschauen. Ihr Café bietet einen Raum, der viele Menschen anspricht, der facettenreich ist und eine Atmosphäre schafft, in der Menschen sich treffen und miteinander interagieren.
Das Business Café
Dass da nicht nur eine romantische Idee vom eigenen Café, sondern auch ein wirtschaftlicher Aspekt in Form eines eigenen Business dahinter steht, war Giacomina Kantner von vornherein bewusst. Vor allem die jahrelange Arbeit in der Gastronomie, die sie neben ihrer Ausbildung als Diätassistentin und ihrem Diätetik-Studium leistete, zeigten ihr den Aufwand des eigenen Ladens.
Daher habe ich mich über zehn Jahre nicht getraut, mich selbstständig zu machen. Ich wusste, ich habe vieles ausprobiert, eben nur die eine Sache des eigenen Cafés nicht. Und jetzt bin ich 30 und habe gedacht: Was brauche ich noch, was fehlt mir und das war ganz klar die finanzielle Kalkulierung. Sicherlich auch nochmal die Auseinandersetzung mit den Risiken, die Finanzierung, die Businessplanung.
Als Frau in die Selbstständigkeit: Ängste und weibliche Stärken
Also entschied Giacomina Kantner sich dafür, bei belladonna, einem Bremer Verein, der die politische, gesellschaftliche und kulturelle Bildung von Frauen fördert, ein Coaching-Programm zu absolvieren. Dabei wurde sie in der unternehmerischen Führung geschult – und kam in den engen Kontakt mit weiteren Frauen, die sich für die Selbstständigkeit entschieden haben. Das zeigte ihr die Hürden, denen vor allem Frauen sich ausgesetzt sehen, gleichzeitig wird sie sich ihrer weiblichen Stärken bewusst.
Wir Frauen sind sehr präventiv veranlagt, durch unsere Sozialisierung, wir sind keine Hochstapler. Das war auch eine häufige Rückmeldung, dass Frauen immer sehr vorsichtig sind in ihrer Planung, in ihrer Kalkulation, in ihrem Auftreten. Was die Akquise und Bewerbung des eigenen Unternehmens auch manchmal schwierig macht. Weil wir eben nicht so protzen!
Sie setzt sich mit Themen auseinander, die vor allem die gesellschaftliche Prägung der Geschlechter betrifft. Frauen, die sich selbstständig machen wollen, müssen anders über Familienplanung nachdenken – Kinder kriegen und Karriere machen wird bei Frauen heutzutage immer noch anders bewertet als bei Männern. Frauen fühlen sich oft von anderen Ängsten beeinflusst und werden häufig weniger ernst genommen.
Wie oft höre ich diesen Spruch: Ah, und dann hast du einfach mal ein Café gemacht. Dann falle ich aus allen Wolken und sage: Nee, ich habe nicht einfach mal ein Café gemacht. Ich habe ein Business gestartet, geplant und das ist jetzt dieses Café. Es ist ein Business wie jedes andere. Ich muss meine Umsatzsteuer machen, ich muss alles einkaufen, ich plane von A bis Z alles durch. Es ist einfach unglaublich viel, was dahintersteckt, was man wissen muss. Aber was natürlich die Menschen, die dich besuchen, sehen, ist eine junge Frau, die Spaß daran hat, Kaffee zu machen, die hat Spaß daran, Kuchen zu backen. Ja, aber was es dann bedeutet, wer steht da die acht Stunden? Das bin ich. Wer macht die Vorbereitung? Wer macht die Nachbereitung? Wer macht die Steuererklärung? Wer macht den Einkauf? Das bin ich. Also was da alles dazu gehört, das kriegt man ja gar nicht mit. Und das ist auch okay so! Die Leute sollen sich wohl fühlen, sollen denken, wow, ist das schön hier. Und dann habe ich ja auch alles erreicht.
Letztendlich bringt das Coaching-Programm sie dazu, aus ihrem Traum des eigenen Cafés das Kinkerlitz zu gründen. Direkten Hindernissen als Frau sieht sie sich dabei kaum ausgesetzt. Eher die budgetären Risiken eines Gastronomie-Betriebs stellen sie auf die Probe: Sie muss immer wieder beweisen, dass sie einen wasserfesten Businessplan erstellt hat, um an Förderungen und Gelder zu gelangen.
Solidarität in der Bremer Gastro-Szene
Nachdem das Kinkerlitz im Februar eröffnet hat, erfährt Giacomina Kantner schnell, wieviel Solidarität und Kooperation in der Bremer Gastronomie-Szene, und hier vor allem unter Frauen, herrscht.
In meiner Gründungszeit habe ich mit einer jungen Frau Kontakt aufgenommen, die selbst gerade in der Gründung steckt. Mit ihr konnte ich mich über bürokratische Dinge austauschen. Ich selbst werde auch viel angesprochen von jungen Menschen, die überlegen, sich selbstständig zu machen, die Fragen haben. In der Gastroszene oder in der Ladenszene habe ich das Gefühl: Wir können Fragen stellen, weil Fragen nicht als Schwäche ausgelegt werden, sondern als Vertrauen. Es ist ein Vertrauen, dass man zugeben kann, dass man bestimmte Dinge noch nicht weiß und dass man auf den anderen zugreifen kann. Das ist ein sehr schönes Gefühl.
Auch die Wanderausstellungen zeugen von lokaler Solidarität. Kantner stellt, unter anderem im Rahmen des 2-Meter-Kunst-Projekts, Werke von wechselnden Künstlerinnen und Künstlern aus der Umgebung aus. Das ist ein Geben und Nehmen: Die Künstler*innen erhalten die Möglichkeit, niedrigschwellig ihre Kunst zu zeigen, müssen keine große Vernissage organisieren oder eine professionelle Galerie finden. Es ist ein erster Schritt, sich selbst anzuerkennen und auch anzuerkennen, was man selbst macht. Gleichzeitig erhält das Kinkerlitz durch die ausgestellten Kunstwerke eine besondere Note. Die Künstler*innen bringen Gäste ins Kinkerlitz und kleine Vernissagen ziehen Publikum an.
Also, ich sehe den Mehrwert in dem: Wir gehen Hand und Hand und das ist schon Wertigkeit genug. Ich habe schon großen Anteil an dem, was dann da stattfindet. Also ich ziehe da sehr, sehr viel raus.
„Wie geht es dem Laden, wie geht es weiter?“
Die Corona-Pandemie hat Giacomina Kantner schnell erwischt, einige Wochen nach ihrer Eröffnung folgte der erste Teil-Lockdown. Das bedeutete: Außer-Haus-Verkauf. Aus der gemütlichen Vorstellung von Menschen, Musik, Unterhaltungen und Leben in ihrem Laden wurde vorerst nichts. Doch die Situation brachte Anteilnahme – die Gäste, die sich Kaffee und Kuchen zum Mitnehmen kauften, fragten häufig nach der Lage des Kinkerlitz: „Wie geht es dem Laden, wie geht es weiter?“ Giacomina Kantner sah das einerseits als Unterstützung, andererseits bedeutete das für sie auch, Ansprechperson für Leute zu sein, die wenig Kontakte haben, und selbst beruhigen zu müssen.
Das ist einerseits total schön, dass ich der Ort bin, der ausgesucht worden ist, wo die Interaktion mit Menschen stattfindet, also mit mir. Aber es war unglaublich anstrengend. Weil jeder Mensch ja auch für sich individuelle Gefühle zu der Situation hat und ja auch ernst genommen werden möchte. Und das war eine krasse Herausforderung. Das merke ich jetzt noch, und es ist jetzt ja wieder so der Fall. Ich grenze mich jetzt mehr ab als früher im Frühjahr. Aber das ist etwas, das mir Energie zieht. Und das muss man auch wissen, wenn man so einen Laden gründet. Und ich möchte nicht verbittert werden!
Im Gegenteil hat sie andere Pläne mit dem Kinkerlitz. In erster Linie existiert in ihr natürlich der Wunsch nach einem Cafébetrieb, der unabhängig von Corona laufen kann. Schon vor der Gründung stellte sie sich vor, dass Veranstaltungen wie Konzerte, Flohmärkte und Lesungen im Kinkerlitz stattfinden.
Viel mehr Veranstaltungen, viel mehr Gäste bei mir. Noch viel mehr feiern, dass es den Laden gibt! Und diesen Raum nicht nur als Kaffee-und-Kuchen-Räumlichkeit zu sehen, sondern eben auch als kulturellen Treffpunkt für Interaktion und Austausch. Das wäre schön. Die Basis ist geschaffen und es geht jetzt einfach weiter und das bedeutet: Füße stillhalten und warten und aber in Gedanken schon gucken: Was will ich alles noch machen?
Neben der Zukunft des Kinkerlitz wünscht Giacomina Kantner sich auch, dass der Zuspruch für Frauen, sich selbstständig zu machen, weiter wächst. Während viele Angebote, wie das Programm von belladonna, bereits Informationen bieten, hofft sie auf noch mehr Aufklärung, noch mehr gesellschaftliche Unterstützung, um den Frauen die Angst vor der Selbstständigkeit zu nehmen. Da geht sie mit ihrem Kinkerlitz mit gutem Beispiel voran, finden wir, und bedanken uns für das offene Gespräch.
Lea Lünenborg
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