Triggerwarnung: Dieser Text behandelt sexualisierte Gewalt und psychische Erkrankungen.
Lilly Lindner kann Schatzsuchen organisieren, Weihnachtsplätzchen backen und Kindergeburtstage veranstalten. Sie kann aber auch in ein paar Tagen ganze Bücher schreiben, Worte für das Unaussprechliche finden und vor allem überleben.
Lillys Kindheit
Als junges Mädchen jahrelang von einem Nachbarn vergewaltigt, lernt Lilly schnell, worauf es im Leben anzukommen scheint.
„Perfektion ist Sicherheit, Perfektion ist Macht. Meine Eltern brauchen ein perfektes Kind; ich muss funktionieren, ich darf auf keinen Fall ein Fehler sein.“
~ Lilly Lindner in Splitterfasernackt
Fortan beginnt sie, zu schweigen, zu lächeln, gute Noten zu schreiben und sich abzuspalten von dem kleinen vergewaltigten Mädchen, das in ihr steckt.
Die Folgen
Nach ein paar Jahren zieht der Nachbar weg, doch in Lillys Gedanken bleibt alles bestehen. Das junge Mädchen flüchtet sich in Selbstmordversuche, Hungerstreiks und Rasierklingen, nur vergessen kann sie nicht. Nach Aufenthalten in der Jugendpsychiatrie und einem Kinderheim zieht Lilly schließlich mit 17 in eine eigene Wohnung. Dort erwartet sie gleichermaßen Freiheit und Einsamkeit, vor allem aber erneut sexualisierte Gewalt.
Ein verkaufter Körper
Schwer traumatisiert entschließt sie sich mit 21 Jahren, neben ihrer Tätigkeit als private Kinderbetreuerin, ihren Körper in einem Edelbordell zu verkaufen. Ausgerechnet dieser Ort ist es auch, an welchem sie sich entscheidet, ihre Vergangenheit durch das Schreiben zu verarbeiten. So entsteht die Autobiografie Splitterfasernackt. Fortan werden das Bordell und das Schreiben Lillys Zufluchtsorte vor den Albträumen, der Angst, der Essstörung. Dennoch findet sie auch hier keinen Frieden und spürt, wie ihr alles nur noch weiter entgleitet.
„Ich bin zu müde. Ich kann nicht mehr
Ich reiße Männer auf. Und Kondomverpackungen.
Ich reiße und reiße, und alles zerbricht.“
~ Lilly Lindner auf ihrer Website
Letztendlich wendet Lilly, noch immer traumatisiert und verletzt, dem Rotlicht den Rücken zu, betrachtet ihre Prostitution als weiteren Schritt der Selbstverletzung und beschließt, sich gänzlich dem Schreiben zu widmen.
Lillys Lesungen
In ihren Büchern, sowohl den autobiografischen als auch den fiktiven, spricht Lilly nicht nur für sich selbst und das kleine verstörte Mädchen, welches noch immer in ihr wohnt. Sie betont, dass sie auch für alle anderen spricht, die einsam sind, ihren Körper verloren haben, sich nicht mehr spüren können.
Aus diesem Grund veranstaltet Lilly regelmäßig Lesungen an Schulen, wo sie ihre Geschichte vorliest und den Schüler*innen Raum für das Teilen von Erfahrungen bietet.
Aktivismus
Neben ihrer wichtigen Präventionsarbeit ist Lilly Lindner außerdem als Botschafterin des Deutschen Kindervereins aktiv. Diesem hat sie im Rahmen einer Kampagne gegen sexuellen Kindesmissbrauch ihre Texte zur Verfügung gestellt.
Dafür, dass sie ihre Stimme erhebt, dass sie auch für diejenigen spricht, die es selbst nicht können, und dass sie sich nicht scheut, die Wahrheit zu sagen, egal wie hässlich diese auch sein mag, dafür ist Lilly Lindner unsere Frau der Woche.
Franka Billen
Du brauchst Hilfe? Das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch kannst du bundesweit, kostenlos und anonym anrufen: 0800 2255530. In Bremen kannst du ebenfalls ohne Gebühren und anonym den notruf Bremen anrufen: 0421 15181
Rejanne Pohl meint
Hallo,
eine wirklich beeindruckende, starke Frau.
Der Artikel ist würde- und wundervoll geschrieben.
Wissen Sie, was Lilly Lindner aktuell macht?
Würde mich sehr interessieren.
Danke vorab für eine Antwort.
LG Rejanne
Kroko meint
Da kann ich nur sagen, Sie haben die richtige Wahl getroffen.
Leider kommt die Achtsamkeit gegenüber anderen Menschen durch die Veränderung der Gesellschaft immer mehr ins Hintertreffen.