Starke, komplexe Frauenfiguren, die mit Humor geschrieben sind und außerhalb der Hollywood-Stereotype existieren. Sowas wünscht man sich doch für einen Serienmarathon. Dank unserer Frau der Woche, Phoebe Waller-Bridge, gibt es hier direkt mehrere Serientipps.
Von der Bühne auf den Bildschirm
Phoebe Waller-Bridge ist am 14. Juli 1985 in London geboren und hat sich mittlerweile einen Namen als Schauspielerin, Dramatikerin und Drehbuchautorin gemacht. Ihr ‚female gaze‘ und trockener, britischer Humor, der sich in den Dialogen und Charakteren ihrer Drehbücher wiederfindet, ist erfrischend, authentisch und an manchen Stellen herzzerreißend. Nach einem Studium an der Royal Academy of Dramatic Art gab sie mit 24 Jahren ihr Theaterdebüt am Soho Theatre. Im selben Jahr konnte man sie das erste Mal in der britischen Fernsehserie Doctors sehen. Danach folgten einige weitere Fernsehauftritte und Theaterstücke, das Stück Mydidae verhalf ihr zum Durchbruch. Danach schrieb sie im Rahmen ihrer Theatergruppe DryWrite das One-Person-Theaterstück Fleabag, worin sie die Hauptrolle übernahm. 2016 wurde Fleabag dann in eine Dramedy-Serie auf BBC umgesetzt.
Worum geht’s?
Fleabag handelt von einer Frau Anfang 30 in London, die nicht gerade die leichteste Zeit in ihrem Leben durchmacht. Ihr Café läuft mehr schlecht als recht, ihre beste Freundin ist durch einen ungünstigen Unfall vor Kurzem ums Leben gekommen und ihre Familie stellt eher Belastung als Unterstützung für die Protagonistin dar. Nun versucht sie sich mit Alkohol und Sex abzulenken und verschleiert mit Zynismus, wie es in ihrem Inneren eigentlich aussieht. Fleabag, wenn das denn überhaupt ihr Name ist, ist eine klassische Anti-Heldin, die durch ihre Schwächen noch nahbarer wirkt. Das zwischenzeitliche Durchbrechen der vierten Wand, mithilfe eines sarkastischen Spruchs oder einer hochgezogenen Augenbraue an die Kamera gerichtet, macht die Zuschauenden automatisch zu Kompliz*innen und man sympathisiert immer mehr mit der Protagonistin.
Am I a bad feminist?
Auf die Frage, ob Fleabag teilweise autobiographische Inhalte aufweise, antwortet Phoebe Waller-Bridge in einem Interview:
„Ich war in meinen Zwanzigern sehr zynisch und irgendwie wütend. Ich war zwar eine fortschrittliche und sexuell selbstbestimmte Frau, eine Feministin, die auch über Feminismus sprach. Tief in meinem Inneren fühlte ich mich durch die Medien aber sehr verunsichert. Ich dachte mir, ich könnte meine eigenen Ängste dadurch verstärken, dass ich sie auf Fleabag warf und so näher erforschen konnte.“
Genau da scheint die Drehbuchautorin einen Punkt getroffen zu haben, in dem sich viele Menschen wiederfinden können. In seinen Zwanzigern und Dreißigern ist man extrem vielen Meinungen und Wandlungen ausgesetzt. Man versucht, alles richtig zu machen und macht gefühlt doch alles falsch.
Und wenn sich die Protagonistin von Fleabag fragt: „Am I a bad feminist?“ spricht sie damit vielen Menschen aus der Seele. Meiner Meinung nach ist Fleabag zum Einen dadurch feministisch, dass Feminismus nicht nur im Subtext der Dialoge mitgelesen werden kann, sondern ganz offensichtlich angesprochen wird. Zum Anderen ist die Protagonistin so eine selbstbewusste und eigene Frau mit Ecken und Kanten, die eindeutig nicht den ‚male gaze‘ bedient.
(Killer)-Katz und Maus
2018 folgte eine weitere Serie, zwar ohne Phoebe Waller-Bridge vor der Kamera, dafür war sie an der Produktion beteiligt und schrieb das Drehbuch für die erste Staffel. „Killing Eve“ zeigt uns zwei weitere komplexe Frauencharaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich trotzdem gegenseitig anziehen. Eve Polastri (gespielt von Sandra Oh), eine Ermittlerin beim MI5 in Großbritannien, ist Teil eines Ermittlungsteams. Dieses versucht, eine berüchtigte und hochgefährliche Serienkillerin namens Villanelle (gespielt von Jodie Comer) zu fassen.
Eve ist beinahe obsessiv fasziniert von Serienkiller*innen. Sie setzt auf der Jagd nicht nur ihre Ehe mit Niko (gespielt von Owen McDonnell), sondern auch ihren Job aufs Spiel. Denn zwischen Villanelle und Eve entwickelt sich bald ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Die Faszination für die jeweils andere steigt immer mehr, während ihnen eigentlich klar ist, dass sich ihre beiden Leben nicht miteinander vereinen lassen. Auch hier sind die beiden Hauptfiguren gut durchdacht und vielseitig. Sie überraschen die Zuschauenden immer wieder in kleinen Situationen, Dialogen oder unerwarteten Wendungen.
(Fast) kein Queerbaiting!
Die Sexualität der Charaktere wird nicht großartig thematisiert oder gar in Frage gestellt und macht vor allem nicht, wie in vielen anderen Serien und Filmen, den*die Protagonist*in aus. Klischees werden so gut wie gar nicht bedient, es handelt sich bei Villanelle weder um eine besessene „Killerlesbe“, die aus Eifersucht mordet (wie zum Beispiel bei dem Film Basic Instinct), noch scheint sie in ein stereotypes Bild der „homosexuellen Frau“ gepresst zu werden. Vor allem Villanelles Äußeres ist beinahe chamäleonartig zu beschreiben, sie wechselt von hyperfemininen zu hypermaskulinen Looks, von unauffällig und gedeckt mit grauer Kappe zu bunten und auffälligen Hosenanzügen oder Kleidern.
Villanelle besitzt psychopathische Züge, mordet mit einer gewissen Freude und scheint keinen wirklichen Grund für das zu haben, was sie tut. Ab und zu kommen andere Charaktermerkmale durch Sarkasmus oder eine gewisse Kindlichkeit raus, die die Ambivalenz in ihrer Rolle verstärken, diese aber auch authentischer machen. Auch bei Eve wirkt das plötzliche Interesse für die schrullige Serienkillerin nicht wie ein Austesten oder Infragestellen der eigenen Sexualität. Viel mehr scheint Eves Faszination für weibliche Auftragskillerinnen (die sie schon vor Villanelle hatte), sich auf Villanelle zu projizieren, da die jetzt plötzlich so nah und real ist.
Viele Fans äußerten die Sorge, dass es sich nur um „Queerbaiting“ handeln könnte. Queerbaiting bedeutet in Serien oder Filmen, dass angedeutet wird, dass Charaktere queer seien, um LGBTQIA*- Fans am Haken zu halten. Ganz explizit geäußert oder dem nachgegangen wird nicht, denn so werden auch homophobe Zuschauer*innen nicht direkt abgeschreckt. Bei „Killing Eve“ wird aber über den Subtext hinausgegangen, die beiden Protagonistinnen äußern in einer Szene ganz konkret ihre Gefühle füreinander und auch wenn Eve sich noch nicht konkret zu ihrer Sexualität geäußert hat, ist Villanelle offen bisexuell. Außerdem ist die vierte Staffel schon angesetzt und bringt vielleicht noch mehr Klarheit in die ungleiche Beziehung.
Mehr davon, bitte!
Dass Frauen in Filmen oder Serien morden, kommt durchaus vor. Nur morden sie meist aus Rache und nicht, weil sie Psychopathinnen sind. Rollen wie Hannibal Lecter (Das Schweigen der Lämmer) oder Patrick Bateman (American Psycho) sind nun mal immer männlich. Mehr Diversität und weniger Stereotype in Film und Fernsehen sind erfrischend und vor allem repräsentierender. Das Geschlechterbild wandelt sich unentwegt und es ist wichtig, dass man das auch in den Medien wiedererkennen kann. Auch verschiedene Beziehungsformen und mehr Sexualitäten auf dem Bildschirm zu sehen, wäre angebracht, um Stigmata und Vorurteile aufzubrechen und dem repräsentativ dagegenzuwirken.
Leider zeigen Studien wie der „Annenberg Report on Diversity in Entertainment“ aus South California, dass von 11.194 Charakteren aus Filmen und Fernsehserien mit erkennbarer Sexualität nur 185 schwul, 49 lesbisch und 17 bisexuell waren. Wir brauchen also auf jeden Fall noch mehr solcher oder ähnlicher Serien. Und wir brauchen solche, bei denen queere Menschen und queere Beziehungen abgebildet werden, auch wenn es nicht primär darum geht. Denn ‚queer sein‘ stellt nicht die ganze Identität oder den ganzen Menschen dar, sondern nur einen Teil.
Ihr Name ist Waller-Bridge. Phoebe Waller-Bridge.
Dass Phoebe Waller-Bridge aktiv nur an der ersten Staffel von ‚Killing Eve‘ mitarbeiten konnte, liegt daran, dass sie noch an anderen Projekten beteiligt ist. Zum Einen war sie 2018 in dem Star-Wars-Film „Solo: A Star-Wars-Story“ zu sehen, und spielte einen weiblichen Droiden namens L3-37.
Ein weiteres Projekt ist das Drehbuch für den neuen James-Bond-Film „No Time To Die“, bei der sie zur Überarbeitung einiger Dialoge zu Rate gezogen wurde. Sie ist erst die zweite Frau, die seit den 1960er Jahren an einem der Bond-Drehbücher mitgeschrieben hat. Hauptdarsteller Daniel Craig schlug sie persönlich als Autorin vor. Hier gilt es, skeptisch zu bleiben, die James Bond-Filme sind meist sehr misogyn und Frauen spielen oft nur als die namenlosen Nebendarstellerinnen oder das obligatorische Objekt der Begierde für den Geheimagenten mit. Vielleicht hat Phoebe Waller-Bridge es aber auch geschafft, diese Muster aufzubrechen und den Frauen etwas mehr Integrität zu verleihen. Anscheinend sei sie schon dafür verantwortlich, dass die Bond-Girls nun Bond-Women heißen. Sie achte auch darauf, dass eine jüngere Zielgruppe angesprochen wird, indem Bond selbst in den Kontext der #Metoo-Debatte gesetzt wird.
You are what you write
Phoebe Waller-Bridge bringt frischen Wind in die Film-Branche und das zahlt sich aus. 2017 gewann sie gleich drei Preise, einmal den British Academy Television Award als beste Darstellerin, dann den British Screenwriters’ Award und dazu den Darstellerpreis des Festival de Télévision de Monte-Carlo. 2019 wurde ihrer Serie Fleabag erneut Anerkennung zuteil, die Serie wurde mit sechs Emmys ausgezeichnet. Sie wird immer gefragter und scheint noch ein paar Ideen aus dem Ärmel schütteln zu können, auf die wir uns freuen können. Dem Guardian erzählte sie:
„Ich bekomme einen regelrechten Kick, über Frauen zu schreiben, denen es egal ist, was andere denken. Vermutlich weil es mir dabei hilft, selbst eine von ihnen zu werden.“
Hoffentlich hilft es vielen anderen auch dabei. Ich fand es jedenfalls sehr erfrischend und bestärkend, solche komplexen und unperfekten Frauen-Charaktere immer mehr in Film und Fernsehen sehen zu können. Vielleicht schaue ich mir sogar den neuen James-Bond-Film an, um zu schauen, ob ich ein Stück von Phoebe Waller-Bridges Humor wiedererkennen kann…
Anne Preuß
Schreibe einen Kommentar