Ist das Kunst oder muss das weg? Megumi Igarashi ist „Vagina-Künstlerin“ und unsere Frau der Woche. Die 44-jährige mit dem Künstlernamen Rokudenashiko, was in etwa Taugenichts-Mädchen bedeutet, wurde 2014 zweimal verhaftet und angeklagt. Ihre Kunst aus Abdrücken ihrer Vulva sei obszön.
Über eine Crowdfunding-Webseite hatte Megumi Igarashi Spenden für ihr neuestes Projekt gesammelt: Ein vulvaförmiges Kayak nach einem 3D-Scan ihrer eigenen Geschlechtsteile. Die gescannten Daten dafür hatte sie an ihre Sponsor*innen geschickt und wurde daraufhin festgenommen. Denn der Scan sei so realistisch, dass er, wenn er ausgedruckt würde, als pornografisches Material genutzt werden könnte. Getan hat dies vermutlich keine*r der Sponsor*innen, denn auch in Japan ist das 3D-Drucken bisher noch ein teures Verfahren. Doch allein die Möglichkeit schien als Tatbestand zu reichen. Im Mai 2016 wurde Megumi Igarashi zu einer Geldstrafe von 400.000 Yen verurteilt, was in etwa 3.500 Euro entspricht.
Der Penis ist Popkultur
In Japan gibt es ein Obszönitätsgesetz, das den Sittenverfall verhindern soll. Der Besitz oder die Verbreitung obszönen Materials ist verboten. Was genau dabei als obszön gilt, ist nicht genauer definiert, ein Streitpunkt, der während des Prozesses immer wieder auftauchte. Ein Kunsthistoriker wurde zur Rate gezogen, um bei der Entscheidung zu helfen, ob Megumi Igarashi Kunst oder Pornografie herstellte. Die Zensur von pornografischem Material in Japan ist zum Teil nur Schein. In Anime und Manga ist fast alles erlaubt, wie beispielweise die explizite Darstellung von sexueller Gewalt oder Kinderpornografie. Lediglich die Genitalien oder Schambehaarung von Erwachsenen müssen ausgepixelt werden.
Deutlich zu sehen ist auch die unterschiedliche Behandlung von männlicher und weiblicher Sexualität. Auf dem jährlichen Kanamara Matsuri, einem Fruchtbarkeitsfest, werden riesige pinke Penisfiguren präsentiert und penisförmige Süßigkeiten genascht. Der mit Männern assoziierte Penis sei „ein Teil der Popkultur“, sagt Megumi Igarashi. Ein Äquivalent mit Vulvafiguren ist undenkbar.
„Die Scheide wird als obszön wahrgenommen, weil sie übermäßig versteckt wird.“
„Ich hatte nie eine andere Vagina gesehen“, verrät Megumi Igarashi auf ihrer Webseite. „Ich wusste nicht, wie eine Vagina aussieht und dachte somit gleich, dass meine nicht normal sei.“ Die Scheide ist in Japan ein Tabuthema. Selbst Ärzt*innen sprechen meist von „dort unten“. Bewusst wählte Megumi Igarashi den Begriff „Deco-Man“ für ihre Vagina-Kunst. Das „Man“ kommt von „Manko“, einem vulgären Ausdruck für Scheide. Der Begriff stößt immer wieder auf Ablehnung. Selbst bei einer Talkshow, zu der sie eingeladen wurde, durfte sie den Begriff „Deco-Man“ nicht benutzen, so streng die Tabuisierung. Mit ihrer bunten Kunst möchte Megumi Igarashi die Vulva normalisieren, denn eine Auseinandersetzung mit ihr in einem nicht sexuellen Kontext findet kaum statt.
Das Verbot wegen Obszönität scheint überflüssig, wenn man sich Igarashis Kunst ansieht. Megumi Igarashis Deco-Man-Kunstwerke erinnern meist nur noch entfernt an tatsächliche Genitalien. Aus Abdrücken ihrer Vulva stellt sie fantasievolle Dioramen her. So tummeln sich kleine Figürchen auf einer Baustelle oder am Flussufer. Andere Kunstobjekte sind glitzernde Handyhüllen, Taschentücher-Spender und Anhänger. Die von ihr erfundene Figur „Manko-chan“, eine Vulva am Mangastil, ist als Kuscheltier, Plastikfigur und als Anstecker erhältlich. Megumi Igarashi bietet auch Workshops an, in denen sie Frauen mit Vagina ermöglicht, sich kreativ mit ihren Geschlechtsteilen zu beschäftigen.
Frauen müssen lieb und nett sein
Nicht nur was die Sexualmoral angeht, hängt Japan anderen Ländern etwas hinterher. Die Frauenbewegung des Landes hatte ihren Höhepunkt während des japanischen Wirtschaftswunders in den 1980ern. Seitdem ist sie ein wenig träge geworden. Die Gesellschaft ist nach wie vor von traditionellen Vorstellungen geprägt. Welche Verhaltensweisen und Sprachformen für die Geschlechter als angemessen gelten, unterscheidet sich stark. Auf dem Arbeitsmarkt werden verheiratete Frauen und Mütter benachteiligt. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Auch sexuelle Belästigung ist ein großes Problem in japanischen Firmen, das man totzuschweigen versucht. Um einen Wandel herbeizuführen braucht es Frauen wie Megumi Igarashi, die alte Tabus in Frage stellen.
(´-`).。oO(ドキュメンタリー監督バーバラ・ミラーさん、スタッフの皆さんと、ハイまんこ( ´ ▽ ` )ノ#やマン中湖 #マンボート pic.twitter.com/EDJQnzXcuo
— ろくでなし子 /Megumi Igarashi (@6d745) August 9, 2016
Ihre Geschichte hielt sie in einem Manga fest, der nun auch auf Englisch erschienen ist. In „What is Obscenity?: The Story of a Good-for-nothing Artist and her Pussy“ beschreibt sie auf unterhaltsame Art und Weise Reaktionen auf ihre Kunst, die Ablehnung ihrer Familie und ihre Zeit im Gefängnis. Über ihr Werk soll jetzt auch ein Dokumentarfilm entstehen.
Hannah Lena Puschnig
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