Kirche und Queer? Ellen und Steffi Radtke sind Pastorinnen auf dem Dorf und seit kurzem nebenbei auch YouTube Stars. In ihren Videos sprechen sie über ihren christlichen Glauben, die Arbeit als Pastorinnen auf dem Dorf und ihr Leben als lesbisches Ehepaar. Sie wollen zeigen, dass Kirche auch queer kann. Dabei nehmen sie kein Blatt vor den Mund und sprechen sie auch über die Herausforderungen, denen sie sich tagtäglich stellen müssen.
Kennengelernt haben sich Ellen und Steffi während ihres Theologiestudiums in Berlin. Seit 7 Jahren sind sie verheiratet und leben zusammen in dem 2.000-Einwohner-Dorf Eime bei Hildesheim, in dessen Ortsgemeinde Steffi Pastorin ist. Ellen hingegen arbeitet als Pastorin in der Landeskirche Hannover.
Mit Kirche erfolgreich auf YouTube?
Mit ihrem YouTube Kanal „Anders Amen“ möchten Ellen und Steffi zeigen, „wie bunt und vielfältig evangelische Kirche ist und dass sie auch Menschen wie uns eine Heimat bietet“. Kirche bedeute nicht gleich konservativ, ‚Kein Sex vor der Ehe‘ oder ‚Homsexualität ist Sünde‘ – solchen Vorstellungen von Kirche wollen die beiden durch ihre mediale Präsenz entgegenwirken. Mit der Unterstützung des Evangelischen Kirchenfunks Niedersachsen-Bremen veröffentlichen sie seit Januar 2020 jede Woche neue Videos. Diese sind eine bunte Mischung aus Eindrücken aus ihrem Alltag und dem Beantworten lustiger, ernster und unangenehmer Fragen ihrer Community. So kann es auch mal sein, dass sie innerhalb eines Videos über patriarchale Strukturen in der Kirche sowie die männliche Darstellung von Gott sprechen und sich im Anschluss mit viel Humor an ihre peinlichsten Gottesdiensterlebnisse erinnern. Ihren Kinderwunsch und ihren Weg zu einem gemeinsamen Kind mithilfe einer Samenspende dokumentieren sie ebenfalls auf ihrem YouTube-Kanal, der mittlerweile über 23.000 Abonnent*innen verzeichnet.
Homofeindlichkeit in der Kirche
Auch wenn die beiden der Beweis dafür sind, dass Kirche und Queer-Sein zusammenpassen, sprechen sie offen über Homofeindlichkeit in der Kirche und Anfeindungen, die sie von Christen und Christinnen erreichen. Kommentare wie „Gott hat seine Ordnung gegeben: Vater, Mutter Kind. Was bildet sich der Mensch ein?“ oder „Warum ist Euch Gott egal? Kehrt um.“ sind keine Seltenheit. Ellen ist jedoch der Meinung, dass diese Aussagen vor allem von einer kleinen (lauten) Minderheit kämen und keineswegs repräsentativ seien.
Auch innerkirchliche institutionelle Diskriminierung von homosexuellen Personen ist ein Thema, auf das Ellen und Steffi öffentlich aufmerksam machen. „Wir werden noch nicht komplett gleichbehandelt im Gegensatz zu Heterosexuellen“, so Ellen. Beispielsweise sprechen sie darüber, dass in einigen Landeskirchen, so auch diese in der Steffi Pastorin ist, die Gemeinde darüber abstimmen kann, ob diese eine homosexuelle Pastorin akzeptiert. Und das obwohl Gemeinden sonst keinerlei Mitspracherecht bei der Auswahl der Pastor*innen haben. Problematisch sei laut den beiden außerdem, dass die Trauung homosexueller Paare noch nicht in allen Landeskirchen erlaubt ist. Das Kirchenrecht der meisten Landeskirchen betont, dass keine Pastor*innen gezwungen werden können, homosexuelle Paare zu trauen oder ihre Kinder zu taufen. Dementsprechend können sich Pastor*innen weigern, Taufen oder Trauungen durchzuführen. Problematisch sei laut Steffi und Ellen, dass dies tatsächlich noch so passiere – und das häufig ohne Konsequenzen vonseiten der Gemeinde oder (Landes-)Kirche.
Kinderwunsch
Mithilfe einer Samenspende und einer künstlichen Befruchtung erfüllten sich Ellen und Steffi ihren gemeinsamen Kinderwunsch. Im Oktober letzten Jahres wurde ihre Tochter geboren. Doch obwohl Ellen und Steffi verheiratet sind, steht zunächst nur Ellen als Mutter in der Geburtsurkunde. Die beiden fordern eine Änderung der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland. Auf ihrem Instagram-Kanal @andersamen schreiben sie:
„Es ist kaum zu begreifen, dass Steffi bei der Geburt unsers Wunders vor dem Gesetz keine Mama sein wird und wir erst durch ein relativ willkürlich gestaltetes Adoptionsverfahren müssen. In Wirklichkeit ist sie jetzt schon Mama. Das muss gesetzlich anerkannt werden.“
Fazit: Geht Kirche auch Queer?
Der Zuspruch, den Ellen und Steffi erhalten, zeigt, dass die Themen, die sie anstoßen, viele Menschen ansprechen. Dennoch gibt es noch viel zu tun für queere Menschen in der Kirche und auch in der Gesellschaft. Wie Steffi sagt, Queer-Sein in der Kirche ist „nicht easy-peasy, aber auf der anderen Seite ist es doch easy-peasy“. Es sei ambivalent. Eindeutig ist jedoch: Die beiden sprechen wichtige Themen an. Sie zeigen, was bislang zu kurz kam: Kirche kann auch jung, lustig und queer.
Und damit holen sie viele Menschen ab. Einige Videos erreichen über 70.000 Klicks und ihr Instagram-Account wächst stetig. Und erst kürzlich gewannen sie beim „Smart Hero“ Award den zweiten Platz in der Kategorie „Demokratisch gestalten“. Wir finden, zurecht!
Naomi
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