Seit der staatlichen Unabhängigkeit im Jahr 1991 gestalten sich in Usbekistan die Transformationsprozesse sehr widersprüchlich und langwierig. Im Mittelpunkt von Artikeln stehen Bemühungen und Schwierigkeiten bei der Eindämmung von Chancenungleichheit in der Familie sowie der geschlechtsspezifischen Unterschiede in der öffentlichen Repräsentanz.
Im heutigen Usbekistan steht die Situation der Frauen in Gesellschaft, Familie und Beruf unter folgenden Prämissen:
Religion. Die Parteigänger des Islam zwingen den Frauen eine Schattenrolle auf und bestehen auf der Erhaltung der “muslimischen Identität”. Darunter versteht man kulturelle Vorstellungen, denen zufolge die usbekische Frau, ihre Sittlichkeit, Ethik, Moral und so weiter vor dem „Expansionseinfluss“ des Westens in Schutz genommen werden muss.
Die Verteidiger des Islam beharren darauf, dass die in Usbekistan geltenden muslimischen Rechtsgrundsätze zur Stärkung von Ehe und Familie und zur Reduzierung der Scheidungsrate führen. Diese auf islamischen Grundsätzen beruhende Familienstärkung wird argumentativ aufgebaut im Kontrast zum „Verfall der Familie“ und zum „Verlust traditioneller Familienbindung in den westlichen Gesellschaften“. Solche Behauptungen allerdings stehen im Widerspruch zur offiziellen Statistik Usbekistans. Die Statistik zeigt: Obwohl sich die Zahl der jährlichen Eheschließungen von 1991 bis 2005 um 32% verringert hat, zerbricht regelmäßig jede zehnte Ehe (Statistisches Amt der Republik Usbekistan et al. 2007, S. 45; 48). Von 2010 bis zu 2015 steigert sich die Zahl der jährlichen Eheschließungen um 4%. Die Zahl der Scheidungen aber hat sich um 35% erhöht (vgl. Statistisches Amt der Republik Usbekistan 2014, S. 65).
Gesellschaft und Politik. Soziale Befragungen, die in verschiedenen Landesgebieten Usbekistans unter Männern durchgeführt wurden, bezeugen die „Veranlagung“ von Männern zur muslimischen Wahrnehmung des sozialen Status von Frauen. „Eine Hälfte der Befragten will die Ehefrau in der Rolle der Hausfrau sehen, wenn es das finanzielle Wohlergehen der Familie erlaubt. 33% der befragten Männer wollen die Frauen als Teilzeitbeschäftigte sehen.“
Solche Meinungen existieren, obwohl die Erwerbsintegration von Frauen ein „entscheidendes Kriterium für die stabile soziale Lage von Familien“ (Dölling) bleibt. Das bedeutet auch, „dass sich die Position von Frauen innerhalb ihrer Familien/ Haushalte ausdifferenzieren – unter anderem bedingt durch ihren Beitrag zum Haushaltseinkommen“. Bei diesem Befund für Deutschland findet sich eine Parallele zu Usbekistan, aber vielleicht mit dem Unterschied, dass deutsche Männer in allgemeinen nicht gegen Erwerbstätigkeit von Frauen sind.
Dabei werden in Usbekistan wie in Deutschland „stärker die Chancen betont, die insbesondere bei Teilzeitarbeit eine bessere Work-Life-Balance bieten, insbesondere zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf“. Der Erhalt der Familieninstitution durch Teilzeitarbeit entspricht in Usbekistan den Interessen der beiden familien- und emanzipationspolitsch entgegengesetzten Lager – sowohl den national-säkularen wie den national-religiösen ideologischen Kräften. Hinzu kommt, dass die stark verbreitete Teilzeitbeschäftigung von Frauen ein Mittel des säkularen usbekischen Staates darstellt, welches darauf abzielt, die reale Arbeitslosenquote im Land zu verringern. Dabei ist bemerkenswert, das die offizielle Statistik in Usbekistan nicht zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung unterscheidet.
Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage. Wie eine soziologische Befragung der Frauen Usbekistans gezeigt hat, besteht bei usbekischen Frauen ein starker Wille zur Ausbildung und beruflichen Selbstverwirklichung bei zugleich ausgeprägter Familienorientierung. Tatsächlich belegt die Statistik, dass der Anteil von Frauen, die studieren, im Vergleich zum Anteil von entsprechenden Männern, im Jahre 2015 bei 37,3% zu 62,7% besteht. Aber der Anteil von erwerbstätigen Frauen mit Hochschulabschluss ist genau so hoch wie der Anteil von Männern. Er liegt bei 32%.
Wirtschaftssituation und Betriebsstruktur. Frauen spielen eine beachtliche Rolle in der Arbeitswelt, insbesondere in den Bereichen von Bildung, Hochschule und Wissenschaft. In diesem Bereich ist ein Fünftel (etwas über 20%) aller usbekischen Frauen tätig. Im Vergleich dazu sind im Bildungs- und Wissenschaftssektor ca. 8% der usbekischen Männer beschäftigt. Das bedeutet, dass ca. 70% der Arbeitsplätze im Bildungssektor von Frauen besetzt sind.
Die im Bildungsbereich einschließlich der Hochschulen beschäftigen Frauen erzielen allerdings lediglich 82% des Lohn-Durchschnittniveaus Usbekistans. (vgl. Ministerium für Arbeit und Soziales der Republik Usbekistan/ UNDP 2012, S. 8). Diese Zahlen belegen erstens, dass der Frauenanteil im Bildungssektor sehr hoch und zweitens, dass das Einkommensniveau im Bildungsbereich unterdurchschnittlich ist. Ein überaus problematischer sozialökonomischer und genderpolitischer Befund.
Medien- und Wissenschaftsdiskurs. Das Phänomen der Ehescheidungen, die diesen zugrunde liegenden Ursachen und die sozialen, ökonomischen und psychologischen Folgen werden kaum offen diskutiert.
Muslimische Gesellschaften tendieren in dieser Frage zum schamhaften Verschweigen. Aktuelle Tendenzen in Usbekistan bezeugen eine Schwäche der von Religion geprägten Familienmodelle. Klammer schreibt mit Bezug auf Deutschland und die europäische Situation: „Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit und abgesenkte Sozialleistungen auf der einen Seite, gestiegene Scheidungsquoten, aber auch verbesserte Bildungsabschlüsse und eine verstärkte Erwerbsorientierung auf der anderen Seite – diese Stichworte deuten bereits gesellschaftliche Entwicklungen an, die Einfluss auf den Bedeutungsverlust des männlichen Ernährermodells haben“- auch in Usbekistan lassen sich diese Trends vorfinden.
Ausgehend davon kann man die gegenwärtige Berufs- und Karriereverwirklichung von Frauen in Usbekistan als einen Versuch zur Adaptation an und zur Integration in äußere widerspruchsvolle Milieus betrachten.
Lola Sabirova
Einen weiteren Text von Frau Sabirova zum Thema Gleichstellung in Usbekistan findet Ihr im Archiv.
Bibliographie
1. Dölling, I: Ostdeutsche Geschlechterarrangements unter Druck.
2. Klammer, U. (2012): Wenn Mama das Geld verdient… In: Unikate Geschlechterforschung, Nr. 41. S. 59-68.
3. Ministerium für Arbeit und Soziales der Republik Usbekistan / UNDP (Hrsg.) (2012): Effektive Erwerbspolitik. Realisation der Arbeitsfähigkeiten der Frauen. Analytischer Bericht. Policy Brief Gender Labour 2013 0128 [Originaltitel: Аналитическая запиcка. Эффективная политика занятости: реализация трудовых возможностей женщин (Übersetzung der Autorin)]
4. Statistisches Amt der Republik Usbekistan/ Frauenkomitee Usbekistans/ ADB/ UNDP (Hrsg.) (2007): Frauen und Männer Usbekistans 2000-2005. Taschkent. [Originaltitel: Женщины и мужчины Узбекистана 2000 – 2005 (Übersetzung der Autorin)]
5. Statistisches Amt der Republik Usbekistan (Hrsg.) (2014): Frauen und Männer Taschkent. [Originaltitel: Женщины и мужчины (Übersetzung der Autorin)]
Nadja Moussa meint
Sehr geehrte Frau Sabirowa,
wir würden gerne mit Ihnen in Kontakt treten bezüglich des Themas “Frauen in Usbekitsan”. Wir interssieren uns dafür, dieses Thema bei einer unserer Reisen als Aufhänger zu nutzen. Vielleicht könnten Sie mir Ihre Email-Adresse mailen?
Schöne Grüße
Nadja Moussa
Ventus Touristik GmbH