Obdachlosigkeit begegnet uns jeden Tag. Sie ist eine Realität viel zu vieler. Eine Realität direkt neben unserer und doch irgendwie Welten voneinander entfernt. Besonders wohnungs- und obdachlose FLINTA*-Personen sind wenig sichtbar.
An dieser Stelle kurz eben zur Erläuterung: Zwischen Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit gibt es einen Unterschied. Wohnungslosigkeit beschreibt den Zustand der Menschen, welche nicht durch einen Mietvertrag abgesichert sind, keine feste Wohnungs haben oder z.B. bei Bekannten unterkommen. Obdachlosigkeit beschreibt den Zustand derer, welche dauerhaft auf der Straße leben.
FEHLENDER SCHUTZRAUM
Menschen, die auf der Straße leben, haben zu wenig Schutzräume. Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen gehören zum Alltag vieler. Schlafsäcke werden angezündet und auf dem Boden schlafende Menschen getreten. Wohnungs- und Obdachlosigkeit ist ein strukturelles Problem, welches anstatt die Wurzel dessen anzugehen, eher durch Verdrängung versucht wird zu lösen. Ganz nach dem Motto “Aus dem Auge, aus dem Sinn”. Der Bremer Hauptbahnhof zum Beispiel ist für viele obdachlose Menschen ein wichtiger Ort, um zusammenzukommen und zu netzwerken. Auch ein Großteil der Hilfseinrichtungen befindet sich im Bereich der Innenstadt, rund um den Hauptbahnhof. Seit Jahren findet hier eine systematische Verdrängung statt, oft verbunden mit physischer Gewalt, als Antwort auf die sich verschärfende Problemlage statt. Oft ist die Folge, dass obdachlose Menschen sich aus den Augen verlieren. Mit der sich immer weiter zuspitzenden Problemlage verstärkt sich in vielen Fällen auch der Drogengebrauch.
Mehr als 600 Menschen sind in Bremen von Obdachlosigkeit betroffen. Genaue Zahlen für wohnungslose Menschen gibt es nicht. Nach Schätzungen werden auf eine sichtbare obdachlose Person 10 wohnungslose Personen gerechnet. Gerade die Zahlen wohnungsloser FLINTA*-Personen zu erfassen ist schwer, da viele in Abhängigkeitsverhältnissen leben. Das bedeutet, dass sie oft in unsicheren Wohnverhältnissen unterkommen. Sie leben mit Partnern zusammen, die im Gegenzug zu einem Dach über dem Kopf sexuelle Gefälligkeiten verlangen. So machen viele FLINTA* Gewalterfahrungen in Zweckspartnerschaften oder prostituieren sich, um zu überleben.
SICHTBARKEIT WOHNUNGS- UND OBDACHLOSER FLINTA*
Von den ungefähr 600 Menschen in Bremen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, sind ca. 1/3 Frauen*. Doch sie sind kaum sichtbar. Alle auf der Straße lebenden Menschen machen Gewalterfahrungen, doch FLINTA* Personen sind immer noch anders gefährdet. Sie sind zum Beispiel sexualisierter Gewalt viel mehr ausgesetzt, haben weniger Schutz und weniger Möglichkeiten, sich zu wehren. Hinzu kommen Probleme wie andere Hygienebedürfnisse, z.B. die menstruierender Personen. Lange Zeit gab es am Hauptbahnhof nur Pinkelspiralen ohne Waschbecken auf den öffentlich zugänglichen Toiletten. Notunterkünfte sind überwiegend auf die Bedürfnisse von obdachlosen Männern ausgerichtet. Dies kann für FLINTA* oft Stress bedeuten, da das Potenzial hoch ist auf eine Person zu treffen, die ihnen gegenüber schonmal übergriffig war. Hinzu kommt, dass Obdachlosigkeit in vielen Fällen mit noch mehr Scham verbunden ist. In vielen Fällen geben sich obdachlose FLINTA* nicht als solche zu erkennen. Kleidung bedeutet für sie dann Schutz vor Blicken und sichtbarer Schutzlosigkeit. Noch immer gibt es viel zu wenig Schutzräume für wohnungs- und obdachlose Menschen, besonders stark fehlen aber auch sichere Schutzräume nur für FLINTA*-Personen.
LIELA E.V.
Das Ziel vom LieLa e.V. ist es das Angebot für wohnungs -und obdachlose Frauen in Bremen zu verbessern und einen Schutzraum für eben Diese zu schaffen. Das Angebot soll sich an Frauen, Inter- sowie Agender Personen und Trans Frauen richten. Bisher hat der Verein nur ein Konzept und noch kein Angebot. In Zukunft möchte der LieLa e.V. zwei Standbeine haben. Zum einen wollen die Mitglieder ihren Fokus auf Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit legen. Das bedeutet in der Szene der Bremer Hilfseinrichtungen, der Politik und Presse ein größeres Bewusstsein und mehr öffentliche Anerkennung für die Problemlage zu schaffen. Besonders Netzwerkarbeit sei von großer Bedeutung, erzählt Clara vom Liela e.V. Hilfseinrichtungen haben dafür oft keine Kapazitäten und Betroffene erfahren meist über netzwerken von Hilfsangeboten. Außerdem wollen sie ihr Konzept weiter ausbauen, um irgendwann einen weiteren dringend benötigten Schutz- und Wohnraum für von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffenen Frauen zu schaffen. Zur Zeit gibt es nur eine Notschlafstelle in Bremen, die ausschließlich für Frauen ist, in der Abbentorstraße, die gerade einmal 14 Schlafplätze bietet. Außerdem gibt es mit dem „frauenzimmer“ einen Tagestreff für wohnungs- und obdachlose Frauen, der allerdings auch nur begrenzte Öffnungszeiten hat. Seit letztem Jahr ziehen die Mitglieder des LieLa e.v. durch die Stadt und verteilen aus dem Bollerwagen heraus Klamotten und Hygieneprodukte. Ziel ist ein fester Raum von dem aus verteilt werden kann und in dem mehr Zeit für Gespräche ist. Sie wollen ausgebildete Sozialarbeiter*innen einstellen, sowie Psycholog*innen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, sagt Clara. Für jetzt sind sie erstmal laut.
HOUSING FIRST PROJEKT
Das Housing First Projekt wurde bereits in den 90er Jahren in New York entwickelt und erstmals erfolgreich in Finnland umgesetzt. Dort wurde die Zahl der Obdachlosigkeit mit Beginn des Projektes 2008 mehr als halbiert. Das Konzept besagt, dass wohnen ein Menschenrecht ist und es zuerst eine sichere, dauerhafte Unterkunft braucht, um die Möglichkeit zu schaffen, sich entgegen grundlegender Probleme erneut ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Wohnungslose Menschen bekommen Wohnraum vermittelt und werden solange sie den Bedarf haben durch Sozialarbeiter*innen begleitet. In Berlin zum Beispiel gab es seit 2018 zwei Housing First Projekte, eines davon nur für FLINTA*. So wurden 40 Menschen mit Wohnungen versorgt. Das Projekt zeichnete sich durch eine hohe Wohnstabilität aus. Auch in Bremen wird Housing First seit November 2021 umgesetzt. Im letzten Jahr war die Mehrheit der Klient*innen FLINTA*. Auf der Website von Housing First Bremen gibt es unteranderem auch für Vermieter*innen die Möglichkeit, eine Wohnung anzubieten und so dazu beizutragen, mehr sicheren Wohnraum zu schaffen.
DIE ISTANBUL KONVENTION
„Die Istanbul Konvention ist ein Übereinkommen des Europarats zu Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Sie ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu gehören Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen.” (UN Women Deutschland)
Bremen hat als eines der ersten Bundesländer die Istanbul Konvention ratifiziert und einen Landesaktionsplan geschrieben. Hier wird eine Bedarfserhebung für besonders prekarisierte Frauen ausformuliert. Besonders prekarisierte Frauen sind unter anderem sich prostituiernde, drogengebrauchende, obdachlose und psychisch kranke Frauen. Die Bedarfsanalyse soll ermitteln, was es bereits für Angebote gibt, ob diese passend sind und was noch an Angeboten fehlt. Ob am Ende Geld zur Verfügung steht, um das Ganze umzusetzen, steht in den Sternen.
Es gibt bereits einige existierende Hilfsangebote. Zum Beispiel Comeback Bremen, eine Stelle zur Drogenhilfe, die ein Methadonprogramm speziell für Frauen anbieten. Der “Nitribitt e.V.” ist ein Kontakt- und Beratungsangebot für Frauen in der Prostitution. Ein weiteres Angebot ist der “Initiative zur sozialen Rehabilitation e.V.”, der Frauen mit psychischer Erkrankung aufgrund von Traumatisierung und Gewalterfahrung in Form eines Konzeptes für betreutes Wohnen unterstützt. Das Problem der meisten Hilfsangebote ist, dass sie nur in Anspruch genommen werden können, wenn die nach Hilfe suchenden Personen auch einen deutschen Pass und somit Anspruch auf Sozialhilfe haben.
Bis 2030 möchte die Regierung Obdachlosigkeit komplett abgeschafft haben. Nur Utopie oder wirklich bald die Realität? Bis jetzt gibt es das Ziel, aber noch keinen Plan. Und solange noch immer nur Symptom- statt Ursachenbekämpfung stattfindet, ist das wohl auch nicht umsetzbar. Der Aktionsplan, hervorgegangen aus der Istanbul Konvention, ist da schon mal ein guter Ansatz. Doch vor uns liegt noch ein langer Weg und es muss endlich anerkannt werden, dass es sich um ein strukturelles Problem handelt. Also an dieser Stelle ein kleiner Appell: Seid aufmerksam, wenn ihr durch die Straßen geht. Begegnet von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen mit Verständnis und auf Augenhöhe. Und nutzt eure Stimme für die Menschen, die selbst nicht die Kapazitäten dazu haben.
– Lena L.
*Anmerkung: Ich benutze in diesem Artikel überwiegend den FLINTA* Begriff. Wenn ich mich allerdings auf Zahlen der Stadt Bremen berufe, die nur “Frauen” und “Männer” zählen, übernehme ich diese Kategorie.
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