Am 8. und 9. März 2025 wird im Rahmen des Feministischen Kampftags die Performance AUTO-FIKTION: Der Struggle so real von Verena Brakonier aufgeführt. In der besonderen Kulisse von Wolfgang’s Werkstatt (Am Gaswerk 31, 28197 Bremen)
Aufwachsen als Arbeiter*innenkind

Von Verena Brakonier
10.-12. Juni 2022
Autowerkstatt Altona (c) Simone Scardovelli
Verena Brakonier ist Künstlerin, Tänzerin und Choreografin, aber vor allem ist sie Arbeiter*innenkind. Ihre sozioökonomische Herkunft zieht sich durch ihre gesamte Lebenslaufbahn und spielt auch in ihrer Kunst eine zentrale Rolle.
Verena wächst in einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz auf, ihre Eltern betreiben eine Autowerkstatt – „das Setting ihrer Kindheit“, wie sie später sagt. Schon früh entdeckte sie ihre Leidenschaft für Tanz und Schauspiel und nahm im jungen Alter am Ballettunterricht teil.
Während ihrer Schulzeit bemerkte sie erstmals, dass ihre Mitschüler*innen nicht die gleiche sozioökonomische Herkunft hatten. Darüber hinaus war auch ein anderer Umgang seitens der Lehrkräfte für Verena deutlich spürbar. Dass es sich bei der Bevorzugung von Schüler*innen aus wohlhabenderen Familien um Klassismus handelte, erkannte sie jedoch erst später.
„Klassismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft und/oder der sozialen und ökonomischen Position. Es geht bei Klassismus also nicht nur um die Frage, wie viel Geld jemand zur Verfügung hat, sondern auch welchen Status er hat und in welchen finanziellen und sozialen Verhältnissen er aufgewachsen ist. (…)“
Quelle: www.diversity-arts-culture.berlin/woerterbuch
Später studierte Verena Bühnentanz an der Folkwang Universität der Künste in Essen und arbeitet heute als Künstlerin in Hamburg. Weil das BAföG für ihr Studium nicht ausreichend war, musste Verena neben der Uni noch arbeiten. Wie die meisten BAföG-Beziehenden hatte auch Verena nach dem Studium erstmal Schulden.
„Menschen, die BAföG bekommen, haben diesen finanziellen Stress. Diese ganze zusätzliche Belastung, die mit finanzieller Armut zusammenhängt – ich bin jetzt 42 und spüre das immer noch im Körper.“ – Verena Brakonier
„AUTO-FIKTION“ – Eine Performance über Herkunft
Die Performance „AUTO-FIKTION: Der Struggle* so real“ findet in einer Autowerkstatt statt. Darin erzählt Verena über ihre Kindheit, ihre Eltern und welche besondere Rolle dabei ihre soziale Herkunft spielt. Das Stück feierte seine Premiere im Jahr 2022 und wurde seitdem an verschiedenen Orten aufgeführt. Nun soll es auch in Bremen gezeigt werden.
Im Gespräch hebt Verena die entscheidende Rolle ihrer Mutter für ihren Werdegang hervor. Nach der Scheidung ihrer Eltern musste ihre Mutter den Lebensunterhalt allein bestreiten und trug gleichzeitig die gesamte Fürsorgearbeit. Trotz dieser Mehrfachbelastung unterstützte sie Verena, fuhr sie zum Ballettunterricht oder Jugendtheater, pflegte ihren eigenen Vater und bewältigte die finanziellen Herausforderungen des Alleinerziehens.
Die Perspektive ihrer Eltern sowie ihre eigenen Kindheitserfahrungen prägen Verenas künstlerische Arbeit. Dabei möchte sie dem Publikum nicht nur ihre persönliche Geschichte näherbringen, sondern auch gesellschaftliche Strukturen sichtbar machen.
In der Studie „The Association Between Income and Life Expectancy in the United States, 2001–2014“ wird der Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Einkommen untersucht. Das Ergebnis: Wer wenig verdient, stirbt früher.
Während des Untersuchungszeitraums zeigte sich ein erheblicher Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den einkommensstärksten und einkommensschwächsten Bevölkerungsgruppen. Bei Männern betrug die Differenz nahezu 15 Jahre, während sie bei Frauen rund 10 Jahre ausmachte. Wohlhabende Männer erreichten durchschnittlich ein Alter von 87,3 Jahren, während Männer mit geringem Einkommen im Schnitt nur 72,7 Jahre lebten. Bei Frauen lag die durchschnittliche Lebenserwartung der wohlhabendsten Gruppe bei 88,9 Jahren, während Frauen mit niedrigerem Einkommen im Durchschnitt mit 78,8 Jahren starben. Quelle: Raj Chetty u.a.: The Association Between Income and Life Expectancy in the United States, 2001–2014, Journal of the American Medical Association, April 2016
Der Einfluss finanzieller Engpässe wird jedoch nach wie vor unterschätzt. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie und ob Klassismus sie betrifft. Auch Verena erzählt, dass sie erst nach einem Klassismus-Workshop von Francis Seeck erkannt hat, dass auch sie betroffen ist.
„Ich war Feministin und Antikapitalistin, aber mir war nicht klar, wie sehr die Herkunft auf mein Leben wirkt und wie das strukturell in unserer Gesellschaft verankert ist.“ – Verena Brakonier
Ein weiterer Grund, warum Verena 2021 das Projekt „ANONYME ARBEITER:INNENKINDER“ ins Leben rief. Ein monatliches Treffen für Klassismus-betroffene Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen (oder an die, die es werden wollten oder wollen). Durch die Treffen schafft sie einen digitalen Ort für offene Gespräche, Vernetzung und Empowerment.

Von Verena Brakonier
10.-12. Juni 2022
Autowerkstatt Altona
(c) Simone Scardovelli
„AUTO-FIKTION“ als Spiegel sozialer Ungleichheit
Verena Brakonier betrachtet ihre Kunst nicht nur als Ausdrucksform, sondern auch als Instrument, um auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten hinzuweisen. Ihre Arbeiten, insbesondere die Performance „Autofiktion“, bieten einen neuen Perspektivwechsel auf die Auswirkungen sozialer Herkunft und thematisieren die strukturellen Ungleichheiten innerhalb unserer Gesellschaft. Durch die Inszenierung ihrer Geschichte an ungewöhnlichen Orten wie einer Autowerkstatt zielt sie darauf ab, die Performance für ein breites Publikum zugänglich zu machen und die Teilnahme durch niedrigschwellige Angebote wie kostenfreien Zugang zu ermöglichen.
Es ist entscheidend, ein umfassendes Bewusstsein für Klassismus zu schaffen. Besonders in Bildungseinrichtungen sollten sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen frühzeitig für soziale Ungleichheiten in unserer Gesellschaft sensibilisiert werden. Nur durch ein tiefgehendes Verständnis und eine kritische Auseinandersetzung mit den Strukturen des Klassismus kann eine langfristige Veränderung in der Gesellschaft angestoßen werden.
Termine
AUTO-FIKTION: Der Struggle so real. Achtung – Externer Spielort: Wolfgang´s Werkstatt ↗, Am Gaswerk 31, 28197 Bremen
8.3.2025 Samstag 16:00
8.3.2025 Samstag 20:00
9.3.2025 Sonntag 16:00 Im Anschluss Publikumsgespräch
Latisha
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