Disclaimer: Die genannten Fantasy-Bücher beziehen sich auf gesellschaftliche cis-heteronormative Binärität. Ich vertrete natürlich nicht die Meinung, dass es nur zwei Geschlechter gibt.
Es gilt als absoluter Klassiker der Fantasyliteratur und Vorreiter für viele andere Werke im Fantasy-Genre: „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien. Und auch wenn der literarische Einfluss dieser Werke unbestritten ist, ist diese Reihe doch auch eines der berühmtesten Beispiele für ein Fantasy-Buch, das beim „Sexy Lamp Test“ durchfällt. Beim besagten Test wird kontrolliert, ob eine weiblich gelesene Figur nicht auch einfach mit der sexy Lampe aus Eine Weihnachtsgeschichte ersetzt werden könnte, weil sie nur als Lustobjekt dient, sich die Handlung ohne sie aber kaum ändern würde.
In „Der Herr der Ringe“ sind weibliche Charaktere kaum existent. Figuren wie Galadriel und Arwen geben weise Ratschläge oder dienen zur emotionalen Unterstützung. Sie können dadurch zwar nicht ganz aus der Handlung gestrichen werden – für diese Art von Figuren wurde allerdings der Begriff „Sexy-Lampe-mit-Post-it-Zettel“ geschaffen. Sie transportieren eine Botschaft, was die Ausarbeitung dieser Figuren aber nur unwesentlich besser macht als das Dasein als bloße Dekoration. Die Verfilmung von „Der Herr der Ringe“ besteht übrigens auch den „Bechdel-Test“ kaum.
Ein jüngeres Beispiel für ein Fantasy-Buch, das den „Sexy Lamp Test“ nicht besteht, ist „Eragon“ von Christopher Paolini. Die weiblichen Figuren sind zwar nicht völlig untätig, dienen oftmals aber nur als Objekt der Begierde oder kommen nur als Nebenfigur vor.
Bücher, die Fantasy-Elemente mit einer vielschichtigen, unabhängigen Protagonistin verbinden und dabei gesellschaftliche Fragen behandeln und aufwerfen, entstanden insbesondere in den 1970er Jahren. Ursula K. Le Guin schrieb die „Erdsee“-Reihe, die für frühe feministische Fantasy steht, genauso wie „Die Nebel von Avalon“ von Marion Zimmer Bradley.
„Die Nebel von Avalon“ erzählt die Artus-Sage aus der Perspektive der Frauen. Hierbei werden sowohl fantastische Elemente erwähnt, als auch romantische. Damit ist „Die Nebel von Avalon“ vielleicht einer der frühesten Vorreiter eines derzeit der beliebtesten Genres, der Romantasy.
Die „Vampire-Chronicles-Reihe“ von Anne Rice fand ebenfalls in den 1970er Jahren ihren Ursprung. Der erste Band „Interview with the Vampire“ ist auch durch seine Verfilmung weithin bekannt.
„Buffy – Im Bann der Dämonen“ ist eine weitere Verfilmung in Serienform, die das Genre der Romantasy bekannter und beliebter machte.
Twilight ist umstritten, aber unsagbar erfolgreich
Das Werk, das der Romantasy seinen endgültigen Durchbruch verschaffte und das Genre einem breiten Publikum näherbrachte, ist aber „Twilight“ von Stephenie Meyer.
155 Millionen Exemplare der Bücher wurden verkauft. Die Werke wurden in mehr als 50 Ländern veröffentlicht.
In „Twilight“ ist die Hauptfigur mit Bella eine Frau und die Handlung wird aus ihrer Sichtweise erzählt. Zudem trifft sie Entscheidungen, die sie auch gegen Widerstände durchsetzen muss, wie ihre Verwandlung zum Vampir.
Trotzdem ist „Twilight“ nicht unumstritten und wurde von Kritikern als sexistisch oder sogar antifeministisch bezeichnet.
Bella übernimmt eine überwiegend passive Rolle und ihr Wohlbefinden, aber auch ihre Sicherheit, ist stark mit männlichen Figuren wie Edward oder Jacob verknüpft. Außerdem nehmen Bella und Edward traditionelle Geschlechterrollen ein: Er, der große starke Vampir, der die schwache und zerbrechliche Bella vor sich und der Welt beschützen muss.
Edward: „Und so verliebte sich der Löwe in das Lamm.” – Bella: „Was für ein dummes Lamm.” – Edward: „Was für ein kranker, masochistischer Löwe.“ (Aus: „Twilight“ – Bis(s) zum Morgengrauen, S. 199)
Nicht zu leugnen ist auch das stalkerhafte, obsessive Verhalten, das Edward an den Tag legt, wenn er Bella zum Beispiel heimlich durchs Schlafzimmerfenster beim Schlafen beobachtet.
„Twilight“ löste trotzdem einen wahren Boom an Vampirgeschichten aus und zahlreiche Autorinnen nahmen die Bücher als Inspiration für ihre Werke. Eine der bekanntesten Reihen wäre wohl Cassandra Clares „Chroniken der Unterwelt”. Auch „Fifty Shades of Grey” beruht auf einer Fan-Fiction von „Twilight“ und hat dazu beigetragen, dass Bücher mit mehr „Spice” aus der Schmuddelecke geholt wurden und sich großer Beliebtheit erfreuen. Auch Romantasy-Bücher beinhalten inzwischen oftmals explizitere Szenen.
Mit der Romantasy gab es damit nun ein beliebtes Sub-Genre der Fantasy, das im Gegensatz zu anderen Kategorien der Fantasy nicht von männlichen Autoren oder Figuren dominiert wurde.
Sarah J. Maas: Die Queen der Romantasy
Eine der bekanntesten Autorinnen der Romantasy ist Sarah J. Maas. 16 Bücher und fünf Kurzgeschichten hat sie mittlerweile verfasst, 15 davon gehören zu ihren verschiedenen Fantasy-Reihen: „Throne of Glass“ umfasst sieben Bücher, zu dieser Reihe gehören auch die Kurzgeschichten. „Das Reich der sieben Höfe“ gilt eigentlich nach Band drei abgeschlossen, hat inzwischen aber fünf Bände. Bei ihrer jüngsten Fantasy-Reihe „Crescent City” ist dieses Jahr der dritte Band erschienen.
Bei jeder ihrer Reihen versucht eine starke, unabhängige Protagonistin trotz zahlreicher Herausforderungen ihren Lebensweg zu meistern.
Die beliebteste ihrer Reihen ist „Das Reich der sieben Höfe”. Ich kannte vor dem Schreiben dieses Artikels schon Band eins und habe kurz vor diesem Artikel Band zwei beendet. Zwischen den Bänden hatte ich eine längere Pause, habe aber mehrfach nahegelegt bekommen, die Reihe weiterzulesen. Letztendlich habe ich das Buch bis tief in die Nacht gelesen, weil mich die Handlung nicht losgelassen hat.
In „Das Reich der sieben Höfe – Flammen und Finsternis” wird nicht nur erzählt, wie Feyre und zahlreiche andere erwähnte Figuren mit ihren Traumata aufgrund verschiedener grausamer Vorkommnisse leben müssen und versuchen, ihren Umgang damit zu finden. Feyre findet sich auch zu Anfang in einer Situation wieder, in der Tamlin, der Fae Lord an ihrer Seite, als ihr Herr angesehen wird und sie nur noch wenig Mitspracherecht an ihrem eigenen Leben hat. Feyre rebelliert gegen diese patriarchalen Machtstrukturen und strebt ein selbstbestimmtes Leben an. An ihrer Seite stehen Frauen wie Mor, die zwangsverheiratet werden sollte und fast mit ihrem Leben bezahlt, als sie diese Zwangsheirat zu verhindern versucht.
Kritik kann trotzdem an der Handlung geübt werden: Feyre oder Mor stehen in enger Beziehung zu dem Fae Lord Rhysand, der seine schützende Hand über sie hält und auf den sie deswegen angewiesen sind. Er bietet Feyre ein Dach über dem Kopf und stellt ihr alle Dinge, die sie zum Leben braucht. Auch haben die Fae einen starken Beschützerinstinkt. Die Frauen sind zwar ebenbürtig, die Männer nehmen mit der Rolle des starken und beschützenden Partners oder Freundes aber eine eher konservative Rolle ein. Wobei die Protagonistinnen in den Büchern von Sarah J. Maas natürlich mächtige Feinde haben und mal eben die Welt retten müssen. Rhysand unterstützt Feyre im Gegensatz zu Tamlin aber immer in ihrer Unabhängigkeit und beide streben eine gleichberechtigte Partnerschaft an.
Mit „Trial of the Sun Queen” von Nisha J. Tuli oder „High Mountain Court” von A.K. Mulford sind gerade wieder die Anfänge von mehrbändigen Reihen von anderen Autorinnen auf den Markt gekommen, die ebenfalls Fae als Figuren im Mittelpunkt stehen haben. Teile der Handlung scheinen klar durch die Bücher von Sarah J. Maas inspiriert zu sein.
BookTok befeuert Trends und setzt Leserinneninteressen durch
BookTok, die Büchercommunity auf TikTok, hat eine besondere Vorliebe für Romantasy. Wenn ein Buch hier einen Hype auslöst, zeigt sich das auch in den Verkaufszahlen. So können Bücher teilweise noch Jahre nach der Veröffentlichung auf der Bestsellerliste landen, wenn sie auf BookTok viral gegangen sind. Damit erlangen junge Leserinnen eine Marktmacht, wie es sie vorher nie gab.
Einen der größten Hypes auf BookTok löste letztes Jahr mit „Fourth Wing” von Rebecca Yarros ein Romantasy-Buch aus. Protagonistin Violet bereitet sich eigentlich ihr halbes Leben darauf vor, Schriftgelehrte zu werden. Doch ihre Mutter ist die Generalin des Basgiath War College und beschließt, dass Violet dem Reiterquadranten zugeordnet wird. Doch das erste Jahr wird nicht mal die Hälfte der angehenden Drachenreiter überleben und Violet hat das Ehlers-Danlos-Syndrom, welches ihr zusätzliche Nachteile im Konkurrenzkampf mit den anderen Kadetten beschert. Und auch wegen ihrer Herkunft haben es viele auf sie abgesehen – besonders Xaden, dem sie unterstellt wird. Und so muss Violet bereit sein, mit allen Mitteln ums Überleben zu kämpfen.
Auch hier gibt es eine selbstbestimmte, vielschichtige Frauenfigur, die sich in einer von Männern dominierten Welt durchsetzen muss.
Der Erfolg dieser Romantasy-Werke macht es auch deutschen Autorinnen einfacher, Verlage für ihre Manuskripte zu finden. Auch im Bereich der High Fantasy ist der Einstieg leichter. Gerade dieser Bereich stand eigentlich notorisch für ein Sub-Genre mit Männerüberschuss und schwerem Zugang zu Publikationsmöglichkeiten durch einen Verlag.
Jenny Mai-Nuyen oder Nina Blazon sind Autorinnen in der High Fantasy, die sich trotzdem über Jahre etabliert haben und in deren Büchern komplexe Frauenfiguren dargestellt werden.
Das Genre der Romantasy kann kritisiert werden, setzt aber positive Impulse
Die Recherche hat mich auch zu einem Forum geführt, in dem Fantasy-Autor:innen aktiv sind. Noch 2016 wurde darüber diskutiert, ob es nicht besser wäre, unter einem männlichen Namen zu veröffentlichen. Frauen gaben an, selbst keine Romantasy zu lesen, weil die Liebesgeschichte nicht zu sehr im Mittelpunkt stehen solle. Auch das Wort „Gefühlsduselei“ von einem männlichen Forumsmitglied fiel.
Die Romantasy kann zu Recht kritisiert werden: Trotz des Vorhandenseins feministischer Elemente können viele Bücher nicht als durchgehend feministische Fantasy bezeichnet werden. Trotzdem ergeht es diesem Genre wie vielen Dingen, die hauptsächlich von weiblich gelesenen Personen produziert und konsumiert werden: Es wird nicht richtig ernst genommen und die Daseinsberechtigung muss ständig gerechtfertigt werden.
Dabei zeigt die Romantasy durch große Erfolge und populäre Autorinnen nicht nur, dass ein Bedarf an diesen Werken besteht. Sie hat die High Fantasy auch dahingehend beeinflusst, dass mehr Wert auf besser ausgearbeitete zwischenmenschliche Beziehungen gelegt wird. Bücher, die Elemente aus Romantasy und Fantasy kombinieren, sind ebenfalls beliebter geworden und werden in einem eingängigeren Schreibstil verfasst, der auch Menschen anspricht, die vorher vor High Fantasy zurückgeschreckt sind.
Und natürlich kommen auch in der High Fantasy inzwischen vermehrt komplexe Frauenfiguren vor. Auch queere Figuren und solche mit einer Behinderung finden in Büchern der High Fantasy mehr Platz.
Geschichten mit nicht-binären oder trans* Figuren gibt es in der High Fantasy allerdings bisher kaum. Dabei ist gerade die Fantasy neben der Science-Fiction ein Genre, in dem hervorragend Geschlechtsidentitäten und -rollen hinterfragt oder neu definiert werden könnten.
Mit „Die Töchter von Ilian“ hat Jenny Mai-Nuyen 2019 eines der wenigen Bücher der High Fantasy veröffentlicht, in dem eine trans* Figur eine wichtige Rolle spielt. Fayanú ist ein Waldelf, der biologisch gesehen eine Frau ist, sich aber als Mann identifiziert.
Im Vergleich zu den anfangs im Artikel erwähnten kaum vorhandenen Frauenfiguren in „Der Herr der Ringe“ hat sich also schon viel getan – auch wenn es nach wie vor noch Luft nach oben gibt. Die Richtung ist die richtige und zeigt auch, wie viel Einfluss Leserinnen und Autorinnen in einer gut vernetzten Community mit großer Leseleidenschaft haben können.
Svenja Fiedler
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