Kommenden Sonntag steht die Bürgerschaftswahl nach vier Jahren wieder einmal an. Die beständig sinkende Wahlbeteiligung stellt sich dabei immer mehr als Problem dar. Bei der letzten Bürgerschaftswahl gaben lediglich 55,5 Prozent der Wahlberechtigten im Lande ihre Stimme ab.
Schenken wir einer Studie der Bertelmann-Stiftung zur letzten Bremer Bürgerschaftswahl Glauben, so spaltet sich Bremen, was das Wahlverhalten angeht, immer mehr in die gutbürgerlichen Stadtteile wie Borgfeld oder Schwachhausen sowie in die sozial benachteiligten Stadtteile auf. Während in den privilegierten Stadtteilen mehr als drei Viertel der Wahlberechtigten 2011 den Gang zur Urne antraten, traf dies in Tenever oder Gröpelingen nicht einmal für jede*n zweite Wahlberechtigte zu.
Verabschieden sich ganze Stadtteile von der Mitbestimmung?
Gekennzeichnet ist die Lage in den benachteiligten Stadtteilen durch hohe Arbeitslosigkeit, einen hohen Migrationsanteil, niedrige Schulabschlüsse, große Familien und wenig zur Verfügung stehendes Geld. Bremen steht damit vor der Herausforderung, Maßnahmen zu entwickeln, die verhindern, dass sich ganze Stadtteile dauerhaft aus der politischen Mitbestimmung verabschieden. Für das Parlament zeichnet sich durch einen solchen Prozess, die Gefahr einer mangelnden Legitimation ab.
Hier stellt sich die Frage: Wie kann dem Trend entgegengesteuert werden, dass zukünftig nur die wohlhabenden, gut gebildeten Bremer*innen die Zusammensetzung des Parlaments und damit die politische Ausrichtung in Bremen bestimmen? Die Bewohner*innen der ärmeren Stadtteile haben doch sicherlich eigene, zum Teil stark abweichende Anliegen, für die sie sich durch das Wählen aktiv einsetzen können. Eine Demokratie lebt bekanntlich vom Mitmachen aller.
Vor welcher arbeitsmarktpolitischen Situation stehen Frauen in Bremen?
Betrachten wir an dieser Stelle exemplarisch die arbeitsmarktpolitische Situation in Bremen einmal genauer. Laut Information der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) sind 15,5 Prozent der Frauen im Land Bremen auf Hartz IV angewiesen – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Ebenso ist Bremen, was die Erwerbstätigkeit von Frauen betrifft, im Bundesvergleich weit abgeschlagen.
Viele, der erwerbstätigen Frauen gehen dabei entweder einer geringfügigen Beschäftigung nach oder arbeiten in Teilzeit. Wobei Teilzeit keinesfalls bedeutet, dass die so beschäftigten Frauen auf eigenen Wunsch später in eine garantierte Vollzeitbeschäftigung zurückkehren können.
Im Bundesvergleich verfügt Bremen außerdem über einen hohen Anteil an alleinerziehenden Frauen, von denen zwei Drittel laut ZGF über keine Berufsausbildung verfügt. Fehlende Berufsausbildung trifft auf über 60 Prozent aller arbeitslosen Frauen in Bremen zu. Hier besteht aktueller Handlungsbedarf wie z.B. das Einrichten von Teilzeit-Modellen für Umschulungen oder die Schaffung von Ausbildungsplatzgarantien.
Wie können möglichst alle Frauen für den Gang zur Wahlurne gewonnen werden?
Die betroffenen Frauen haben doch sicherlich ein Interesse daran, ihre Situation dauerhaft zu verändern. Profitieren sie doch von arbeitsmarktpolitischen Entscheidungen, die darauf abzielen, Frauen eine existenzsichernde Beschäftigung durch Beratung und Qualifizierung zu ermöglichen.
Wählen gehen bedeutet in diesem Kontext, einer Partei die Stimme zu geben, die daran mitwirkt, bestehende Angebote zu erhalten und nach Möglichkeit weiter auszubauen. Eine solche Anlaufstelle kommt in den sozial benachteiligten Stadtteilen beispielsweise den Mütterzentren und den Häusern der Familien zu. Hier treffen sich Frauen und Mütter, tauschen sich aus, erhalten Beratung sowie Unterstützung und nehmen an Kursen teil. Immer wieder ist die Finanzierung dieser Einrichtungen gefährdet und Schließungen stehen bevor. Die Besucherinnen solcher Institutionen erfahren hier also unmittelbar, welchen Einfluss politischen Entscheidungen auf ihr Leben haben. Als Orte des Austausches und der Versammlung bieten sich diese Institutionen ebenfalls an, Frauen über das Thema Wahlrecht zu informieren.
Die Schulen nehmen, was die Schulung der politischen Entscheidungsfähigkeit anbelangt, eine Vorreiterrolle ein. Es sind bereits Projekte erfolgreich umgesetzt worden, in den gut informierte Jugendliche Politiker*innen vor Ort zu verschiedenen Sachverhalten befragen. Hier findet spannende Politik vor Ort statt. Ausreichende Gelegenheiten mit Politiker*innen ins Gespräch zu kommen, müssen geschaffen werden.
Eine weitere Möglichkeit Frauen in benachteiligten Stadtteilen für Wahlen zu mobilisieren, stellen die im Rahmen der Bürgerschaftswahl ablaufenden Beiratswahlen dar. Die Bedeutung der Beiräte auf politische Entscheidungen Einfluss zu nehmen, wie dies beispielsweise im Fall einer bestehenden Unterversorgung des Stadtteils mit Betreuungsplätzen für Schulkinder erfolgen kann, muss den Bewohner*innen der armen Stadtteile ebenso im persönlichen Dialog verdeutlicht werden. Die Beiräte verfügen daneben über eigene Haushalte und können sich für Anliegen ihrer Bewohner*nnen bei den entsprechenden Stellen einsetzen.
Die Ausfertigung der Wahlunterlagen in leichter Sprache stellt bei der diesjährigen Wahl ein Novum dar. Sie sind ein weiterer Schritt, auch in bildungsfernen Stadtteilen Menschen über den Ablauf der Wahl zu informieren. Allerdings gilt hier, wie für alle anderen Maßnahmen auch: Eine erfolgreiche Gewinnung von Wähler*innen kann nur durch kontinuierlich betriebenen persönlichen Austausch gelingen.
Ellen Stüdgens
gemix meint
Bis zu meinem letzten gesundheitlichen Zusammenbruch habe ich (Frührentnerin, als mittellos von Amts wegen eingestuft) mich auch noch mit den letzten verbliebenen Kräften für eine Verbesserung der Situation der von Armut betroffenen Menschen einsetzen wollen. Bin dabei aber immer wieder auf taube Ohren (wegen Gefühlsduselei – auch bei den Frauenseiten) gestoßen, so dass mir nichts anderes als der Rückzug blieb.
Meine Situation und die sehr vieler Mitbetroffener hat sich nicht verbessert trotz vergangener Wahlversprechen – also: was kann ich/können wir noch tun??? Nicht nur ich, sondern viele der Mitbetroffenen haben inzwischen ebenfalls resigniert.
Mir wird zum Beispiel Fortbildung verweigert mit dem Argument, dass ich ja nur noch begrenzt im geringfügigen Bereich arbeiten kann und daher nicht förderungsberechtigt/förderungswürdig bin. Ich würde gerne noch einige Jahre im Rahmen meiner Möglichkeiten arbeiten aber unter diesen Bedingungen ist es nicht möglich. Betriebe sind nicht bereit neues Personal einzuarbeiten, man muss 200% perfekt sein um eine Stelle (auch im Minijob-Bereich) zu bekommen. Mir würden 80% genügen (nobody is perfect), aber auch die sind ohne Weiterbildung kaum zu erreichen.
Ich habe in den letzten Monaten so einige Menschen kennen gelernt, die einfach resigniert haben, weil sie einfach keine Chance haben. Wen sollten die wählen und wenn ja, warum? Wir teilen uns mit 16 Personen ein Boulevardblatt, kaum geeignet um sich eine fundierte Wählermeinung zu bilden. Und einfach irgendwo fünf Kreuze hinzumalen ist nicht mein Ding.
Was also verlangt man von uns?
Uns hat man das Recht abgesprochen etwas zu wünschen oder verlangen. Außerdem keht dies die Bedürftigkeit noch mehr hervor und Bedürftige werden eher selten glücklich.
Wir werden einfach nur verwaltet. Vielleicht könnten wir uns eine andere Verwaltung suchen. Aber was würde das ändern? Die haarsträubenden Arbeitsbedingungen blieben bestehen, ebenso wie vieles anderes was im Argen liegt. Wir haben einfach keine Lust auf Experimente, die gut auch nach hinten losgehen können.
Ich spreche in der „wir-Form“ weil ich früher wie einige andere versucht habe Mitstreiter für eine bessere Welt zu finden. Alle Angesprochenen waren bereits von Hoffnungslosigkeit gezeichnet und nicht willens und zu kraftlos um weiter zu kämpfen. Es wäre schön wenn jetzt einmal etwas (Gutes) von außen käme ohne unser Zutun.
Gruß gemix
janni meint
Hallo Gemix. Aber du kommentierst doch gerade mit Hilfe des Internets. Ist das nicht geeignet, um sich eine Meinung zu bilden?
Gerti meint
Ok, das hat mich überzeugt, ich wähl jetz doch. Schwancke noch zwischen AFD und NPD.
janni meint
Häh? Ich versteh den Zynismus jetzt grad nicht…