Inhaltswarnung: Dieser Artikel behandelt/erwähnt weibliche Genitalbeschneidungen (FGM), sexuellen Missbrauch, Operationen bei intergeschlechtlichen Menschen, Zwangsterilisation/Sterilisation bei behinderten Menschen
Gehört mein Körper wirklich mir? Wo stoßen wir mit unserer Selbstbestimmung an Grenzen der Gesellschaft, an Grenzen der Gesetze?
„I own my own body“ oder „my body my choice“ sind Sätze, die mensch kennt und vielleicht immer wieder erwähnen muss. Vor allem für weiblich gelesene Menschen sind dies Dinge, die sie sich immer wieder selber sagen müssen. Aber warum sind genau diese Sätze überhaupt notwendig? Warum ist es wichtig sich zu verdeutlichen, dass mensch über den eigenen Körper verfügen kann?
Denn über den eigenen Körper bestimmen zu können, klingt eigentlich wie die normalste Sache der Welt. Doch bestimmte Rechte mussten von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen erst erkämpft werden oder teilweise stehen sie immer noch zur Debatte.
Begriffserklärungen
Laut dem Positive Women’s Network ist Bodily Autonomy das Konzept, dass Individuen das Recht haben zu kontrollieren, was mit ihren Körpern passiert oder nicht passiert.
„When we have full bodily autonomy, not only are we empowered to make decisions about our health and future – without coercion or control by others – we also have the support and resources needed to meaningfully carry out these decisions.”
Das Netzwerk setzt sich für die Rechte von Frauen und trans*Menschen ein, die von HIV betroffen sind. Sie fordern auch die körperliche Autonomie dieser Menschen, welche manchmal von außen durch Gesetze und Stigmata beschränkt werden kann. Dies ist nur ein Beispiel, wo die freie körperliche Auslebung von Menschen mit ihrer Umgebung in Konflikt treten.
Bodily Autonomy bedeutet, einfach gesagt, die Freiheit zu haben Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen. Dazu gehören zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche oder geschlechtsangleichende Behandlungen.
Bodily Integrity als Gegenpol bedeutet, sich selber von Übergriffen von außen schützen zu können und das Recht dazu zu haben. So zum Beispiel gegen Gewalt von außen, aufgezwungene medizinische Eingriffe und andere Grenzüberschreitungen von außen, welche die persönlichen Rechte angreifen.
Da das Thema sehr weit ausgeführt werden könnte, konzentriert sich der Artikel nur auf ein paar Aspekte:
Grenzüberschreitungen – Wo kann das Gesetz schützen und wo ist das Gegenteil der Fall?
Durch Gesetze können diese Dingen erschwert werden. So wird in vielen Ländern zum Beispiel sexueller Missbrauch in Ehen nicht strafrechtlich verfolgt. Ein anderes Beispiel ist, dass in einigen Ländern immer noch Abtreibungen verboten sind. Damit wird Personen das Recht genommen frei über ihren Körper entscheiden zu können. An anderen Orten wurde das Recht auf Abtreibungen erkämpft und hat damit einen Schritt auf eine Bodily Autonomy zu gemacht.
Ein anderes Beispiel dafür sind weibliche Genitalbeschneidungen (FGM), die in unterschiedlichsten Ländern an Frauen aus kulturellen Gründen ausgeführt werden. Dabei wird mit der Perspektive daran gegangen, dass Frauen unrein seien, wenn ihnen nicht bestimmte Genitalteile entfernt werden. Sie sollen so attraktiver für Männer gemacht werden, denn die Wahrscheinlichkeit vor der Ehe Sex zu haben, werde dadurch reduziert. In manchen Ländern ist dies nicht illegal, selbst wenn Teile der Gesellschaft den Traditionen nicht mehr zustimmen. Aber auch in Ländern wie Deutschland oder den USA kommen die Beschneidungen vor, obwohl sie gesetzlich verboten sind. In diesen Fällen ist es auch für das Gesetz schwer, die körperliche Autonomie zu beschützen.
Dies trifft auch bei sexuellen Übergriffen zu, welche gesetzlich häufig verboten, in der Realität aber oft schwer zu verfolgen und zu belegen sind. Aber auch nicht in allen Ländern ist die Strafverfolgung überhaupt gegeben. In einigen Ländern gibt es Gesetze, nach denen die Täter nicht bestraft werden, wenn sie ihre Opfer heiraten, was die Autonomie der Survivors komplett untergräbt.
Laut dieser Studie haben nur etwa 55 Prozent der Frauen Bodily Autonomy, was heißt, dass ihre Möglichkeiten der Entscheidung über ihre eigene Gesundheit, Verhütung oder ob sie Sex wollen eingeschränkt sind. Es existieren häufig legale, ökonomische und soziale Barrieren, welche die Autonomie und Integrität der Frauen einschränken. In der Studie kann noch einmal genauer über unterschiedliche Beispiele und Arten der Einschränkungen nachgelesen werden.
Bodily Autonomy als Konzept heißt also ein Hinterfragen und Aufbegehren gegen die Umstände, in welchen Individuen mit ihrer Umgebung leben und welchen sich der eigene Körper häufig unterordnen muss oder leider wenig dagegen tun kann.
Es könnten noch endlos viele andere Beispiele aufgeführt werden, da das Thema in viele unterschiedliche Bereiche übertragbar ist.
Rechte für trans* und intergeschlechtliche Menschen
Eingriffe bei intergeschlechtlichen Menschen (Menschen, die mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden) sind ein Beispiel, wie in die körperliche Autonomie von Menschen eingegriffen werden kann. Denn in vielen Ländern können Eltern verfügen lassen, dass Ärzt*innen geschlechtsverändernde Operationen an ihren Kindern durchführen lassen. Die Operationen sind meist nicht notwendig, sondern dienen als eine soziale Anpassung. Erst seit kurzem sind in Deutschland diese Operationen ohne Einwilligung der Kinder verboten. Wenn das Kind älter wird, soll es selber entscheiden können, ob es einen Eingriff machen lassen möchte. Auch im Pass kann mittlerweile mit der Bescheinigung “einer Variante der Geschlechtsentwicklung” vom Arzt*in der Geschlechtseintrag auf “divers” gändert werden.
Für trans*Menschen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren können, hat sich hingehend körperlicher Autonomie in letzter Zeit ein bisschen etwas in Deutschland getan. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz wird die Veränderung des Geschlechtseintrages etwas leichter werden. Die Kosten für eine geschlechtsangleichende Operation soll laut neuem Koalitionsvertrag vollständig von der GKV übernommen werden. Damit wird der Weg zur körperlichen Selbstbestimmung in der Zukunft durch Ausführung des Gesetzes hoffentlich leichter werden. Doch Fremdbestimmungen erfolgen auch hier nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch die Gesellschaft. Von außen können die Körper von trans*Menschen immer anders eingeordnet werden, als sie eigentlich sind.
Sterilisierung von behinderten Menschen
Lange war es auch erlaubt, behinderte Menschen ohne deren Einwilligung sterilisieren zu lassen. Vor allem behinderte Frauen werden häufig nicht als Menschen angesehen, die Kinder bekommen sollten. Oft werden sie nicht über Schwangerschaften und Abtreibung aufgeklärt. Vor allem, wenn es sich um geistige Behinderungen handelt. Ihnen wird häufig zu einer Abtreibung geraten und Sterilierungen kommen leider auch immer noch vor. In Deutschland können zwar nicht mehr Zwangssterilisationen ausgeführt werden (oder in den seltensten Fällen), allerdings wird manchen behinderten Frauen noch zu einer Sterilisation geraten. Der Druck von außen kann dabei groß sein.
How to turn the table – Der Weg zur Bodily Autonomy
Es ist schwierig zu sagen, was das Rezept ist, wenn mensch anfangen will, Bodily Autonomy und Bodily Integrity für sich einzufordern. Die eigene Autonomie befindet sich nicht nur auf der körperlichen Ebene immer in einem Bezug zur Umwelt und zu den Vorstellungen, Normen der Gesellschaft und des Staates, in welchem mensch lebt.
Auf einer gesellschaftlichen Ebene kann mehr dafür gekämpft werden, dass gerade marginalisierte Gruppen mehr Bodily Autonomy durch Gesetzgebungen oder das Aufbrechen gesellschaftlicher Normen erlangen. Auf der individuellen Ebene ist eigentlich immer die Frage, welche Dinge von einer*m gewünscht sind und welche nicht. Wenn es um einfache Grenzüberschreitungen geht, können wir uns bewusst machen, dass wir das Recht und die Bodily Autonomy und Bodily Integrity haben, bestimmte Grenzen zu ziehen und auch bestimmte Dinge uns selber zu wünschen.
Am Ende gehören unsere Körper wirklich uns. Auch wenn wir unser Leben lang mit unterschiedlichen Restriktionen, Normen, Werten, Gesetzen, Diskriminierungen und Sexualisierungen von außen aufwachsen. Und das liegt im Kern des Konzeptes von Bodily Autonomy – sich klarzumachen, dass wir trotz all der Einflüsse, die unsere Körper einschränken, das letzte Wort haben, etwas mit unserem Körper zu machen oder zuzulassen.
Einfache Dinge, die wir selber umsetzen können, um unsere Bodily Áutonomy und die anderer Menschen mehr zu respektieren sind unter anderem:
- Sich klarzumachen, dass es eine Option ist, “Nein” zu sagen, und dass dies akzeptiert werden muss
- Auch andere Menschen nach Consent zu fragen und die ausgesprochenen und angedeuteten körperlichen Grenzen anderer zu respektieren
- Herauszufinden, wo die eigenen körperlichen Grenzen liegen und was für einen okay und weniger okay ist
- Sich selber zu bestätigen, dass es nicht die eigene Schuld ist, wenn die körperlichen Grenzen von außen übertreten wurden
- Schon eine frühe Aufklärung Kindern gegenüber über Bodily Autonomy, Bodily Integrity und Consent
von Roja
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