Ärgerst du dich manchmal darüber, dass immer du Gespräche am Laufen halten musst? Oder dass du dich nach dem Wohlbefinden deiner Mitmenschen erkundigst, aber niemand dich fragt, wie es dir geht? Dann bist du wahrscheinlich weiblich sozialisiert und verrichtest mehr emotionale Arbeit als einige andere Menschen um dich herum. Was emotionale Arbeit genau ist und was sie mit dem Patriarchat und dem Kapitalismus zu tun hat, wollen wir euch hier erklären.
Aspekte der Care-Arbeit
Emotionale Arbeit macht einen großen Teil von Care-Arbeit aus. Für die Erklärung dieses Begriffes checkt diesen tollen Artikel. In feministischen Diskursen wird der Begriff Care-Arbeit verwendet, um über Reproduktionsarbeit (hierzu später mehr) zu sprechen.
Diese emotionale Arbeit ist der Kleber, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Sie dient dazu, dass Menschen gut zusammenleben können und dass es Menschen gut geht. Wie der Name schon sagt, dreht sie sich um Gefühle – allerdings um die Gefühle von anderen. Sie findet eigentlich überall dort statt, wo wir mit anderen Menschen in Kontakt kommen: in der Familie, im Berufsleben, in der Freizeit und in Freund*innenschaften. Beispiele für emotionale Arbeit sind:
- nachfragen, wie es Menschen geht
- Gespräche am Laufen halten
- mit der*m Kolleg*in einen Konflikt besprechen
- Trösten von Partner*innen und Kindern
- empathisch und verständnisvoll sein
- Kontakt aufnehmen und Verabredungen planen.
Diese Beispiele klingen alle nicht weiter problematisch. Sind sie auch nicht. Hier ein paar weitere etwas kritischere Beispiele:
- über Witze lachen, die du nicht witzig findest, um dein Gegenüber nicht zu verletzen
- ständig lächeln, weil andere das von dir erwarten
- immer empathisch und verständnisvoll sein
- immer zuerst den Kontakt aufnehmen
- sich für die Gefühle anderer verantwortlich fühlen
- andere Menschen ständig mitdenken
- ständig konkret nachfragen, wenn dein Gegenüber nur oberflächlich antwortet
- Interesse heucheln, um keine Gefühle zu verletzen
- unangenehme Themen ansprechen.
It’s Capitalism, Baby!
Emotionale Arbeit ist nicht per se schlecht. Sie ist notwendig für unser Zusammenleben. Problematisch wird es erst, wenn wir uns die Verteilung dieser Aufgaben anschauen. Unsere Gesellschaft sozialisiert vor allem Frauen so, dass sie sich für Care-Arbeit und die darunterfallende emotionale Arbeit verantwortlich fühlen und diese zu großen Teilen leisten.
Dies liegt an unserer kapitalistischen Arbeitsteilung: Frauen erledigen die Reproduktionsarbeit und Männer die Lohnarbeit. Der Begriff Reproduktionsarbeit kommt aus der Theorie von Genosse Karl Marx. Er umfasst alle Tätigkeiten, die die Arbeitskraft reproduzieren, also die zukünftigen Arbeitenden großziehen und die Arbeitskraft des Mannes aufrechterhalten: ihm den Haushalt schmeißen, ihn ernähren, seine emotionalen und sexuellen Bedürfnisse befriedigen. Damit er ein braves Rädchen im System bleibt und Lohnarbeit verrichten kann.
Diese klassische Rollenverteilung muss nicht immer genau so gefüllt werden, aber unser System ist darauf ausgelegt, dass es so ist. Eine Person innerhalb der Familie muss Reproduktionsarbeit leisten. Dass diese Form von Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau nicht naturgegeben ist, sondern durch Gewalt etabliert wurde, könnt ihr im Buch „Caliban und die Hexe“ von Silvia Federici nachlesen.
Emotionale Arbeit wird in der Regel unbezahlt geleistet. Dennoch gibt es auch Berufe, die zu einem großen Teil aus emotionaler Arbeit bestehen, zum Beispiel die Psychotherapie, die Sexarbeit oder die Pflege. Aber auch in der Gastronomie sind Kellner*innen damit beschäftigt, die Bedürfnisse der Gäst*innen zu erfüllen, freundlich zu sein oder Beschwerden zu händeln. In der Schule und im Kindergarten wird ebenfalls viel emotionale Arbeit geleistet, indem Streit geschlichtet wird oder Emotionen begleitet werden. In allen genannten Bereichen sind überwiegend Frauen beschäftigt.
Emotionale Arbeit ist Arbeit!
In feministischen Diskursen wird natürlich nicht die Emotionsarbeit an sich kritisiert – die braucht es für unser Zusammenleben – sondern die ungleiche Verteilung der Arbeit und der damit einhergehenden Verantwortung. Doch was muss passieren, dass sich etwas ändert? Ziel muss es sein, die Verantwortung zu teilen. Denn warum sollte die halbe Gesellschaft dafür verantwortlich sein, dass die ganze Gesellschaft gut miteinander auskommt? Dazu gehört auch, das Klischee der einfühlsamen und emotionalen Frau und des rationalen Mannes aufzubrechen.
Die Gewerkschafterin Karin Stanger schreibt dazu im feministischen Magazin an.schläge:
„Zudem braucht es eine Neubewertung von Arbeit. Dringend nötig ist auch eine höhere Anerkennung für Berufe, in denen permanent emotionale Arbeit geleistet werden muss. Die Anerkennung dafür, dass emotionale Arbeit oft auch mit Belastung und Selbstentfremdung einhergeht, sollte sich im Lohn ebenso widerspiegeln wie in der Ausbildung, in der Berufskrankheitenliste oder bei den Schwerarbeiterregelungen.“
Hier muss also dringend auf politischer Ebene Abhilfe geschaffen werden. Trotzdem kann auch jede*r einzelne von uns etwas beitragen. Erstmal kann jede*r sich die Emotionsarbeit, die frau selber leistet oder man nicht selbst leistet, bewusstmachen und aufhören, sie als selbstverständlich zu betrachten. Die emotionale Arbeit kann nämlich auch dazu führen, dass frau die eigenen Gefühle und Bedürfnisse hinter die aller anderen stellt. So wird vielleicht Zeit für die Emotionen anderer aufgewendet wird, die frau nicht hat oder gar nicht aufwenden will. Das ist kein Zufall. Die weibliche Sozialisierung trainiert Frauen und Mädchen zusätzlich zu Social Skills und Empathie oft auch noch einen gewissen Hang zur Selbstaufopferung an, was für Menschen, die vom Patriarchat profitieren, äußerst praktisch ist.
Doppelbelastung, was geht?!
Bisher sind wir mit unseren Ausführungen im binären Geschlechtermodell geblieben, da es viel um traditionelle und sozialisierte Rollenverteilung ging. Emotionale Arbeit muss aber auch intersektional betrachtet werden, da viele mehrfach diskriminierte Personen besonders viel emotionale Arbeit leisten müssen. Zum Beispiel sind queere Menschen selbst oft emotional stärker belastet, da sie in ihrem Alltag mit Diskriminierung umgehen müssen: zum Beispiel wird trans Menschen ständig ihre Existenz abgesprochen. Diese Emotionen müssen dann wieder von anderen queeren Menschen aufgefangen werden, da weiße cis hetero Menschen oft keine große Hilfe sind.
So kann auch bei BiPoc eine zusätzlich Belastung entstehen, da sie neben der Erfahrung von Diskriminierung, noch weiße Fragilität mitdenken müssen. Zum Beispiel sind weiße Personen oft unfähig, mit Kritik an ihrem eigenen rassistischen Verhalten umzugehen: hier kommen dann die sogenannten white tears oder tone policing ins Spiel. Diese Emotionen müssen dann auch wieder durch emotionale Arbeit aufgefangen werden.
Streik! Streik! Streik!
Was kann man noch tun? Die Gewerkschaft der Emotionsarbeitenden (GEA) rief letztes Jahr erstmals dazu auf, die emotionale Arbeit einen Monat lang zu bestreiken. Und auch in diesem Jahr soll gestreikt werden. Dabei sollen natürlich nicht eure Kinder ignoriert werden, der Fokus liegt darauf, Männer zu bestreiken. Hier findet ihr zwei Beispiele für eine Streikankündigung inklusive Beispielen, welche Tätigkeiten ihr bestreiken könnt. Weiterhin gibt es tolle Vorschläge zu Reflektionen, die mit dem Streik einhergehen können.
Es ist wichtig, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: für diejenigen, die den Großteil der emotionalen Arbeit machen, um sie zu erkennen und zum Beispiel als Grund für Erschöpfung, Stress und die Entkopplung von den eigenen Gefühlen zu verstehen. Für alle anderen, um die emotionale Arbeit bei anderen zu erkennen, wertzuschätzen, sich zu reflektieren und um zu lernen, selbst die Hälfte der emotionalen Arbeit in Beziehungen zu übernehmen.
In diesem Sinne wollen wir euch aufrufen bei der Aktion der GEA mitzumachen und ab dem 08. Februar emotionale Arbeit zu bestreiken. Wir sind auf jeden Fall dabei!
Der feministische Streik Leipzig hat hier eine Liste von (Un-)Tätigkeiten gesammelt, die ihr im Sinne des Streiks (nicht) ausüben könnt. Für alle, die noch mehr Infos möchten, hat die GEA hat hier weitere Informationsquellen zum Thema zusammengestellt.
Susann und Maria Slüter
Andreea Tribel meint
Dieser Beitrag müsste Pflichtlektüre in der Schule sein. Danke!
Kira meint
Tolle Illustrationen!