Inhaltswarnung: In diesem Artikel geht es um psychische und sexualisierte Gewalt gegen Frauen.
Man könnte schwören, dass man gerade noch den Schlüssel in die Tasche gesteckt hat und im nächsten Moment ist er nicht mehr aufzufinden. Dabei war man sich doch so sicher, dass er da sein muss! Aber hat man ihn wirklich eingesteckt? Oder täuscht da die Erinnerung? Kann ja jede*r mal was vergessen … Doch was ist, wenn dir plötzlich eine Person einredet, du hättest ihn auf jeden Fall vergessen, du seist ja auch so vergesslich, letzte Woche hättest du deinen Schlüssel doch auch schon zweimal liegen gelassen. Hast du das? Könnte schon sein, bei dem Stress gerade… Und schon bist du verunsichert und hinterfragst deine eigene Erinnerung. Du wurdest “ge-gaslighted”.
Manipulation durch Gaslighting
In der Psychologie wird Gaslighting als Begriff verwendet, um eine Form von psychischer Gewalt zu beschreiben. Bei dieser wird darauf abgezielt, das Opfer durch bestimmte Aussagen oder Manipulation so zu verunsichern, dass es den Glauben an die eigene Realität verliert, verunsichert wird und somit das Selbstbewusstsein Stück für Stück abnimmt.
Der Begriff wurde von dem Film „Das Haus der Lady Alquist“ (Originaltitel: Gaslight) mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle geprägt, welcher auf einem Theaterstück von Patrick Hamilton aus dem Jahr 1938 basiert. Dort versucht der Ehemann, seiner Frau einzureden, dass sie verrückt sei, um zu vertuschen, dass er eigentlich hinter ihrem Rücken nach den wertvollen Diamanten ihrer Großmutter sucht. In einer Szene spielt er ihr vor, seine Uhr verloren zu haben, nur damit sie wenige Stunden später in ihrer Handtasche wiederauftaucht. Er lässt sie in dem Glauben, dass sie die Uhr gestohlen hätte. Außerdem sieht die Protagonistin im ganzen Haus die Gaslampen flackern, woraufhin ihr Mann behauptet, das würde sie sich einbilden, daher der Name „Gaslight“. Er manipuliert sie und schottet sie immer mehr von der Außenwelt ab, sodass sie drauf und dran ist, ihren Verstand zu verlieren.
Meist sind Frauen Opfer von Gaslighting, da sie häufiger von psychischer Gewalt in Beziehungen betroffen sind. Oft erfolgt die Manipulation der Partner*in aus einem Hierarchieverständnis der Geschlechter, in denen der Mann der Frau überlegen sei, ein Verständnis, welches vielen Leuten noch immer sehr geläufig ist (s. auch toxische Männlichkeit). Daraus bildet sich dann der Wunsch, die Kontrolle und die Macht in der Beziehung zu behalten. Je unselbstständiger und verunsicherter die andere Person ist, desto einfacher ist das zu bewerkstelligen.
Natürlich kann Gaslighting auch in anderen Bereichen vorkommen. Es findet sich in Eltern-Kind-Beziehungen, Arbeitsverhältnissen oder in Freundschaften, denn in der Regel besteht vorher ein gewisses Vertrauensverhältnis. Es geht in allen Fällen darum, die andere Person zu dominieren, ein ungleiches Machtverhältnis herzustellen und dieses dann auch aufrechtzuerhalten. In den schlimmsten Fällen kann Gaslighting bei dem Opfer sogar zu Depressionen oder Angststörungen führen.
Fake News
Auch Donald Trumps widersprüchliche Aussagen wurden lange im Kontext des Gaslighting diskutiert. Durch die ständigen Wiederholungen, dass die Wahlen gestohlen oder gefälscht seien, dass Betrug dahinterstände, glaubten viele aus seiner Wählerschaft bald daran. Egal, wie oft nachgewiesen und offiziell bestätigt wurde, dass die US-Wahlen ordnungsgemäß verliefen, Trump beharrte auf seinen Vorwürfen. Und seine Gefolgschaft glaubte ihm.
„Das sind Einzelfälle.“
Teilweise wird der Begriff auch in den Zusammenhängen von Feminismus, Rassismus oder Klimaschutz verwendet. Immer wieder müssen sich BiPoC anhören, dass die Situation für sie doch eigentlich gar nicht so schlimm sei, dass das Einzelfälle wären, man solle sich nicht so anstellen oder das Ganze einfach nicht persönlich nehmen. Menschen, die auf Geschlechterungerechtigkeiten oder Sexismus hinweisen, kriegen häufig zur Antwort, dass Frauen mittlerweile genauso gut verdienen würden wie Männer, dass es doch nur als Kompliment gemeint war oder dass sie sich nicht so aufregen sollen.
Die eigenen Erfahrungen, die eigene Wahrnehmung der Realität, ob jetzt persönlich oder kollektiv, wird den Personen abgesprochen und so beginnen sie, sich zu hinterfragen. Stimmt das vielleicht? Stelle ich mich an? War das überhaupt rassistisch oder sexistisch? Bei diesen Fragen steht jedoch nur das Opfer oder die betroffene Person im Vordergrund, die eigentlich schuldige Person zieht sich aber hinter ihren Argumenten zurück. Man kann hier also auch von einer Art des ‚Victim-Blaming‘ sprechen.
Wenn Frauen nach Vergewaltigungen beispielsweise die Polizist*innen erst davon überzeugen müssen, dass der Übergriff tatsächlich stattgefunden hat, findet unterbewusst schon wieder ein Prozess statt, in dem sie überlegen, ob sie vielleicht diejenigen waren, die einen Fehler begangen haben und sich in ihrer Anschuldigung irren. Im schlimmsten Fall vertraut eine Frau ihren eigenen Erinnerungen plötzlich nicht mehr, weil sie das Gefühl hat, ihre Sorgen, Ängste oder Befürchtungen könnten sich als nicht real herausstellen. Vor allem bei traumatischen Erfahrungen, wie zum Beispiel einer Vergewaltigung, kann die Erinnerung durchaus mal verschwimmen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es deswegen gar nicht passiert ist.
Was tun bei Gaslighting?
In Fällen von psychischer Gewalt in Beziehungen, worunter Gaslighting auch fällt, sollte sich Hilfe von außen gesucht werden. Man sollte sich Anker in der eigenen Realität suchen, durch Freund*innen, Familie oder auch mithilfe von Tagebüchern, damit die eigenen Erinnerungen nicht falsch eingefärbt werden können.
Wenn jemandem aber die eigenen Erfahrungen abgesprochen werden, hilft nur Gegenhalten und Informieren: Struktureller Rassismus ist kein Einzelfall, die patriarchale Unterdrückung der Frau sind keine Fake News und ein unangebrachter Spruch ist noch lange kein Kompliment.
Hotlines, um sich Hilfe zu holen:
Hilfetelefon- Gewalt gegen Frauen: 08000 116 016
Gewaltschutzberatungsstelle Osterholz: 04791 965 811
Frauenhäuser in Bremen:
Frauenhaus AWO Bremen: 0421 239 611
Autonomes Frauenhaus: 0421 349 573
Frauenhaus Bremen-Nord: 0421 636 4874
Mädchennotruf: 0421 341 120
Anne Preuß
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