Intersektionalität. Das ist ein vielsilbiges Fremdwort, das viele, die sich mit Feminismus beschäftigen, schon einmal gehört haben. Die meisten, die nicht genau wissen, was es ist, vermuten zurecht, dass sich hinter dem Begriff etwas sehr Wichtiges versteckt. Aber was ist Intersektionalität eigentlich?
Intersektionalität beschreibt eine Perspektive auf die komplizierten Diskriminierungsformen, die uns alltäglich begegnen. Genauer heißt das, dass das herkömmliche Verständnis von Diskriminierung – zum Beispiel als Frau, oder als Schwarze Person – zu kurz greift. Denn Diskriminierung ergibt sich immer aus den Überschneidungen (oder auf Englisch: intersections) verschiedener Formen von Diskriminierung. So erlebt eine Schwarze Frau nicht bloß Sexismus und Rassismus, sondern sie erfährt eine besondere Diskriminierung als Schwarze Frau. Das bedeutet konkret, dass ihre Erfahrungen von Sexismus anders sind, als die von weißen Frauen und ihre Erfahrungen von Rassismus anders sind, als die Schwarzer Männer.
Und was soll das Ganze?
Der Begriff Intersektionalität geht auf die afro-amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw zurück. Kimberlé Crenshaw kritisierte in den späten 80ern und frühen 90ern, dass es weder im Feminismus, noch im Anti-Rassismus wirklichen Platz für Schwarze Frauen gab. In anti-rassistischen Diskussionen dominierten die Ansichten Schwarzer Männer und im Feminismus waren die Stimmen der vergleichsweise privilegierten weißen Frauen vorherrschend. Daraus folgerte Kimberlé Crenshaw, dass Sexismus und Rassismus umgedacht werden mussten. Dabei reichte es nicht aus, an das bestehende Verständnis von Rassismus oder Sexismus anzuknüpfen, denn diese Ansichten gingen von den dominierenden Perspektiven aus. Stattdessen musste etwas ganz neues auf den Tisch.
Das ist alles sehr theoretisch ausgedrückt. Aber als Juristin blieb Kimberlé Crenshaw in ihrer Darstellung von intersektionellen Belangen nicht in luftig-philosophischen Gedankengängen. In ihrem grundlegenden Artikel verwies sie, als eines ihrer Beispiele, auf eine Gruppe Schwarzer Frauen, die General Motors verklagte. Die Firma hatte durchgehend alle Schwarzen Bewerberinnen bis 1964 abgewiesen. Schwarze Bewerber und weiße Bewerberinnen arbeiteten aber bei dem Autohersteller. Ganz offensichtlich wurden Schwarze Frauen diskriminiert. Doch das Gericht wies die Klage ab: Da Frauen bei der Firma arbeiteten, handelte General Motors nicht sexistisch und weil Schwarze Männer dort arbeiteten, lag auch kein Fall von Rassismus vor. Die Klägerinnen verlangten, dass die Justiz anerkannte, dass sie als Schwarze Frauen diskriminiert wurden. Dennoch wies das Gericht dieses Argument aus Prinzip ab: Aus seiner Sicht konnte Diskriminierung nur als das Eine oder das Andere passieren.
Intersektionalität ist keine Mathematik
Das Wichtige und Komplizierte bei Kimberlé Crenshaws Konzept ist, dass man Intersektionalität nicht bloß als Summe von Diskriminierungsformen sieht. Das Erlebnis einer Schwarzen Frau ist also nicht bloß Sexismus + Rassismus. Und das Erlebnis einer trans Frau ist nicht einfach Transphobie + Sexismus. Um zu verdeutlichen, dass es bei Intersektionalität um eine bestimmte Erfahrung geht, schöpften Theoretiker*innen und Aktivist*innen in Anlehnung an Intersektionalität neue Worte, die Diskrimierung umschreiben. So nennen viele afro-amerikanische Frauen, die Diskriminierung, die sie erleben, “Misogynoir”. Also eine Kombination von “Misogynie” (Frauenhass) und “noir” (frz.: schwarz). Und trans Frauen sprechen bei ihrem Erleben von “Transmisogynie”.
Feminismus muss alle Formen der Unterdrückung bekämpfen
Für Feminist*innen heißt intersektioneller Aktivismus, dass der Kampf für die Gleichstellung der Frau immer auch ein Kampf gegen Rassismus, Homophobie und alle anderen Diskriminierungsformen sein muss. Denn niemand kann für sich beanspruchen, Sexismus in Gänze zu erleben. Es heißt auch, dass jede*r sich eingestehen muss, dass die eigene Erfahrung kein vollständiges Bild von Diskriminierung sein kann. Deswegen müssen die Stimmen von Mehrfachdiskriminierten gehört und gestärkt werden. Das ist für jede*n ein Lernprozess. Selbstverständlich erfordert das Offenheit und Toleranz, ebenso wie den Willen, den eigenen Horizont ständig zu erweitern.
Kathy Hemken
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