Der Begriff Mental Load war eine kleine Erleuchtung für mich. Endlich hatte ich Worte für diese gedankliche Dauerschleife meiner To-Dos, endlich eine Begründung für meine innere Unruhe, endlich ein Konzept für dieses stressende Verantwortungsgefühl. Und die Erkenntnis, dass ich gar nicht allein verantwortlich bin für all die Dinge, die im Haushalt, im Alltag und auf der Arbeit zu tun sind.
Wäsche machen, einkaufen gehen, Geschenk überlegen, …
Der Begriff Mental Load tauchte erstmals in den 70er Jahren im Essay “Still just writing” der US-amerikanischen Autorin Anne Tyler auf, in der sie die Schwierigkeiten beschreibt, im Familienalltag Zeit für ihre schriftstellerische Tätigkeit zu finden. Die Initiative Equal Care Day definiert Mental Load so:
„Mental Load bezeichnet die Last der alltäglichen, unsichtbaren Verantwortung für das Organisieren von Haushalt und Familie im Privaten, das Koordinieren und Vermitteln in Teams im beruflichen Kontext sowie die Beziehungspflege und das Auffangen der Bedürfnisse und Befindlichkeiten aller Beteiligten in beiden Bereichen.“
Mentale Arbeit fällt in allen Haushalten, aber auch auf der Arbeit oder im Freund*innenkreis an. Dazu gehören zum Beispiel:
- daran denken, die Wäsche aufzuhängen, wenn die Waschmaschine fertig ist
- Einkaufszettel schreiben, dabei schon die nächsten Mahlzeiten planen
- wissen, welche Lebensmittel noch im Haus sind
- daran denken, Hafermilch und Kaffee auf den Einkaufszettel zu schreiben oder zu kaufen
- überlegen, welcher Kuchen für den letzten Arbeitstag oder Geburtstag gebacken werden soll
- Termine koordinieren
- rechtzeitig Zugtickets für einen Ausflug kaufen
- von allen Geld einsammeln
- Geschenkideen überlegen
In einem Haushalt mit Kindern kommt noch einiges an Planungsaufgaben dazu:
- Termine der Kinder im Kopf haben und/oder in einen Kalender eintragen
- Termine koordinieren
- das Abendessen planen und dabei berücksichtigen, welches Kind, welche Lebensmittel nicht mag
- tägliche Wege aufeinander abstimmen
- an den Einkaufszettel denken, wenn mensch das Kind zum Sport fährt, um danach noch Einkaufen zu gehen
- Kleidergröße des Kindes wissen
Auch die Corona-Pandemie hat noch eine Schippe draufgelegt:
- überlegen, ob ich mich und mein Kind impfen lassen möchte
- daran denken, bei sich selbst und den Kindern Tests durchzuführen
- daran denken, immer genug Masken für alle Haushaltsmitglieder dazuhaben
- Homeschooling und Homeoffice organisieren, zum Beispiel planen, wer wann den Laptop benutzen kann
- überlegen, welches Familienmitglied wie viele und welche Kontakte haben kann
- daran denken, Kontakte ins Kontakttagebuch einzutragen
Zusammenfassend handelt es sich um Aufgaben, die dem Projektmanagement gleichen: planen, koordinieren, Arbeitsstand kontrollieren, Entscheidungen treffen, Optionen abwägen, dokumentieren, Bedürfnisse mitdenken. Der Comic von Emma „You should’ve asked“ (in deutsch „Du hättest doch bloß fragen müssen!“) stellt dar, was Mental Load ist und wann es zum Problem wird.
Projektmanagement, aber bitte für lau und mit Lächeln!
Wie die emotionale Arbeit ist Mental Load ebenfalls ein Aspekt der Care-Arbeit. Und wie die Care-Arbeit an sich wird der Großteil der mentalen Last von Frauen, beziehungsweise weiblich sozialisierten Menschen getragen. Besonders betroffen sind Mütter, da einerseits in Haushalten mit Kindern deutlich mehr Planungsaufgaben anfallen, andererseits Mütter immer noch deutlich mehr Elternzeit (als die Väter) nehmen. Das führt häufig dazu, dass diese mentalen Aufgaben zu Beginn der Elternschaft von der Mutter übernommen werden und dann – unabhängig von späterer Berufstätigkeit – bei ihr hängen bleiben. Belastend sind dabei nicht unbedingt die Aufgaben an sich, sondern vor allem das Gefühl, für jede Kleinigkeit verantwortlich zu sein, was zu Überlastung und Burnout führen kann.
Die Ungleichverteilung zeigt sich im klassischen Familienkonstrukt neben den überlasteten Müttern auch sehr deutlich in ahnungslosen Vätern. Die Ahnungslosigkeit sieht dann zum Beispiel aus wie in diesem Video: während die Väter glauben bei der Kindererziehung stark involviert zu sein, wissen sie weder Geburtsdaten noch Augenfarben noch Namen der Schulen der Kinder. Mütter dagegen kennen die Namen der besten Freund*innen, der Ärzt*innen und noch vieles, vieles mehr.
Zur Ungleichverteilung kommt die fehlende Wertschätzung hinzu. Wer den Begriff Mental Load kennt und schon versucht hat, dass Thema in der Partner*innenschaft anzusprechen, hat vielleicht erlebt, dass das Konzept vom Gegenüber gar nicht verstanden wird. Mentale Planungsaufgaben sind eben oft unsichtbar. Wer sie nicht übernimmt, versteht die mentalen Aufgaben, den Umfang und die damit einhergehende Belastung nicht. Somit erfährt mentale Arbeit in der Regel auch keine Wertschätzung, da sie gar nicht als Arbeit erkannt wird – über finanzielle Wertschätzung reden wir hier gar nicht erst.
Während es im Arbeitsleben für den Mental Load eigene Positionen gibt, nämlich das Projektmanagement, tut unsere Gesellschaft im Privaten so, als gäbe es sie gar nicht. Dennoch fallen auch im Berufsleben mentale Arbeiten an, die nicht explizit genannt werden und ungleich verteilt sind: das kann das morgendliche Kaffee kochen sein beziehungsweise das daran Denken, das Hinterhertelefonieren hinter der letzten Person, die noch nicht dem Meeting zugesagt hat, oder das Kümmern um Geschenke. Dann gibt es noch den mentalen Stress, den eine*r sich selbst macht, weil mensch so hohe Ansprüche hat: zum Beispiel, wenn für jede*n Freund*in zum Geburtstag das beste Geschenk überlegt und gebastelt werden muss, statt einfach einen Gutschein zu kaufen.
Mental Load ist Arbeit!
Wie bei der emotionalen Arbeit wird im feministischen Diskurs nicht die Existenz oder Notwendigkeit des Mental Load kritisiert, sondern die Ungleichverteilung und mangelnde Wertschätzung. Mentale Arbeit ist für einen möglichst reibungslosen und harmonischen Alltag unumgänglich. Die ungleiche Verteilung lässt sich – wie so oft – auf die über viele Jahrzehnte etablierte Rollenverteilung in Patriarchat und Kapitalismus zurückführen. Das Patriarchat sozialisiert weiblich gelesene Menschen so, dass sie sich für Care-Arbeit verantwortlich fühlen und diese “freiwillig” übernehmen. Wer diese Aufgaben als weiblich gelesene Person nicht oder nur widerwillig übernimmt, wird sanktioniert.
Da es hier um patriarchale Rollenbilder geht, schreibe ich an einigen Stellen nur von binären Geschlechtern und normativen Familien- und Beziehungskonstellationen. Belastende mentale Aufgaben können natürlich Menschen aller Geschlechter betreffen. Und in jeder Beziehung – egal ob romantisch oder nicht, ob queer oder heteronormativ – kann der Mental Load ungleich verteilt sein. Internalisierte Geschlechterverhältnisse und Rollenbilder wirken auch außerhalb romantischer Beziehungen und unfaire Mental Load-Dynamiken können auch außerhalb von Geschlechterverhältnissen stattfinden.
System Change, not Burn Out
Da Kapitalismus und Patriarchat Ursachen der ungleichen Verteilung des Mental Load sind, muss es statt individueller Lösungen systemische und politische Veränderungen geben. Einerseits muss der Gender Pay Gap eliminiert werden. Rollenklischees müssen abgebaut werden und es muss normal sein, dass auch Väter sich um ihre Kindern kümmern. Die Initiative Equal Care Day nennt in ihrem Manifest 18 Forderungen zur Anerkennung, Wertschätzung und fairen Verteilung von Sorgearbeit sowie notwendige strukturelle Unterstützung und Rahmenbedingungen. Zum Beispiel fordert das Manifest, das unter der Beteiligung der Bremer Soziologin Dr.in Sonja Bastin verfasst wurde, alternative Erwerbsmodelle, zum Beispiel eine grundsätzliche Erwerbszeitreduzierung und eine finanziell abgesicherte Familienarbeitszeit.
Was nicht hilft: die Mütter als Superheldinnen und Engel zu framen oder sich mit Blumen und Schokolade einmal im Jahr bei ihnen zu bedanken. Davon geht der Burnout nicht weg. Davon wird der Mental Load nicht weniger. Davon wird die mentale Arbeit nicht gerechter verteilt.
Das Private ist politisch
Da es aber noch lange dauern wird, bis es zufriedenstellende politische Lösungen gibt, muss die Ungleichverteilung bis dahin wohl auch auf privater Ebene angepackt werden. Erstmal müssen sich alle erwachsenen Personen für den Haushalt verantwortlich fühlen: nicht mithelfen, sondern Verantwortung übernehmen! Solange eine Person erwartet, dass die andere Person ihr sagt, was sie zu tun hat – wie in diesem Comic -, ist eine Haushaltsführung auf Augenhöhe nicht möglich. Was dabei notwendig ist: Kommunikation.
In der Familie – mit oder ohne Kinder -, in der Partner*innenschaft, in der WG aber auch in Freund*innenkreisen oder im Projektteam auf der Arbeit hilft es abzugleichen, wer wie viele mentale Aufgaben erledigt, und festzustellen, ob ein Ungleichgewicht herrscht. Die Initiative Equal Care Day stellt dafür einen Test für die Haus- und Familienarbeit sowie für den Arbeitsplatz zur Verfügung. Mit der App WhoCares kann im Alltag der Zeitaufwand für die Care-Arbeit getrackt werden: unter “Management” kann die gedankliche Arbeit erfasst werden.
Patricia Cammarata hat für den Equal Care Day und in ihrem Buch aufgeschrieben, wie man die mentalen Aufgaben in der heteronormativen Kleinfamilie sichtbar macht und dann gerecht verteilt. Alle mental Überlasteten – unabhängig vom Familienstatus – dürfen lernen Verantwortung abzugeben, eigene Ansprüche zu senken, Aufgaben zu priorisieren, To-Do-Liste zu kürzen und alles wegzulassen, was nicht wirklich nötig ist. Diese Änderungen sind ein Prozess und dauern; wichtig ist es, im Gespräch zu bleiben. Wie Teresa Bücker schreibt, sollte im Blick behalten werden, dass sich diese Verhaltensmuster durch jahrzehntelange Sozialisation eingeschliffenen haben und sich nicht mal eben schnell ändern lassen.
Streik, Streik, Streik!
Wenn der*die Partner*in kein Interesse daran hat, die Planungsaufgaben gerecht zu verteilen, sollte mensch überlegen, ob sie*er diese Beziehung weiterhin führen will. Wenn die Antwort “Ja.” lautet oder die Abhängigkeit zu groß geworden ist, um sich zu trennen, kann mensch zum Beispiel die eigene Arbeitszeit aufschreiben und das Gehalt ausrechnen. Wenn der Partner Vollzeit arbeiten kann, weil frau zuhause unbezahlt arbeitet, wäre es fair, das Gehalt des Mannes auf beide Partner*innen gerecht aufzuteilen. Der Mental Load, der von weiblich sozialisierten Personen für männlich sozialisierte Personen unbezahlt übernommen wird, kann auch bestreikt werden.
Da der Mental Load in Familien mit Kindern besonders hoch ist, ist es sinnvoll, schon bevor das Kind zur Welt kommt, genau zu überlegen wie die Arbeit verteilt werden soll. Als Vater möglichst viel und früh selbstständig Aufgaben rund um das Kind zu übernehmen, sich Informationen selber zu suchen und sich Tätigkeiten wie Windeln wechseln selber anzueignen, kann verhindern, dass die Mutter alles übernimmt, “weil es schneller geht” oder “sie es besser kann”. Hier müssen aber auch Themen wie Gehaltsunterschiede, Elternzeit und Arbeitszeit verhandelt werden. Wenn nur die Mutter mit dem Kind zuhause bleibt, weil der Vater mehr verdient, entsteht eine Spirale der Ungleichberechtigung, aus der es schwer ist wieder heraus zu kommen. Diese Überlegungen sind natürlich für jede Familienkonstellation sinnvoll.
Susann
Isabella Bernardo meint
Hier wird genau beschrieben, wie wichtig es ist, über dieses Thema zu sprechen u n d zu handeln!
Die Familien-Zeiten müssen in der Wirtschaft deutlich angehoben werden während die Gehälter gleich bleiben sollten da über diesem Weg auch deutlich mehr Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und somit durch den „freien Kopf“ auch mehr Loyalität dem Arbeitgeber zukommt.
Die Gesellschaft als Gesamtheit ändert sich nicht nur durch verbale Zugeständnisse sondern durch Taten und sinnvollen Umgang miteinander.
Dazu braucht es wesentlich mehr Schulung von Kindesbeinen an! Das Involvieren der Kinder in altersgemäßes Miteinbeziehen auch von Pflichten erscheint hier ebenso wichtig wie ein schulisches Geschehen von Lehrstoff, Praktika, etc. wäre mehr als angebracht.
Vor allem die Erlangung von Kenntnissen der vielfältigen natürlichen Varianten und authentischen Bezeichnungen dieser Vielfalt ist unerlässlich.
Der soziale Zusammenhalt, die Kompetenz im Umgang von zwischenmenschlichen-organisatorischen Aufgaben verhindert nicht nur das Zerbrechen von Familien (oder Partnerschaften) sondern kann uns auch im Gesundheitswesen einen enormen (Kosten-) Aufwand ersparen.
Dazu braucht es aber das Verständnis und die Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten!
Mit freundlichen Grüßen
I.B.