Spätestens nach dem Eklat um das Verbot der UEFA, die Münchner Allianzarena bei dem EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn in den Regebogenfarben zu beleuchten, ist eines klar: das Zeigen oder eben Nicht-Zeigen der Regenbogenflagge als Zeichen der Solidarität mit der LGBTQIA+-Community hat eine Wirkung. Hintergrund war die Verabschiedung eines Gesetzes durch das ungarische Parlament. Dieses stellt eine maßgebliche Beschränkung der Rechte queerer Menschen in Ungarn dar. Zahlreiche Firmen, Unternehmen und Vereine reagierten, indem sie ihre Logos aus Protest in die Farben der Regenbogenflagge ändern oder ihre Produkte mit der Flagge schmücken. Warum das Zeigen der Regenboggenflagge durch Firmen und Unternehmen jedoch umstritten ist und was der Begriff des Rainbow-Washing bedeutet, erklärt dieser Artikel.
Die Sichtbarkeit der LGBTQIA+-Community ist doch was Gutes, oder?
Auch durch den diesjährigen „Pride Month“ Juni, der im Zeichen des Kampfes für die Sichtbarkeit und Rechte der LGBTQIA+-Community steht, sind die Farben der Regenbogenflagge momentan wieder überall zu sehen: auf Logos großer Konzerne, wie BMW oder der Sparkasse, auf Schuhen, Taschen, Kosmetikprodukten bis hin zu Nahrungsmittelettiketten. Eine gute Sache – oder etwa nicht?
Der Begriff des Rainbow-Washing als Wortneuschöpfung aus „Rainbow“ (deutsch: Regenbogen) und „Whitewashing“ (deutsch: beschönigen) formuliert Kritik an den Marketingstrategien einiger Firmen. Der Vorwurf lautet, dass diese mithilfe Regenbogenflaggen-gespickter Werbung vorgeben, die LGBTQIA+-Community zu unterstützen, dabei jedoch kein ernsthaftes Interesse an der Verbesserung der Situation queerer Menschen verfolgen.
In einigen Fällen wird den Firmen sogar vorgeworfen, durch „Rainbow-Washing“ von queerfeindlichen oder anderen menschenfeindlichen sowie undemokratischen Kampagnen oder Äußerungen abzulenken.
Pinkwashing, Greenwashing, Rainbow-Washing – Was denn jetzt?
Synonym zum Begriff des Rainbow-Washing wird häufig auch der Begriff des Pinkwashing verwendet. Der Begriff des Pinkwashing entstand im Kontext von Marketingkampagnen US-amerikanischer Kosmetik- und Pharmafirmen. Diese hatten mit rosa Schleifen auf ihren Produkten geworben, um auf den Kampf gegen Brustkrebs aufmerksam zu machen. Doch: die Firmenprodukte selbst standen unter dem Verdacht, Brustkrebs auszulösen. Die Bezeichnung Pink-Washing wird seitdem im weitesten Sinne als Kritik an Marketingstrategien von Firmen verwendet, die vorgeben, sich für Minderheitenrechte, einzusetzen. Das Problem: Es bleibt nur bei der performativen Selbstinszenierung. Konkrete Aktionen zur Solidarisierung bleiben dabei aus. Ähnlich beschreibt auch der Begriff des Greenwashings die Erzeugung eines bestimmten Images, in dem Fall ein umweltfreundliches, dem jedoch keine sinnvollen und zielführende Taten folgen, um grüner zu produzieren.
Umsatzsteigerung auf Kosten der LGBTQIA+-Community
Ein häufiger Vorwurf an die Firmen, denen Rainbow-Washing nachgesagt wird, lautet, dass diese sich das Image der Solidarität mit der LGBTQIA+-Community aneignen, um kommerzielle Interessen zu verfolgen. Es werde versucht, ein junges und queeres Publikum anzusprechen, um strategisch die Reichweite zu vergrößern und den Umsatz der Firmenprodukte zu steigern.
Die Aktivistin Chiara Seidl schreibt auf ihrem Instagram-Account: „Rainbow-Washing und die Heuchelei mancher Firmen, die sich als LGBTQ-friendly verkaufen, wird uns nicht helfen. Fallt nicht auf diese Tricks herein.“
Dabei sind nicht solche Firmen oder Unternehmen gemeint, die ganzjährlich und mit entsprechend sinnvollen Spendenaktionen Vereine, die sich für LGBTQIA+-Rechte einsetzen, unterstützen. Die Kritik richtet sich vor allem gegen Unternehmen, die Regenbogenflaggen oder Slogans wie „Love for all“ nutzen, um einem Trend zu folgen und/oder Umsätze zu steigern und/oder zu verschleiern, dass sie ansonsten kein Engagement für die Solidarisierung mit der LGBTQIA+-Community zeigen. Die Berliner Dragqueen, Youtuberin und TV-Moderatorin Candy Crash kritisierte auf Instagram, die Doppelmoral einiger Unternehmen während des Pride-Monats Juni:
„Was mich daran stört, ist, dass diese Agenturen ein Mal im Jahr auf mich zukommen, und das ist immer zur Pridesaison, immer wenn der CSD [Christopher Street Day] ist, wenn die LGBT-Community auf die Straße geht, um zu demonstrieren. Da werden viele Kollektionen rausgebracht mit einem Regenbogen, und da werden Millionen an Umsatz mit gemacht. Mir als Creator möchte man dann aber kein Geld für die Werbung bezahlen, weil gesagt wird: ,Das ist ja eine Werbung, die wir für euch machen, das ist ja eine gute Sache.’ Und das ist für mich so eine Heuchelei, eine Doppelmoral.“ (Instagram-Account: hier)
Wo ist die Grenze zwischen Selbstinszenierung und Aktivismus?
Wir können festhalten: Es gibt also keine einheitliche Definition des Begriffs Rainbow-Washing oder eindeutige Kriterien, mit denen beurteilt werden kann, ob eine Firma Rainbow-Washing betreibt. Die Förderung der Sichtbarkeit der LGBTQIA+-Community ist natürlich erstmal nichts Schlechtes. Doch ab wann wird die queere Community als ‚Token‘ instrumentalisiert, um kommerzielle Interessen zu verfolgen? Wie auch Tobias Kruse, der PR-Manager bei Lush, der sich selbst der LGBTQIA+ Community zuordnet, sagt:
“Oft verwischt die Grenze zwischen dem Wunsch nach eigener Medienwirksamkeit und der Unterstützung von Minderheiten.“
Um zu enthüllen, ob einzelne Personen oder Firmen ein ernsthaftes Interesse an der Sensibilisierung, Aufklärung und Engagement für queere Menschen haben, kann Folgendes berücksichtigt werden:
Wie langfristig und nachhaltig sind die Werbekampagnen?
Es ist wichtig, miteinzubeziehen, ob besagte*r Akteur*innen sich ganzjährig glaubhaft für Inklusion und LGBTQIA+-Rechte einsetzen oder nur zu bestimmten „Trends“ wie zum Pride Month.
Zudem kann überprüft werden, ob das Unternehmen oder die Firma an Organisationen spendet, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen. Oder: ob anderweitig Initiativen für die Stärkung von LGBTQIA+-Rechten unterstützt werden (z.B. öffentlichkeitswirksame Kampagnen; politische Aktionen etc.).
Wie gehen die Firmen intern mit queeren Mitarbeiter*innen um?
Die Betrachtung der firmeninternen Umgangs sowie der Arbeitsbedingungen für queere Mitarbeiter*innen kann zeigen, wie aufrichtig die Interessen sind, die die Firma verfolgt. Dabei sind Fragen wichtig wie: Stellt die Firma queere Menschen ein (ohne diese als Aushängeschild zu nutzen)? Und: bieten sie faire Arbeitsbedingungen, die sensibel für die Belange für queere Menschen sind?
Eine Studie von 2019 zeigte, dass 6 von 10 LGBTQIA+-Personen sich unwohl am Arbeitsplatz fühlen. Ein Drittel erlebte außerdem bereits homofeindliche Diskriminierung am Arbeitsplatz. Außerdem wurde herausgefunden, dass queere Menschen im Durchschnitt 16 Prozent weniger verdienen als ihre hetero- und cis-Kolleg*innen. Dementsprechend sollte überprüft werden, ob Firmen aktiv gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorgehen.
Ist das Marketing der Firma konsistent in Bezug auf die Solidarisierung mit der queeren Community?
Wenn die Firma sich zwar offiziell solidarisiert, gleichzeitig jedoch Personen oder Marken unterstützt, die sich queerfeindlich äußern, ist Vorsicht geboten.
Wenn Firmen mit Pride Symbolen nur in Ländern werben, in denen die Akzeptanz von LGBTQIA+-Rechten weiter vorangeschritten ist, kann das darauf hindeuten, dass den Firmen die Umsatzsteigerung wichtiger ist als das öffentliche Einstehen für die Rechte von LGBTQIA+-Menschen.
Was folgt daraus?
Am Ende lässt sich sagen: Die Repräsentation der LGBTQIA+-Community in den sozialen Medien und in der Werbung ist wichtig. Und sie trägt dazu bei, dass diese sichtbar gemacht wird – keine Frage. Dennoch sollten Werbekampagnen von Firmen mit Vorsicht genossen werden, die ihre progressiven Ausrichtung nur mit Regenbogenfarben in ihrem Logo zu demonstrieren wissen. Denn wer aktiv die Rechte von LGBTQIA+-Menschen unterstützen will, muss auch den Mut haben, öffentlich dafür einzustehen, aktivistisch sein und politische Forderungen stellen. Und natürlich vor allem denen zuhören, die von Diskriminierung betroffen sind!
Für alle Cis- und/oder hetero-Personen: Lest hierzu auch gerne unseren Artikel 10 Tipps, wie Du Straight Ally wirst.
Naomi
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