Die griechische Sage um die Nymphe Syrinx, die sich auf ihrer Flucht vor dem Hirtengott Pan in ein Schilfrohr verwandeln ließ, nur um von ihm dann zu der weltbekannten Panflöte geschnitzt zu werden, lässt es einem kalt den Rücken herunterlaufen. Sich selbst zum Objekt machen zu lassen, um sich angeblich zu ermächtigen und dann letztendlich doch dadurch wortwörtlich zu einem Instrument ihres Unterdrückers zu werden. Eine passende Metapher für ein systemisches Problem: Selbst-Objektifizierung.
Der Begriff „Selbst-Objektifizierung“ beschreibt die nicht-mythische Version des „Sich-Selbst-zum-Objekt-Machens“ aus gesellschaftlicher Perspektive. Objektifizierung alleinstehend und bezogen auf Menschen (es kann auch auf Tiere angewandt werden) bedeutet in erster Linie, dass Personen als ein Gegenstand mit einem Zweck betrachtet werden. Es findet eine Entmenschlichung statt, wenn Personen(-gruppen) der von Grund auf allen Menschen innewohnende Wert entsagt wird und sie lediglich auf ihren Nutzen reduziert werden, ohne Rücksicht auf ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Historisch betrachtet waren stets unterdrückte Menschen von Objektifizierung betroffen. Durch objektifizierende Rhetorik und Denkmuster wurde Kontrolle ausgeübt und so Sklaverei, Kapitalismus und eben auch die Unterdrückung der Frau überhaupt erst möglich gemacht. Die feministische Sozialpsychologin Eileen L. Zurbriggen hebt diese Funktionen von Objektifizierung als Machtinstrument in ihrer Analyse „Objectification, Self-Objectification, and Societal Change“ sehr gut hervor. Sie untersucht die vielen Ebenen auf denen Objektifizierung, Selbst-Objektifizierung und ihre unterdrückenden Wirkungen stattfinden und appelliert abschließend zu kollektivem Widerstand.
Juristische Rechte sind nicht der einzige Punkt, den Objektifizierung bis heute betrifft – die Art und Weise, wie wir andere Menschen und uns selbst wahrnehmen und miteinander umgehen, ist durch die Geschichte der Objektifizierung geprägt. Ein Zweck, auf den Frauen bekanntermaßen reduziert werden, war stets ihr Aussehen, aber auch ihre weiteren Funktionen für den Mann als Fürsorgerin, Haushaltskraft, Babymaschine und Sexobjekt sind Formen der Objektifizierung. Die Tatsache, dass sie Individuen mit eigenem Verstand und Willen sind, wurde ihnen über Jahrhunderte hinweg auf diese Art abgesprochen und die Unterdrückenden profitierten natürlich davon. Neben der Kategorie Frau überschnitt sich die Ausprägung der Objektifizierung und ihre Zwecke schon immer mit weiteren Identitätsmerkmalen aus intersektionaler Perspektive (eine Betrachtung sozialer Probleme, die die Verstrickungen mehrerer benachteiligter Gruppenzugehörigkeiten eines Individuums berücksichtigt). Beispielsweise wurde das Wahlrecht für Schwarze Frauen in den USA erst zur Bürgerrechtsbewegung durchgesetzt – Dekaden nach dem Wahlrecht für weiße Frauen. In ihrem Artikel „Trading on America’s Puritanical Streak“ notiert die Philosophin Martha Nussbaum die Merkmale von Objektifizierung: Darstellung als Werkzeug und Besitz für andere, die Absprache von Selbstbestimmung und Individualität, wahrgenommene Austauschbarkeit und die Erlaubnis dazu, Objektifizierte zu verletzen oder zu beschädigen.
Die geschichtlich erlernte und geförderte objektifizierende Sicht auf Frauen auf Seiten von Männern wird häufig als „Male-Gaze“ bezeichnet. In einer Welt, in der Männer dominieren, bedeutet das, dass fast alles, was wir konsumieren – besonders mediale Darstellungen – vom männlichen Blick beeinflusst sind. Dies fällt umso mehr in von Männern für ein vorwiegend männliches Publikum unkritisch geschriebenen Filmen auf, in denen Frauen selten komplexe Charaktere darstellen und tendenziell in eine der zuvor genannten Funktionen für die männlichen Hauptcharaktere fallen.
Das „Selbst“ in Selbst-Objektifizierung verdeutlicht die Verinnerlichung dieser entmenschlichenden Prozesse. Der Status als Objekt gefällt einem also selbst oder wird zumindest akzeptiert und bewusst oder unterbewusst ausgelebt. In feministischen Räumen hat dies zu Diskussionen rund um freiwillige Sex-Work, Make-Up, Schönheits-OPs und anderen Formen der selbst-inszenierten Objektifizierung geführt – denn wie freiwillig sind diese Handlungen in einem System, das dazu ermutigt und zu einem gewissen Grad belohnt, sich als Frau zum Objekt zu machen? Schließlich wird auch Widersetzung sozial bestraft. Unsere Handlungsfreiheit ist daher im Rahmen dieser Erwartungen eingeschränkt und die Freiheit zu diesen Entscheidungen ist je nach Privilegiertheit unterschiedlich verteilt. Eine Frau, die finanziell gut situiert ist, kann es sich eher leisten von Schönheitsidealen abzuweichen als eine Arbeiterin, die stärker von der Wahrnehmung anderer abhängig ist.
Bevor man selbstkritisch in den Spiegel blickt und sich fragt, ob das eigene Aussehen und Verhalten einer „anständigen“ Mutter, Hausfrau, Mitarbeiterin oder Femme Fatale entspricht, sollte man diese gesellschaftlichen Zwänge reflektieren. Es wurde vielseitig in der Forschung erwiesen, dass Selbst-Objektifizierung mit einem negativen Selbstbild und einer Entfremdung von sich selbst einhergeht, selbstschadende Verhaltensweisen fördert und noch dazu diese Herrschaftsverhältnisse aufrechterhält. Indem wir uns diesen Zwängen und ihrer Funktion bewusstwerden, selbst diese Schönheitsideale ablehnen und sie nicht im eigenen Verhalten und eigener Sprechart reproduzieren und daran arbeiten die Schönheit in der Individualität zu sehen, bewirken wir bereits viel. Anders als Syrinx wird uns so zunehmend möglich sein, dem Unterdrücker zu entkommen, anstatt in diesen Zuständen zu erstarren. Wichtig ist: Erlerntes kann bewusst abtrainiert werden und das selbst-objektifizierende Flötenspiel in unserem Unterbewusstsein kann als das entlarvt werden, was es eigentlich ist – ein Machtinstrument.
Svea M. Schnaars
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