„Was ist eigentlich eine Querfront?“ musste ich mich in letzter Zeit öfter fragen. Nämlich immer dann, wenn ich beim Surfen auf eben diesen Begriff stieß. Ich hatte schon eine Ahnung, dass es nichts mit queer zu tun haben würde und in meinem Kopf tauchten Schlagworte wie AFD, Compact, Verschwörungsszene und Berufstrolle aus der Tiefe.
Querfront hat eine lange Begriffsgeschichte
Ursprünglich stammt der Begriff aus der Weimarer Zeit. Anfang der 1930er Jahre versuchte Reichskanzler Kurt von Schleicher letztendlich erfolglos mit Funktionären des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und Teilen der NSDAP zu kooperieren. Darüber hinaus gab es innerhalb der NSDAP nationalrevolutionäre Tendenzen, die sich an der romantisierten UdSSR orientierten. Die sogenannten Nationalbolschewisten. Wie der Name schon sagt, zeichneten sie sich durch einen ausgeprägten Nationalismus aus.
In jüngerer Zeit etablierte sich der Begriff erneut mit dem Aufkommen rechter Jugendgruppen, die die Themen und Symbole linker Jugendsubkulturen übernehmen. Autonome Nationalisten, nationale Anarchisten und Nationale Sozialisten knüpfen an die alte Querfrontstrategie an und suchen Verbindungen zu linken Bewegungen aber auch gezielt, die Grenzen zwischen links und rechts zu verwischen.
Das heißt, und jetzt zitiere ich plump Wikipedia, der Querfrontbegriff „ .. bezeichnet eine rechtsextreme Bündnisstrategie, die Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Lagern betont oder zu konstruieren versucht, mit dem Ziel, die politische Macht eines Nationalstaats zu übernehmen.“
Der neue Querfrontbegriff
Die aktuelle Querfrontdiskussion dreht sich um Agitator*innen wie Jürgen Elsässer (Compact) und Ken Jebsen (KenFM) und den Kopp-Verlag sowie deren Anhängerschaft bzw. Leser*innen. Viele von ihnen tummelten sich gern in ursprünglich linken Bewegungen, wie die der Friedensbewegung mitsamt ihren Mahnwachen und nun auch auf Anti-TTIP-Demonstrationen.
Laut Zeitungsberichten, diversen Interseiten gegen Rechts und der Amadeu-Antonio-Stiftung besteht die aktuelle Querfront aus Esoteriker*innen, Verschwörungsideolog*innen, PEGIDA-Anhänger*innen, AfD-Wähler*innen, Reichsbürger*innen, ehemaligen Wähler*innen der Linken und deren Sympathisant*innen.
Gemein sei ihnen allen ein dualistisches Weltbild, eine einfache Einteilung der Welt in Gut und Böse, wobei sie sich über ein kollektives „wir hier unten, weil ihr da oben“ identifizierten. Die neuen Querfrontler*innen seien darüber hinaus durch eine auf böse Menschen verkürzte Kapitalismuskritik gekennzeichnet. Der Kapitalismus werde von ihnen personalisiert. Es handle sich also um eine „Herrscher- anstatt einer Herrschaftskritik“, woraus sich auch ihr gemeinsamer Antisemitismus und Antiamerikanismus erklärte. Allgemein erzeugten sie Gegensätze und Feindbilder: es ginge gegen die USA, gegen den Islam, gegen das Establishment. Die gute Gegenfigur sei hierbei Putin. Allgemein sei eine Putin-Faszination typisch für die neue rechte Bewegung. Putin, der moderne, aufgeklärte, kontrollierte und kontrollierende Diktator bilde den Kontrast zum dekadenten Westen. Diese Faszination Putins ginge mit Antimodernismus einher.
Eine Bewegung älterer, weißer Männer der Mittelklasse
Nach der neusten Studie der Universität Leipzig Die enthemmte Mitte liessen sich bei Frauen und bei Männern gleichermaßen Zustimmung zu rechtsextremistischen Themen sowie Sympathien für Pegida und AfD finden.
Die Forscher räumen allerdings auch ein, dass sie nicht direkt mit Pegida Anhängern sprechen konnten und deswegen indirekt über ihre allgemeine Befragung Zustimmung zu der Bewegung in der Bevölkerung herausfinden mussten. Inwieweit die Studie tatsächliche extremistische Tendenzen in der gesellschaftlichen Meinungslandschaft aufdecken konnte oder selbst konstruiert hat, bleibt fragwürdig.
Andere Direktumfragen kommen nämlich zu ganz anderen Ergebnissen.
Laut der Studie der Technischen Universität Dresden entstammt „der ‚typische‘ PEGIDA-Demonstrant der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstätig, verfügt über ein für sächsische Verhältnisse leicht überdurchschnittliches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit auf und stammt aus Dresden oder Sachsen.“ Eine neuere Umfrage des Göttinger Instituts für Demokratieforschung kommt zu einem ähnlichen Ergebnis, nach dem 72% der PEGIDA – Demonstranten männlich ist.
Ebenso, wenn auch im kleineren Maßstab, verhält es sich bei den AfD – Wähler*innen.
Woran kann dieser Überschuss an Männern in diesen neurechten Bewegungen liegen?
Die erste Antwort, die mir einfällt, ist, dass die Herrschaft des weißen Mannes in der Welt ein Ende findet. Der emanzipatorische Wertewandel, die Diversifizierung, bringt die alte Geschlechterordnung gehörig durcheinander und kann zu Verunsicherungen der eigenen Geschlechtsidentität führen. Männer waren die Profiteure der bisherigen Ordnung. Besonders ältere Männer dürften Probleme haben, sich in die pluralistischer werdende Gesellschaft einzufügen.
Nicht nur das eine Frau Deutschland regiert, auch die Globalisierung führt zu einer immer komplexer werdenden, multipolaren Welt, die die alten Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt. Die Flüchtlinge stellen dabei sicherlich auch einen Aufhänger dar, um einer allgemeinen Unzufriedenheit Luft zu machen.
PEGIDA und all der Schmarrn
Ich finde den Begriff Querfront schwierig. Meiner Meinung nach kommen in der Gesellschaft auch nationalkonservative bis rechtsextreme Meinungen vor. Die Motive dürften meist aus Statusverlusts- und Identitätsängsten herrühren. Wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass sich unsere Gesellschaft tatsächlich in einem rasanten Wandel in mehrfacher Hinsicht befindet, bei dem viele, vornehmlich Männer, nicht so einfach mit kommen.
Deswegen muss und sollte ich mich nicht mit Menschen mit ausschließenden Positionen, wie Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus verbünden oder ihre Meinung tolerieren. Hier ist eine klare Grenze zu ziehen. Aber ich bezweifle, ob es von Nutzen ist, mit dem Oberbegriff Querfront alle aktuellen Protestbewegungen, Verschwörungstheoretiker*innen und AfD-Wähler*innen unter einen Hut zu bringen. Ich bezweifle sogar, dass es diese neuen „Querfrontler*innen“ als homogene Gruppe überhaupt gibt.
PEGIDA gilt gemeinhin als neurechte Bewegung, aber kann ich Friedensmahnwachen mit PEGIDA gleich setzen? Und was hat die AfD als deutschnationalistische aber radikal neoliberale Partei mit den Mahnwachen für den Frieden gemein?
Sicherlich tummeln sich Menschen mit, zum Teil, sehr merkwürdigen Ansichten auf den Mahnwachen. Und die dort statt findende Akzeptanz für rechtes Gedankengut ist indiskutabel.
Aber ist es zielführend und richtig, so viele Menschen mit unterschiedlichen Motiven und Positionen mit dem Begriff Querfront zu stigmatisieren?
Querfront bezeichnet den Versuch nationalistische und ethnozentrische Ziele unter dem Deckmantel linker Politik durch zu setzen.
Ich denke, dass Menschen mit nationalistischem Gedankengut und auch rechte Agitatoren in allen gesellschaftlichen Bewegungen und Bereichen zu finden sind. Ich bin mir natürlich über das Erstarken neurechter Bewegungen und Parteien im Klaren. Und auch der zunehmende Einfluss des rechtspopulistischen Magazins Jürgen Elsässers Compact bereitet mir Sorge.
Dass Menschen grade in turbulenten Zeiten, wie der unseren, empfänglich für einfache Erklärungen sind, ist kein Geheimnis.
Dennoch bietet der Begriff Querfront die Möglichkeit jedwede, vom Trend abweichende Meinung als rechts zu stigmatisieren. Und meiner Ansicht nach erweist sich eine eindeutige Grenzziehung gerade in diesem Bereich als sehr schwierig. Das Meinungsspektrum innerhalb der Gesellschaft aber auch innerhalb neuerer Protestbewegungen ist zu breit gefächert.
Selbst Anti-TTIP Demonstrationen seien nun Ziel von Querfrontlern und daher zu meiden. Gerade erkennbar durch Symbole wieder der Finanzkapitalkrake…
Hier wird es meiner Meinung nach offensichtlich absurd. Zum einen werden sich viele nie mit dem Symbol der Krake auseinander gesetzt haben und zum anderen stimmt hier die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Sicherlich möchte ich nicht gemeinsam mit rechten und antisemitisch eingestellten Menschen demonstrieren gehen. Antisemitische Symbole gehören verboten und deren Träger des Platzes oder der Demo verwiesen. Aber mein Anliegen deswegen aufgeben? Und fraglich ist doch auch das Verhältnis der „Querfrontler*innen“ zum Rest der Demonstranten. Wie viele Menschen der 250.000 Demonstranten in Berlin im Oktober 2015 gehörten dem rechten Spektrum an?
Wir dürfen nie vergessen, dass sich rechte und linke Themen in manchen Punkten immer wieder überschneiden, aber das links zu sein bedeutet, eine internationale, egalitäre Grundeinstellung zu haben und niemanden aufgrund seiner Herkunft oder seines Geschlechtes vorzuziehen oder auszuschließen. Rechts eingestellte Menschen zeichnen sich dagegen durch Ethnozentrismus, also der Überhöhung der eigenen Volksgruppe, und durch Nationalismus aus.
Mein Fazit ist also, dass es tatsächlich sichtbare neurechte Bewegungen gibt, sich aber keine Querfront klar raus kristallisieren lässt, sondern dieser Begriff sogar dazu dienen kann, politische Gegner zu kompromittieren.
Es ist tatsächlich an der Politik und der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, welche Richtung die gesellschaftliche Entwicklung einnehmen wird.
Es hat sich ja bereits viel getan. Als Beispiel wäre hier der viel offenere Umgang mit Geschlecht und Sexualität zu nennen. Die heutigen Kinder wachsen mit wesentlich offeneren Werten auf, als die Kinder von vor 30 Jahren. Herkunft und Geschlecht spielt für sehr viele von ihnen keinerlei Rolle in der persönlichen Werteskala mehr.
Es besteht also Grund zur Hoffnung.
Hannah Lüdeker
Elmar Brähler meint
Die Studie ist wieder online:
https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AP18/2015_10_19_ErklaerungOBS.pdf
Die merkwürdige Anmerkung zu der neuen Mitte-Studie ist nur dadurch zu verstehen, dass die Autorin gar nichts davon gelesen hat.
Wir haben nicht PEGIDA-Teilnehmer befragt, sondern die Affinität zu PEGIDA.
Kritik vom „Linksextremismusforscher“ Schroeder für tragfähig zu halten, spricht für wenig Sachkenntnis. Hier ein paar Stichpunkte:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/rechtsextremismus-studie-stellungnahme-zur-kritik-von-kress-a-1100252.html
http://home.uni-leipzig.de/decker/Leipziger%20%E2%80%9EMitte%22-Studie_Stellungnahme.pdf
Hannah Lüdeker meint
Sehr geehrter Herr Brähler, selbstverständlich habe ich mich mit der Studie zu der neuen Mitte auseinandergesetzt und lediglich versucht, mehrere Seiten zu beleuchten bzw. zu Wort kommen lassen. Mir ist durchaus aufgefallen, dass der Herr Schroeder einen rechtslastigen Hang hat.
Darüber hinaus habe ich in meinem Artikel genau angemerkt, dass Sie eben nicht PEGIDA-Anhänger, sondern die Affinität in der Gesellschaft zu PEGIDA untersucht haben.
Mein Artikel sagt lediglich aus, dass der Begriff der Querfront meiner Meinung nach nicht passend für Neurechte Bewegungen und Tendenzen in der Gesellschaft ist.
Daneben bietet der Artikel Möglichkeiten, sich selber Gedanken zu machen und zu informieren. Viele Dinge sind uneindeutig im Leben und in der Welt. Viele Grüße Hannah
Ronja meint
Oh wie hilfreich! Ich habe auch den Artikel von Hannah Lüdeker mit Interesse gelesen und er ließ mich etwas ratlos zurück. Ich werde mir nun die Links von Bela anschauen. Vielen Dank für die qualifizierte Reaktion!
Bela B. meint
Liebe Autorin,
mir gefällt, dass Sie sich mit der Querfront-Studie kritisch auseinandersetzen. Vielleicht kann ich etwas dazu beisteuern, denn diese Studie wurde mittlerweile zurückgezogen, weil unhaltbar.
Folgende Beiträge setzen sich abseits vom Mainstream und dem rechten Sumpf gut damit auseinander (beide Websites sind übrigens nicht nur in dieser Hinsicht lesenswert):
rationalgalerie.de/kritik/querfront-verstorben.html
nachdenkseiten.de/?p=27377
Würde mich freuen, wenn der Kommentar veröffentlicht wird.
Gruß,
Bela